Schlampiger Umgang mit Impfstoffen: Gesundheitsamt schickt die Polizei vorbei
Als ein Hamburger Internist am 21. Februar seine Sprechstunde beginnen will, wird er unliebsam überrascht. Um Punkt 9 Uhr stehen acht Beamte des Landeskriminalamts mit einem richterlichen Beschluss vor der Tür, um die Praxisräume zu durchsuchen.
Anlass für die Aktion sind Hygienemängel, die das Gesundheitsamt wenige Wochen zuvor bei einer Praxisbegehung festgestellt hat. Demnach hat der Internist in mindestens 13 Fällen abgelaufene Impfstoffe verwendet, was ihm den Vorwurf der Körperverletzung einbringt. Bei einigen Medikamenten sei das Haltbarkeitsdatum überschritten und Impfstoffe seien nicht fachgerecht gelagert worden, so das Amtsgericht Hamburg.
Mitarbeiter für den Umgang mit Impfstoffen geschult
Der Arzt fühlt sich zu Unrecht beschuldigt. Die Begehung durch das Gesundheitsamt habe zwei Tage nach seinem dreiwöchigen Urlaub im Herbst letzten Jahres stattgefunden, erklärt er. Zu diesem Zeitpunkt habe er zunächst den laufenden Praxisbetrieb bewältigen müssen und daher keine Zeit gehabt, sich um die Hygienevorschriften zu kümmern. Dies sei zudem die Aufgabe von zwei seiner Mitarbeiterinnen gewesen, denen er im Spätsommer 2016 sogar eigens eine Weiterbildung im Umgang mit Impfstoffen bezahlt habe.
Welche rechtlichen Folgen die Durchsuchung haben wird, ist noch unklar. Die Auswirkungen für die Praxis sind indes bereits spürbar. Da sich der Arzt von seinen noch in der Probezeit befindlichen Mitarbeiterinnen hintergangen fühlte, hat er sie umgehend entlassen. Er hat seinerseits Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen die beiden gestellt. Eine weitere Medizinische Fachangestellte hat von sich aus gekündigt.
"Der Arzt ist als Hauptverantwortlicher dazu verpflichtet, organisatorisch sicherzustellen, dass die Hygienevorschriften und die Vorgaben des Arzneimittelgesetzes in seiner Praxis eingehalten werden", erklärt der Wiesbadener Medizinrechtsanwalt Max Broglie. Verantwortlich bei Verstößen bleibe immer der Praxisinhaber; er könne dies nicht seinen Mitarbeiterinnen anlasten.
Fakt sei auch, dass Medikamente und Impfstoffe nach dem Arzneimittelgesetz nach Ablauf des aufgedruckten Verfalldatums grundsätzlich nicht mehr verwendet werden dürfen. "Es handelt sich hierbei nicht um ein Mindesthaltbarkeitsdatum", so der Jurist. Nachweisbare Verstöße rechtfertigten daher grundsätzlich zivil- und strafrechtliche Konsequenzen. Bei Hygienemängeln käme hinzu, dass diese nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als "voll beherrschbare Risiken" eingestuft würden, was beispielsweise nach einer Infektion zu einer Beweiserleichterung für den Patient führt.
So müsse ein klagender Patient nur darlegen, dass die Infektion aus der Praxis hervorgegangen ist, dass sie bei Einhaltung von Hygienestandards vermeidbar gewesen wäre und dass die Hygienestandards nicht eingehalten wurden. Hilfestellungen für ein korrektes Hygienemanagement bietet Ärzten das Kompetenzzentrum Hygiene und Medizinprodukte (CoC) der Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV. In einer 83-seitigen Mus-tervorlage gibt das CoC auf Basis der einschlägigen, bundesweit gültigen Rechtsvorschriften fachübergreifende Tipps für hygienerelevante Abläufe in Arztpraxen.
Hinsichtlich kühlkettenpflichtiger Impfstoffe heißt es in dem Leitfaden z.B., dass diese bei +2 °C bis +8 °C im Arzneimittelkühlgerät zu lagern sind. Auch gelte es, Anbruchs- und Verfallsdaten zu beachten. Bei Ausfall des Arzneimittelkühlgeräts sollte notfalls der Impfstoffhersteller zu Rate gezogen werden, um eine mögliche Weiterverwendung zu klären.
Musterhygienepläne und Selbsttest schaffen Sicherheit
Aber auch die einzelnen KVen und die KBV bieten wertvolle Hilfen in Form von Musterhygieneplänen und Leitfäden an. Auf der Homepage der KBV können Ärzte einen Selbsttest zur Hygiene mit 19 Fragen zu Aspekten wie Hygieneplan, Händedesinfektion, Hautschutz, Instrumentenreinigung, Desinfektion, Sterilisation, meldepflichtige Krankheiten oder Infektionsschutz machen ("Mein PraxisCheck").
Die online abrufbare KBV-Publikation "Überwachungen und Begehungen von Arztpraxen durch Behörden" umfasst ferner Checklisten, die Behörden bei einer Begehung verwenden sowie eine Übersicht der Ansprechpartner für Hygiene und Medizinprodukte in den KVen.
Sollte es wie im Fall des Hamburger Internisten dennoch zu einer polizeilichen Durchsuchung kommen, rät Broglie, höflich und verständnisvoll auf das Anliegen der Beamten zu reagieren und ggf. die Patienten nach Hause zu schicken.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht