Überweisung an den Facharzt: Bedrohliche Diagnose muss den Patienten erreichen
Die Sprechstunde ist zu Ende, die Post liegt zur Bearbeitung auf dem Tisch. In einem Arztbrief wird die Hausärztin informiert, dass ein langjähriger Patient, den sie vor Monaten wegen starker Schmerzen am linken Knie an einen Facharzt überwiesen hatte, an einem malignen Nervenscheidentumor leidet. Man kann sich vorstellen, dass die Hausärztin das bedauert und das Schreiben ablegt. Doch rund 15 Monate später erscheint der Patient wieder, diesmal wegen einer Handverletzung. Die Ärztin spricht ihn auf den Tumor an und muss feststellen, dass ihr Patient nie von dieser Diagnose erfahren hat. Der Patient verklagt die Ärztin auf einen Behandlungsfehler, er will Schmerzensgeld, Schadensersatz und Freistellung von vorgerichtlichen Kosten.
Ein Urteil hierzu zugunsten der Ärztin wurde jetzt vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Das Gericht stellte fest: Sorgt ein Arzt nicht dafür, dass ein Patient von einem Arztbrief erfährt, der eine bedrohliche Diagnose sowie angeratene ärztliche Maßnahmen enthält, ist das ein grober Behandlungsfehler. Zwar sei mit der Überweisung der Hausärztin an den Facharzt die Verantwortung für die Behandlung an diesen übergegangen. Aus ihrem Behandlungsvertrag mit dem Patienten sei die Ärztin aber weiterhin verpflichtet gewesen, ihm die Diagnose mitzuteilen. Und es gebe auch eine aus dem Behandlungsvertrag nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht.
Arztbrief nicht weiterleiten ist grober Behandlungsfehler
Außerdem würde ein Übergehen des Behandlungsvertrags auch nicht hinfällig werden lassen, dass der Hausarzt z.B. mögliche Bedenken gegen Diagnose und Therapie anderer Ärzte mit dem Patienten besprechen muss. Auch dürfe kein Arzt, „der es besser weiß“, eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn er etwa zu dem Schluss kommt, dass ein anderer Arzt etwas falsch gemacht hat.
Die Notwendigkeit, dem Patienten die Diagnose mitzuteilen, habe sich außerdem auch daraus ergeben, dass der fragliche Arztbrief, der noch dazu die Aufforderung enthielt, den Patienten vorzustellen, ausschließlich an ihre Person gerichtet war. Daraus ließ sich erkennen, dass die Ärzte des Klinikums sie als weiterbehandelnde Ärztin ansahen – womit gerade ein Hausarzt, der in der Langzeitbetreuung und damit auch interdisziplinären Koordination tätig ist, rechnen müsse.
Der Fall wurde zur Neuverhandlung ans Berufungsgericht zurückverwiesen.
BGH-Urteil v. 26. Juni. 2018, Az.: VI ZR 285/17