DDG-Frühjahrstagung Cloud-basierte Systeme liefern eindrucksvolle Daten

diatec journal Autor: Dr. Winfried Keuthage

Einmal in die Cloud hochgeladen, können Messwerte mit anderen Datenbanken verknüpft werden. Einmal in die Cloud hochgeladen, können Messwerte mit anderen Datenbanken verknüpft werden. © Alex – stock.adobe.com

Die DDG-Frühjahrstagung überzeugte in diesem Jahr nicht nur durch eine hervorragende digitale Umsetzung, sondern auch durch zahlreiche interessante Posterkurzvorträge, Sitzungen und Industriesymposien zum Thema Digitalisierung. Dies ist folgerichtig, da die in der Diabetologie verfügbaren digitalen Anwendungen und Medizinprodukte immer komplexer werden und ihre Zahl stetig zunimmt.

In den kommenden Jahren erwarten wir in Deutschland eine steigende Zahl klinischer Studien rund um CSII, CGM, AID-Systeme sowie andere Medizinprodukte. Hintergrund sind einerseits die veränderte Medizinprodukteverordnung und andererseits die steigenden Anforderungen der Kostenträger an die Erstattungsfähigkeit der Systeme.

Gleichzeitig mangelt es der Versorgungsforschung an Real-World-Daten. Beispielsweise bleibt der von Diabetologen schon seit Jahrzehnten geäußerte Ruf nach einem Register für Insulinpumpen bislang ungehört. Medizinproduktehersteller veröffentlichen in der Regel keine oder nur begrenzt Umsatzzahlen zu ihren Produkten. Und auch bei ihren cloudbasierten Datenmanagement-Systemen (CBDMS), in denen sie große Datenmengen aus Glukosemess- und/oder Insulinpumpen-Systemen sammeln, halten sie sich bedeckt. In der Regel verweisen die Anbieter darauf, dass die Daten pseudonymisiert bzw. anonymisiert erhoben und gespeichert werden. Auf die Frage, ob und wie die Daten ausgewertet werden, geben die Anbieter häufig keine eindeutige Antwort. Allerdings sind diese Daten, die mit Fug und Recht auch als Big Data bezeichnet werden können, für Behandler und Forscher von großem Interesse, auch und gerade wenn sie anonymisiert sind.

Neue Einsichten durch Verknüpfung mit Datenbank

Vor diesem Hintergrund waren auf der DDG-Frühjahrstagung eine Reihe von Poster-Kurzvorträgen bemerkenswert, bei denen Daten aus dem cloudbasierten Datenmanagementsystem Glooko/Diasend präsentiert wurden. Hintergrund ist eine Partnerschaft zwischen Glooko (USA) und Insulet Corp. (USA), Hersteller des schlauchlosen Insulin-Managementsystem Omnipod*. Die Daten der Patienten, die in den USA und Kanada Glooko und OmniPod nutzen, werden regelmäßig von Insulet mit Daten einer anderen Datenbank verlinkt, sodass demografische Daten wie Alter, Geschlecht, Diabetestyp und Typ des Omnipod-Systems den Glooko-Daten zugeordnet werden können. Dabei erhält Insulet lediglich die Daten von Nutzern, welche Insulet vorab ihr Einverständnis zum Datenteilen gegeben haben.

In zwei unterschiedlichen Posterkurzvorträgen wurden von Dr. Jens Kröger und Dr. Winfried Keuthage retrospektive Daten aus dem OmniPod-System präsentiert, welche von Februar bis August 2019 in das Datenmanagementsystem Glooko hochgeladen und über die Geräteseriennummer einer zweiten Datenbank mit selbst berichteten demografischen Daten zugeordnet und anonymisiert wurden. Die Nutzer verwendeten das integrierte Blutglukosemessgerät der Firma Abbott Dia­betes Care Inc., USA, und/oder ein CGM-System (z.B. der Firma Dexcom Inc.). Daten aus dem Freestyle-Libre-System waren nicht verfügbar, da es im Auswertungszeitraum nicht mit dem Glooko-CBDMS kompatibel war. In die Analyse eingeschlossen wurden die Daten von Anwendern, die das System mindestens drei Monate lang nutzten.

Effekt von temporärer Basalrate und verzögertem Bolus

Auf Basis dieser Daten fokussierte Dr. Kröger auf die Nutzung der Insulinpumpenfunktionen temporäre Basalrate (TBR) und verzögerter Bolus (EB) bei 12.823 Nutzern des Omnipod Insulin-Managementsystems mit Typ-1-Diabetes. Die mittlere Blutglukose wurde aus den Messdaten (BZ-Kohorte) berechnet; der Glukose- Management-Indikator (GMI) und die Zeit im Zielbereich (TIR) wurden aus den CGM-Werten (CGM-Kohorte) für diejenigen berechnet, die regelmäßig (≥ 3,33 % der Tage mit Lücken < 60 Tage) und selten (< 3,33 % der Tage) TBR/EB anwendeten. Von den 2.823 Nutzern aus den USA und Kanada waren 65 % regelmäßige TBR/EB-Nutzer. In der BZ-Kohorte war der mittlere Blutglukose-Wert für regelmäßige Nutzer von TBR/EB signifikant niedriger als bei seltenen Nutzern (p < 0,0001). In der CGM-Kohorte war die regelmäßige Anwendung von TBR/EB mit einem um 0,5 % niedrigeren GMI (p < 0,0001) und einer um mindestens 9 % höheren TIR (p < 0,0001) im Vergleich zur seltenen Anwendung assoziiert. Auch wenn laut Dr. Kröger die Ursachen für die Ergebnisse nicht näher bestimmbar sind, bleibt doch festzustellen, dass regelmäßige Nutzer von TBR/EB signifikant bessere glyk­ämische Ergebnisse haben als seltene Nutzer (Abb.). 

Korrelation Bolusfrequenz und glykämische Kontrolle

Auf dieselbe Real-World-Datenbasis greift die Analyse zum Zusammenhang zwischen der Bolusfrequenz und verschiedenen glykämischen Ergebnissen zurück, welche Dr. Keuthage vorstellte. Die Nutzer wurden basierend auf der durchschnittlichen täglichen Bolusfrequenz und den glykämischen Ergebnissen (Blutglukose oder CGM-Werten) berechnet und in Gruppen stratifiziert. Bei 4917 Erwachsenen betrug die durchschnittliche Bolusfrequenz 5,2 ± 2,5/Tag (BGM-Kohorte) und 6,1 ± 2,8/Tag (CGM-Kohorte). Bei jedem schrittweisen Anstieg der Bolusfrequenzkategorie auf bis zu 8 bis < 10/Tag war ein signifikanter Rückgang der mittleren Blutglukose zu verzeichnen (p < 0,05). Für die CGM-Kohorte waren häufigere Bolusabgaben mit einer höheren Zeit im Zielbereich von 70–180 mg/dl (TIR) assoziiert. Bei jedem zunehmenden Anstieg der Bolusfrequenzkategorie auf bis zu 8 bis < 10/Tag (p < 0,05) war ein Rückgang des GMI zu verzeichnen. Die mittlere prozentuale Zeit unter 70 mg/dl lag in allen Gruppen niedriger als 4 %. Zusammenfassend korrelierte bei einer großen Kohorte von Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes, die das Omnipod-System unter realen Bedingungen verwendeten, eine höhere Bolusfrequenz mit einer signifikant besseren glykämischen Kontrolle (gemessen als GMI und TIR).

Daten aus Europa bestätigen den Trend

Daten von Nutzern des Omnipod-Systems in Europa, die das diasend* Datenmanagementsystem verwendeten, wurden erstmals von Professor Dr. Thomas Danne in einem Posterkurzvortrag am 14. Mai präsentiert. In dieser Analyse luden 8964 Nutzer aus zehn europäischen Ländern, darunter Deutschland, im Jahr 2019 zeitweise ihre Daten auf das diasend Datenmanagementsystem hoch. Die Teilnehmer nutzten CGM, iscGM oder das integrierte BZ-Messgerät für mehr als 15,5 % der Zeit. Von diesen Nutzern hatten 2605 CGM/isCGM-Daten, in der Mehrheit iscCGM-Nutzer (84,9 %). In der CGM/isCGM-Gruppe waren Bolushäufigkeit, -menge und -anteil vergleichbar mit den Daten aus der nordamerikanischen Population. Eine höhere Bolushäufigkeit war signifikant mit besseren glykämischen Ergebnissen (TIR und GMI) assoziiert.

Bessere HbA1c-Werte und geringerer Insulinbedarf

Bei einem Industriesymposium der Firma Insulet Inc. wurden von Dr. Keuthage weitere bisher unveröffentlichte Real-World-Daten von Nutzern des Omnipod-Systems aus den USA präsentiert, welche auf Patientendaten basieren, die regelmäßig von Klinischen Service Managern als Teil des Standard-Omnipod-Patiententrainings gesammelt und die von den Patienten selbst oder dem medizinischen Fachpersonal geliefert wurden. Die retrospektive Analyse von Nutzern mit Typ-1-Diabetes, die von ICT oder einer anderen CSII-Therapie zum Omnipod® gewechselt waren, zeigte, dass sich in allen Altersgruppen in den ersten 90 Tagen der Umstellung auf das Omnipod®-System signifikant die HbA1c-Werte besserten, die tägliche Gesamtinsulindosis reduzierte und die selbst berichteten hypoglykämischen Ereignisse reduzierten. Unter Nutzung von Patientendaten aus dieser Datenbank wurden auf dem ­ATTD-Kongress 2021 erstmals neue Daten zum Omnipod DASH Insulin Management System vorgestellt.1

Fazit

Bei der täglichen Arbeit in der Praxis stellen uns CBDMS vor Herausforderungen, sowohl in Bezug auf die technische Ausstattung als auch die Wahrung des Datenschutzes unserer Patienten. Die bei der DDG-Tagung präsentierten Daten zeigen allerdings eindrucksvoll den Wert von Real-World-Daten aus CBDMS. Es ist wünschenswert, wenn sich alle Anbieter von CBDMS den hier gezeigten Beispielen anschließen und „ihre“ Daten publizieren, selbstverständlich mit Einverständnis der Patienten und unter Wahrung des Datenschutzes. Für die Zukunft sollten Regeln aufgestellt werden, nach denen solche Daten erhoben, gespeichert und ausgewertet werden. Wäre es vorstellbar, dass Real-World-Daten nach vorab definierten Kriterien und Schnittstellen der (Versorgungs-)Forschung zur Verfügung gestellt werden? Auf diesem Wege könnten diejenigen am meisten vom „Datenspenden“ profitieren, von denen die Daten ursprünglich stammen und denen sie immer noch gehören: die Patienten!  KEU

* eingetragene Warenzeichen

1. Aleppo G. et al. „Glycemic Improvement in 1311 Patients with Type 1 Diabetes (T1D) Using the Omnipod DASH Insulin Management System Over First 90 Days of Use“, ATTD 2021

Quelle: Diabetes Kongress 2021