Fehler im Notdienst wird richtig teuer
Die Geschichte hat dramatische Elemente: Im Sommer 2002 reiste eine heute 50-jährige Britin aus Singapur mit ihrem Verlobten ins südliche Afrika. Dieser kam dort bei einem Unfall ums Leben; die Frau überführte den Leichnam zur Beerdigung nach Deutschland. Am 7. August 2002 traten bei ihr erkältungsähnliche Symptome auf, woraufhin sie den Verdacht einer Malariaerkrankung schöpfte. Am 9. August bezog sie ein Zimmer in einem Hotel am Frankfurter Flughafen, um nach London zurückzureisen.
Hotelpersonal fand die Patientin bewusstlos im Bett
Im Hotel verschlechterte sich ihr Zustand; sie rief die Zentrale des Bereitschaftsdienstes an. Nach Mitternacht traf der diensthabende Bereitschaftsarzt in Begleitung seines Sohnes ein. Die Frau teilte ihm mit, unter Fieber und schwerem Durchfall zu leiden. Die weiteren Aussagen blieben vor Gericht strittig. Die Frau behauptete, Afrika und ihren Malariaverdacht erwähnt zu haben, der Arzt meinte, Asien und keinesfalls das Wort Malaria gehört zu haben. Der Zeuge konnte sich nicht eindeutig erinnern.
Jedenfalls diagnostizierte der Arzt nach der körperlichen Untersuchung der Britin einen gastrointestinalen Infekt, verabreichte ihr Paracetamol und verließ sie. In den folgenden Stunden verschlechterte sich ihr Zustand. Am Morgen des 11. August wurde sie vom Hotelpersonal bewusstlos im Bett aufgefunden.
Beeinträchtigungen beim Sehen und Gedächtnis
Im Frankfurter Universitätsklinikum wurden eine Malaria tropica mit Cerebralbeteiligung, ein Exanthem der oberen Thoraxhälfte, ein Hirnödem und cerebrale Krampfanfälle diagnostiziert und behandelt. Am 27. August verließ die Frau die Klinik. In London wurde sie weiterbehandelt, wobei es im weiteren Verlauf im Wesentlichen um verbliebene Sehbeeinträchtigungen ging.
Die Frau verklagte den Arzt zunächst auf Schmerzensgeld und Ersatz der Behandlungskosten: Bei fehlerfreiem Vorgehen wären ihr das Hirnödem, das Koma und die dadurch ausgelösten Dauerschäden erspart geblieben. Ihr sei es unmöglich, einen Beruf mit durchschnittlichen Anforderungen an PC-Arbeit auszuüben. Wegen Störungen der Fähigkeit, sich neu vorgestellte Personen zu merken, könne sie nicht mehr ihrer früheren Tätigkeit nachgehen, die u.a. die Organisation von Meetings, Messen und internationalen Verhandlungen umfasste.
Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits legte sie eine Berechnung vor, die den Verdienstausfallschaden für die Jahre 2002 bis 2006 mit 1,6 Mio. Euro beziffert sowie ab 2007 einen jährlichen Betrag von rund 320 000 Euro vorsieht.
Mehrere Sachverständigengutachten wurden erstellt. Verschiedene Gutachter kamen zu dem Schluss: Der Arzt hätte aufgrund der Symptome der Klägerin (38,5 Grad Fieber, Herzfrequenz von 124 Schlägen pro Minute, Durchfall, geschwächter Zustand), ihrem außereuropäischen Aufenthalt und ihrem Verlangen nach einer Blutuntersuchung (gegenüber der Bereitschaftsdienstzentrale) an eine Tropenkrankheit, insbesondere Malaria, denken und den genauen Aufenthaltsort erfragen müssen. Es liege ein grober Behandlungsfehler vor sowie eine mangelnde therapeutische Aufklärung. Der Arzt hätte sich um eine weiterführende Untersuchung kümmern müssen. Neurologische wie augenärztliche Gutachter sahen einen Zusammenhang zwischen dem malariabedingten Hirnödem und der Beeinträchtigung des Gedächtnisses sowie der Sehfähigkeit.
Schadenersatz für verloren gegangenen Broterwerb
Kurz: Wie zuvor das Landgericht, kam am 21. März 2017 auch das Oberlandesgericht Frankfurt (Az.: 8 U 228/11) zu dem Schluss, dass der Arzt zahlen muss. Ohne Revision zuzulassen, verurteilte es den Arzt zu 35 000 Euro Schmerzensgeld plus Zinsen, zum Ersatz von 10 600 Euro Behandlungskosten plus Zinsen und zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits. Vor allem aber verpflichtete es ihn, sämtliche materielle Schäden zu ersetzen, die infolge der fehlerhaften Behandlung seit August 2002 entstanden sind und noch entstehen. Und da geht es um siebenstellige Beträge!
Vorausgesetzt, es bleibt bei der Entscheidung (Nichtzulassungsbeschwerde wurde eingelegt), wäre in einem weiteren Verfahren, das wiederum Jahre dauern kann, die genaue Höhe des Schadenersatzes festzulegen. Hoffentlich reicht dafür dann die Versicherungssumme der Haftpflichtpolice. Denn drei Millionen Euro Deckung gelten heute nicht mehr als ausreichend, sagt ein Anwalt. Es sollten mindestens fünf, besser zehn Millionen Euro sein. Die beiden Parteien könnten sich natürlich auch außergerichtlich – im Rahmen der Deckungssumme – einigen, um die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen. Diese zeigt drastisch, wie sich ein scheinbarer Bagatelleinsatz – Touristin mit Fieber – zu einem jahrelangen Ringen um große Summen entwickeln kann.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht