Terminschwänzer No-Show im Behandlungszimmer
Als der Vorstand der KV Saarland die Befragungsergebnisse zur mangelnden Termintreue Journalisten präsentierte, hatte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen die Debatte um eine Ausfallgebühr schon losgetreten – und umgehend Kritik von Kassen- und Patientenvertretern geerntet. Fakt ist: Die Zahlen aus dem Saarland zu den Ausfallzeiten, die in den Praxen unnötigen Aufwand erzeugen und zulasten anderer wartender Patienten gehen, sind frappierend. Man könnte sogar zu dem Schluss kommen: Gäbe es mehr Termintreue bei den Patienten, könnten die Klagen über lange Wartezeiten verstummen und eine Terminvermittlung über die KV wäre überflüssig. Jedoch scheint das richtige Rezept für die Steuerung zu fehlen.
Im Saarland gibt es 1.289 Vertragsarzt- und -psychotherapeutenpraxen. 478 davon (37 %) beteiligten sich an der Umfrage der KV. Sie meldeten dieser fürs 2. Quartal 2023 fast 30.000 von Patienten abgesagte Termine sowie über 44.000 Vereinbarungen, die unentschuldigt verstrichen (sog. No-Show).
Im Quartal 200.000 nicht wahrgenommene Termine
Besonders betroffen waren fachärztliche Praxen, die – anders als Hausärzte – Ausfallzeiten eher selten durch Patienten kompensieren können, die akut in die Praxis kommen: In 293 Einrichtungen wurden rund 25.000 Termine storniert sowie 38.000 Praxisbesuche ohne Absage geschwänzt. Eine Hochrechnung auf alle Praxen im Land ergibt 200.000 nicht wahrgenommene Termine im zweiten Quartal, wovon 119.000 ohne Absage blieben.
Erstaunlich: Selbst bei Pädiatern, die gemeinhin als rar gelten, wurden hochgerechnet fast 6.500 Termine ohne Absage nicht genutzt. Die KV vermittelte per Terminservicestelle (TSS) rund 1.600 Psychotherapeutenkontakte für Erwachsene sowie Minderjährige; gleichzeitig platzten 2.200 Treffen bei Therapeuten ohne Absage. Ein ermächtigter Arzt in einer Schmerzambulanz, der nur auf Überweisung hin tätig wird, berichtete von 42 nicht wahrgenommenen Terminen.
Für die Quartale 3/22 bis 1/23 stellte die KV fest, dass von 499 Gastroskopien, die die TSS vermittelt hatte, 67 mangels Patient nicht durchgeführt wurden. Bei den acht Radiologiepraxen bzw. -standorten, die an der Umfrage teilnahmen, wurden 1.056 Termine im 2. Quartal ohne Absage nicht genutzt. Das heißt: Pro Arbeitstag (20 pro Monat) bekamen ca. 18 saarländische Patienten in diesen acht Praxen keine Termine für ein MRT oder CT, weil die Slots von Patienten blockiert wurden, die unentschuldigt fernblieben. Ein internistisches Zentrum berichtete von 46 kardiologischen Terminen, die von den Patienten weder abgesagt noch wahrgenommen wurden, sowie von 19 entfallenen Gastroskopien, 12 Koloskopien und 172 anderen Vereinbarungen. Praxismitarbeiterinnen rufen alle Patienten mit „kritischen Terminen“ (insbesondere kardiologischen und endoskopischen) etwa acht Tage vorher an und bitten um Bestätigung. Doch selbst in dem Fall wurden von April bis Juni 16 kardiologische Untersuchungen oder Behandlungen nicht realisiert – ebenso wie neun Gastroskopien, sieben Koloskopien sowie 32 übrige Termine.
Die Praxis rechnete vor: Bei 20 Minuten für einen kardiologischen Termin, 15 Minuten für eine Ösophagogastroduodenoskopie, 30 Minuten für eine Koloskopie und 10 Minuten für sonstige Termine – entsprechend den Zeitrastern im Kalender – ergibt sich eine Ausfallzeit von 107 Stunden pro Quartal, nicht eingerechnet die Zeit der Mitarbeiterinnen für die Kontrollanrufe und Umbestellungen bei Absagen.
Eine radiologische Gemeinschaftspraxis berichtete von 279 nicht abgesagten Terminen mit einem Zeitverlust von insgesamt 93 Stunden. Eine Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendmedizin schätzt den Zeitverlust für 74 nicht abgesagte Termine auf 35 Stunden – wovon die Hälfte der Vorsorge dienen sollten. Eine allgemeinmedizinische Einzelpraxis dokumentierte einen Verlust von 27 Stunden für 190 nicht abgesagte Termine.
Eine Aufgabe für Recall-Profis?
In etlichen Praxen ist es üblich, Patienten einige Tage vor ihrem Termin, der z.T. Monate zuvor vergeben wurde, ans Kommen zu erinnern, z.B. per Anruf oder E-Mail. Das hilft, aber leider nicht hundertprozentig. Kommerzielle Termindienstleister zeigen hier mehr (digitalisierte) Hartnäckigkeit. Patienten werden wiederholt, z.B. per E-Mail, an eine Vereinbarung erinnert. Es gab den politischen Vorschlag, die Nutzung solcher Dienste durch Praxen zu fördern. Der saarländische KV-Chef Prof. Dr. Harry Derouet hat Bedenken, dass dann weitere Beitragsgelder abfließen, die eher in der Versorgung gebraucht werden.
Pauschale für No-Show?
So wie die Krankenkassen für die Honorierung von Leistungen für ihre Versicherten aufkommen, sollten sie auch für blockierte Kapazitäten und Organisationsaufwand, die ihre Kunden in den Praxen verursachen, eine Ausfallgebühr zahlen. Ein vorgesehenes CT kann nicht spontan bei einem anderen Patienten erbracht werden, ebenso wenig wie ein invasiver Eingriff, den ein Facharzt samt Anästhesiologen vorbereitet hat. Der GKV-Spitzenverband kontert mit einem Gegenvorschlag: Dann müsse es auch einen finanziellen Ausgleich für Patienten geben, die viele Stunden Lebenszeit in Warteschleifen und -zimmern verbringen.
KV-Vermittlung: gratis, aber nicht ohne Kosten
Wer sich mit einer dringlichen Überweisung an die TSS der KV wendet, um zeitnah einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten zu erhalten, wird diesen sicherlich dankbar wahrnehmen, denkt man. Doch 12 % der im Saarland per TSS vermittelten Gastroskopien werden jedes Quartal nicht genutzt. Die Zahl der vermittelten Psychotherapeutentermine ist kleiner als die der geplatzten Kontakte. Jede TSS-Vermittlung kostet ca. 10 Euro, sagt KV-Vize Thomas Rehlinger. Bei Folgenlosigkeit: schade ums Geld. Muss das sein?
Schwänzer erziehen
Prof. Derouet erzählt von einer Kinderarztpraxis, in der gilt: Eltern, die zweimal ohne Angabe von Gründen Vorsorgetermine fürs Kind ungenutzt verstreichen lassen, kriegen keinen weiteren. Dr. Thomas Stolz, Gastroenterologe in Völklingen und Vorsitzender der KV-Vertreterversammlung, berichtet von einem Pfand-Modell. In der Praxis-IT wird vermerkt, wenn jemand wiederholt Termine vertrödelt. Bei einer erneuten Anfrage muss der Patient 50 Euro als Pfand hinterlegen. Erscheint er wie vereinbart zur Untersuchung oder Behandlung, bekommt er sein Geld zurück – was die Regel ist. Es gibt natürlich auch Patienten, die diesen Deal als unverschämt zurückweisen. Dem Internisten ist klar, dass man sich hier rechtlich auf dünnem Eis bewegt, doch es habe bisher keine Beschwerden bei der Ärztekammer gegeben.
Wie lautet Ihr Rezept für bessere Termintreue?
Die politisch korrekte Reaktion auf die festgestellte Misere bei der Termintreue ist ein Appell an die Eigenverantwortung der Patienten. „Wenn Sie absehen können, dass Sie einen vereinbarten Termin bei Haus- oder Facharzt nicht wahrnehmen können, sagen Sie ihn rechtzeitig ab!“, bittet die KV Saarland. Eine politisch unpopuläre Stoßrichtung zielt auf eine finanzielle Eigenbeteiligung der Patienten, wobei die geschickte Umsetzung unklar bleibt.
Was schlagen Sie vor? Wie sind Ihre Erfahrungen mit Terminvergabe und -ausfällen? Schreiben Sie uns bitte: mtd-kontakt@medtrix.group
Zeitverlust von 42 Stunden pro Praxis und Quartal
Insgesamt haben 387 Praxen bei der KV-Umfrage ihren Zeitverlust (Ausfallzeiten beim Arzt und bei Geräten für bestimmte Untersuchungen, erhöhter Aufwand Praxisteam) geschätzt bzw. dokumentiert: Im Schnitt belief sich dieser pro Praxis und Quartal auf ca. 42 Stunden. Die KV-Chefs Prof. Dr. Harry Derouet und Thomas Rehlinger können keine Relation der 200.000 nicht genutzten zu allen vergebenen Terminen nennen. Näherungsweise erwähnen sie die 1,6 Mio. abgerechneten Fälle pro Quartal. Bei einer Online-Umfrage der KBV Anfang Juli 2023 beklagten 44 % der 2.218 Teilnehmer, dass sie bei 5 bis 10 % ihrer Praxistermine Probleme mit unabgesagten Verabredungen haben, 16 % geben dies sogar für 10 bis 20 % ihrer Termine an.
Pressebericht: KV Saarland