Ärzteschaft stellt sich gegen die TI-Ausgestaltung und erreicht Fristverlängerung für eAU
Die Vertragsärzte haben wieder zusammengefunden. Noch vor wenigen Wochen hatte die KV Baden-Württemberg den Rücktritt des KBV-Vorstandes verlangt. Insbesondere die Pflicht, ab Januar 2021 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nur noch elektronisch über die pannenanfällige Telematik-Infrastruktur (TI) an die Krankenkassen übermitteln zu müssen, erzürnte die Basis. Dazu kommen noch weitere drohende IT-Verpflichtungen mit baldigen Umsetzungsfristen.
Neun KVen forderten die KBV in einem offenen Brief auf, diese müsse sich beim Bundesgesundheitsminister unter anderem für die Aussetzung der Sanktionen bei fehlender TI-Einbindung einsetzen. In einem vom 24. Juli datierten Schreiben warnten dann alle 17 KVen gemeinsam mit der KBV den Gesundheitsminister nachdrücklich, die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen der TI-Ausgestaltung könnten die notwendige Akzeptanz der Niedergelassenen verspielen.
Teil des Schreibens ist ein Forderungskatalog, in dem unter anderem dauerhafte Ersatzverfahren verlangt und Sanktionen als kontraproduktiv benannt werden. „Auch die Androhung einer Ersatzvornahme wird die Haltung der Vertragsärzte nicht ändern!“, heißt es.
Den Widerstand der KVen und KBV unterstützt auch Dr. Werner Baumgärtner als Vorsitzender von MEDI GENO Deutschland und Sprecher der Allianz Deutscher Ärzteverbände. „Dies insbesondere auch wegen der Androhung einer Ersatzvornahme des Ministeriums, die ich nicht nur für kontraproduktiv halte, sondern die ggf. ins Leere laufen wird.“ Es gebe Alternativen zum harten Kurs des Ministeriums und bessere technische Lösungen als die aktuelle TI.
Ein Auslöser für Dr. Baumgärtners Ansage war ein internes Schreiben der KV Westfalen-Lippe. Darin wurde ein Mitglied informiert, dass für Vertragsärzte, die Arbeitsunfähigkeitsdaten ab Januar 2021 nicht wie im TSVG vorgeschrieben über die TI an die Krankenkassen übermitteln, zwar keine konkreten Strafen vorgesehen seien. Doch wenn sie ihren vertragsärztlichen Pflichten nicht nachkämen, seien Disziplinarverfahren und in letzter Konsequenz auch Zulassungsentziehungsverfahren denkbar. Für diese Vorgänge seien auch die Krankenkassen antragsberechtigt. Und: Laufende sozialgerichtliche Verfahren können die Wirksamkeit dieser Neuregelung nicht beeinflussen.
Jetzt meldete die KBV: Das Bundesgesundheitsministerium hat der Forderung nach einer Übergangsregelung für die elektronische AU-Bescheinigung zugestimmt. Vertragsärzte müssen demnach spätestens ab Oktober 2021 die AU-Daten elektronisch an die Kassen übermitteln. Der GKV-Spitzenverband müsse noch einwilligen. Im Bundesmantelvertrag-Ärzte sei zu regeln, „dass eine Nutzung verbindlich erfolgt, sobald die technischen Voraussetzungen in der jeweiligen Praxis geschaffen wurden und damit bereitstehen“ zitiert die KBV das Ministerium.
Jetzt nur nicht zurückrudern, lieber Kollege Gassen!
Auch das ärztliche Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS) hatte sich in einem offenen Brief an KBV-Chef Dr. Andreas Gassen gewandt. KBV und Länder-KVen hätten ein richtiges Signal an Jens Spahn gesendet. Jetzt dürfe man diese Forderungen aber nicht relativieren. Bundesweit seien 10 bis 20 % der Kolleginnen und Kollegen nicht an die TI angeschlossen, in Bayern 23 %. Es greife zu kurz, den „älteren Kollegen kurz vor der Rente“ eine Übergangslösung anzubieten. Problematisch seien etwa die Installation der TI in oft unsichere Praxis-IT-Umgebungen, Sicherheitslücken beim Konnektor, unklare Zuständigkeiten bei der Behebung von Fehlern, Probleme in der Versorgung bei evtl. TI-Störungen, drohende DSGVO-Verstöße aufgrund fehlender Datenschutzfolgeabschätzung und die Gefahr der Aushebelung der Schweigepflicht, wenn die Gesundheitswirtschaft Zugriffsrechte erhält.
Das Bündnis forderte Dr. Gassen auf, nicht zurückzurudern. Die flächendeckende ärztliche Versorgung sei in großer Gefahr, wenn der Gesundheitsminister seine Pläne weiter vorantreibe und zahlreiche Ärztinnen und Ärzte deshalb der Kassenmedizin den Rücken kehren würden.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht