„heldentransfer.de“ Ungeimpfte auf Jobsuche
Praxisinhaber sollten dieser Tage genau hinsehen, wenn sie Stellenanfragen bekommen. Der Unternehmer Markus Böning hat ein Online-Jobportal geschaffen, das der Umgehung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen dient: „heldentransfer.de“. Böning ist bekannt für dubiose Geschäftsversuche im Gesundheitswesen und nach Angaben von 2021 Mitglied in der Querdenker-Partei „Die Basis“.
Das Portal „heldentransfer.de“ ist für Personen gedacht, die in medizinischen oder pflegerischen Berufen arbeiten und eine neue Stelle suchen müssen, weil sie die COVID-19-Impfung ablehnen. Die Betreiber der Seite behaupten, wenn ein Nutzer sich registriere und den gewünschten Arbeitsort angebe, werde jede regionale Einrichtung kontaktiert (s. Kasten).
Wie das Portal arbeitet
Auf „heldentransfer.de“ wird behauptet, man kontaktiere für alle Stellengesuche jede regionale Einrichtung. In früheren Projekten habe man eine Datenbank aller Arbeitgeber des deutschen Gesundheitswesens erstellt. Hat eine Einrichtung Interesse an einer suchenden Person, erhält diese eine Benachrichtigung und muss den weiteren Kontakt selbst aufbauen. Bis dahin bleiben Suchende offenbar anonym, nur die bei Registrierung angegebenen Qualifikationen werden den Einrichtungen vermittelt. Angeblich schließt „heldentransfer.de“ mit Arbeitgebern Personalvermittlungsverträge. Den Nutzern verspricht man, wenn die Vermittlung gelinge, zahle man ihnen ein volles Monatsgehalt. Das Geld dafür stamme aus der Pauschale, die die Arbeitgeber wegen des Vertrags an die Plattform zahlen.
Medical Tribune (MT) hat das Portal getestet. Das erstellte Gesuch einer Altenpflegerin aus der Umgebung von Bad Kreuznach wurde angeblich 87 Einrichtungen gesendet und von einer angenommen: Von einem Seniorenheim der Caritas, das von einer Stiftung geführt wird. Zu einer Stellungnahme ist das Heim nicht bereit.
Informiert über den Vorgang, fragte der Dachverband der Caritas stichprobenartig einige große Träger, ob ihnen das Portal bekannt ist und ob Geschäftsbeziehungen bestehen. Dies sei nicht der Fall, meint die Pressesprecherin. Da die einzelnen Träger als verbandliche Organisation autonom seien, auch in ihrer Personalpolitik, könne man es jedoch nicht kategorisch ausschließen. „Aber die Tatsache, dass uns nichts zu Ohren gekommen ist, zeigt, dass es, wenn es dazu kam, nur Einzelfälle waren.“
Fake-Bescheinigungen über „vorläufige Impfunfähigkeit“
Angesichts der einrichtungsbezogenen Impflicht, die seit Mitte März gilt, hilft eine vermittelte Stelle ungeimpften Arbeitnehmern erst mal nicht. Neue Beschäftigte dürfen nur eingestellt werden, wenn sie einen Nachweis über Impfung bzw. Genesung vorlegen oder eine Kontraindikation gegen die Impfung besteht. Um diese Regelung zu umgehen, verweisen die Betreiber auf ein zweites fragwürdiges Online-Portal, hinter dem Böning steht: liberation-express.de. Bis vor kurzem konnten sich Nutzer über die Seite für 17,49 Euro eine privatgutachterliche Stellungnahme kaufen, laut der sie „vorläufig impfunfähig“ seien. Argument: Eine Allergie gegen die Impfstoffe könne nicht ausgeschlossen werden, solange kein Allergologe etwas anderes sage. Eine Ärztin aus Baden-Württemberg unterzeichnete die Bescheinigung ohne jede Untersuchung. Die Wettbewerbszentrale hat das Angebot per einstweiliger Verfügung zumindest in Deutschland gestoppt, in anderen EU-Ländern ist es aber offenbar noch verfügbar. Gegen die Medizinerin ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Wie ein Rechtsanwalt die beiden Angebote beurteilt
Böning versucht, den Bescheinigungen eine juristische Tarnung zu verleihen. Dafür beauftragte er eigens ein Rechtsgutachten bei der Juristin Beate Bahner, die zuletzt als Querdenkerin auffiel. Sie behauptet darin, vor der Impfung müsse eine allergologische Untersuchung erfolgen, um einen anaphylaktischen Schock auszuschließen. Bis dahin sei von einer Impfunfähigkeit auszugehen.
