
Zwinkern, Zucken, Zwangsgegrunze

Bis zu 20 % der Kinder entwickeln im Lauf ihrer Entwicklung motorische oder vokale Tic-Störungen. Dabei handelt es sich um plötzliche, schnelle, wiederkehrende und nicht-rhythmische Bewegungen oder Lautäußerungen ohne funktionellen oder zielgerichteten Charakter. In der Regel dauern diese Episoden einige Wochen oder wenige Monate.
Vor dem Tic spüren die Betroffenen eine starke Anspannung, die dann durch das Ablaufen des Tics gelöst wird, schreiben Prof. Dr. Valsamma Eapen von der University of New South Wales und Prof. Dr. Tim Usherwood von der University of Sydney.
Unter Entspannung und Ablenkung weniger Tics
Verstärkt werden die Tics durch Stress, Schlafmangel und Müdigkeit oder in angstauslösenden Situationen. Ist das Kind hingegen abgelenkt, entspannt oder mit Sporttreiben oder Musizieren beschäftigt, nehmen Ausmaß und Frequenz ab. Die unwillkürlichen Abläufe lassen sich bewusst unterdrücken. Manche Kindern schaffen das nur für ein paar Sekunden, anderen gelingt dies über Stunden hinweg, etwa für die Dauer des täglichen Schulbesuchs.
Einfache motorische Tics zeigen sich z.B. als Augenrollen und Kopfnicken, Nase- oder Beinzucken, aber auch durch komplexe Rumpfbewegungen, Im-Kreis-Drehen oder als Echopraxie. Zu den einfachen vokalen Auffälligkeiten gehören Räuspern, Grunzen, Klicken oder das Nachahmen von Tierlauten. Echolalie und Koprolalie sind dagegen Beispiele für komplexe vokale Tics. Je nach Art und der Dauer ihres Auftretens unterscheidet man drei Typen der neuropsychiatrischen Störung (s. Kasten).
Strategien gegen die Tics
- Trigger wie Stress, angstbesetzte Situationen oder Langeweile vermeiden
- regelmäßige Pausen mit körperlicher Betätigung einplanen
- in der Schule einen Ort festlegen, wohin sich das Kind bei unangenehmen Tics zurückziehen kann
- dem Kind im Klassenraum einen Platz vorne oder in Türnähe geben, damit es den Unterricht bei Tics ohne Weiteres verlassen kann
- falls das Schreiben mit der Hand schwerfällt, einen Computer erlauben
- für die Schule eine Hilfsperson („Buddy“) organisieren
- Entspannungsübungen trainieren lassen, Selbsthilfegruppen empfehlen
Weil Tic-Störungen in ihrer Ausprägung, ihren Folgen und Beschwerden so stark variieren, werden sie oft nicht erkannt oder fehldiagnostiziert. Zunächst gilt es also, Tics von anderen ungewollten Bewegungen oder Äußerungen wie etwa einer Chorea oder der Athetose abzugrenzen, vor allem aber von Stereotypien. Letztere sind im Gegensatz zu Tics rhythmisch und koordiniert. Sie treten insbesondere bei Kindern unter drei Jahren auf, während Tic-Störungen typischerweise im Schulalter beginnen. Stereotypien bringen den Betroffenen keine Erleichterung und lassen sich nicht bewusst unterdrücken.
Handelt es sich tatsächlich um eine Tic-Störung, müssen Komorbiditäten unbedingt ausgeschlossen werden. Denn vornehmlich das Tourette-Syndrom ist in nahezu 90 % seines Auftretens mit anderen Störungen vergesellschaftet. Dazu zählen:
- Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
- Autismus-Spektrum-Störungen
- Zwangs- und Impulskontrollstörungen
Ob eine Tic-Störung behandelt werden muss, hängt von den Beschwerden und Beeinträchtigungen ab. Leidet das Kind nicht unter den Tics, reicht es aus, den Patienten selbst, seine Freunde und Familie sowie Lehrer über die Hintergründe der Erkrankung aufzuklären und das Lebensumfeld entsprechend zu gestalten (s. Kasten). Verursachen die Tics Beschwerden oder massive Probleme im Zusammenleben mit anderen, führen sie zu Schmerzen oder schränken sie auf andere Weise die Lebensqualität des Kindes ein, muss zusätzlich therapiert werden. Diese Aufgabe übernimmt am besten ein Kinderpsychiater oder ein spezialisierter Pädiater.
Primäre Tic-Störungen
- vorübergehende oder transiente Tic-Störung: Sie geht mit Tics einher, deren Auftreten weniger als ein Jahr andauert.
- chronische oder persistierende Tic-Störung: Über mehr als ein Jahr treten multiple motorische oder vokale Tics auf.
- Tourette-Syndrom: Länger als ein Jahr treten mehrere motorische plus mindestens ein vokaler Tic auf.
Als nicht-pharmakologische Maßnahmen empfehlen die beiden Experten verhaltenstherapeutische Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie oder das Habit-Reversal-Training. Bestehen Komorbiditäten, bedürfen diese der gezielten Behandlung, etwa mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bei Zwangsstörungen oder mit Stimulanzien oder Atomoxetin bei ADHS.
In schweren Fällen bleibt die tiefe Hirnstimulation
Eine ganze Reihe von Wirkstoffen, steht für Tic-Störungen zur Verfügung. Dazu gehören Antipsychotika wie Risperidon und Aripiprazol, Sulpirid und Tiaprid oder Alpha-2-Agonisten wie Clonidin und Guanfacin. Weitere Substanzen sind Haloperidol und Pimozid, aber auch Cannabinoide oder lokale Injektionen mit Botulinumtoxin. Für schwere therapieresistente Fälle besteht letztlich die Möglichkeit der tiefen Hirnstimulation.
Quelle: Eapen V, Usherwood T. BMJ 2022; 376: e069346; DOI: 10.1136/bmj-2021-069346
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).