Der Medizinrechtler und Arzt Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers hat sich das Gutachten auf Bitte von MT hin angesehen. Er lässt die Argumentations-Umkehr nicht gelten. Grundsätzlich sei ein zugelassenes Arzneimittel entsprechend der Fachinformation indiziert. Ergebe sich aus dem verpflichtenden Anamnesegespräch vor der Impfung kein Hinweis auf allergische Reaktionen, liege keine Kontraindikation vor. Eine Immunisierung könne durchgeführt werden.
Der Rechtsanwalt erklärt, in dem Gutachten werde „weniger argumentiert als schlichtweg behauptet.“ Rechtlich sei es nicht sehr gehalt- und wertvoll. Auch am Begriff der „vorläufigen Impfunfähigkeit“ stört er sich. Eine Unfähigkeit zur Impfung existiere nicht, allenfalls eine Kontraindikation. Doch auch eine „vorläufige Kontraindikation“ stoße denklogisch an ihre Grenzen. Bei einer laufenden Untersuchung könne zwar die vorläufige Vermutung eines medizinischen Nachteils auftreten. Gegenstand einer finalen Feststellung könne dies aber nicht sein.
Auch sonst fehle es dem Gutachten an Substanz. Beispielsweise wird darin behauptet, es wären keinerlei Sicherheitsprüfungen bezüglich der Impfstoffe durchgeführt worden. „Die Impfstoffe sind europaweit zugelassen,“ widerspricht Prof. Ehlers.
Die Bescheinigungen, die ohne jegliche Untersuchung ausgestellt wurden, haben laut dem Rechtsanwalt weder medizinisch noch juristisch irgendeine Relevanz. Ein Arzt könne zwar das Vorliegen oder Fehlen einer Kontraindikation bescheinigen. Er müsse sich dabei aber entsprechend der berufsrechtlichen Vorgaben an den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse halten. „Eine reduzierte Anzahl an generalisierten Fragen ist für eine Befundung über das Vorliegen von Kontraindikationen unzureichend.“
Was heißt das für Arbeitgeber?
Die mittels der von liberation-express.de ausgestellte Bescheinigung attestierte „vorläufige Impfunfähigkeit“ entspricht nicht den Anforderungen, die das Infektionsschutzgesetz an die Befreiung von der Impfpflicht stellt, so Prof. Ehlers. Dafür sei explizit eine „medizinische Kontraindikation“ notwendig. Legt ein Arbeitnehmer eine solche Bescheinigung vor, darf der Praxisinhaber dies laut dem Fachanwalt nicht akzeptieren. Mehr noch: Er ist zur Meldung des nicht-geimpften oder genesenen Mitarbeiters bei der zuständigen Gesundheitsbehörde verpflichtet.
Ein unmittelbares Kündigungsrecht des Arbeitgebers ergebe sich aus dem Infektionsschutzgesetz allerdings nicht, erklärt Prof. Ehlers. Eine pauschale Aussage sei hierzu rechtlich nicht möglich. Eine Kündigung sei stets das letzte Mittel. Zunächst müssten Alternativen erwogen werden, etwa Verlegung ins Homeoffice oder eine Freistellung. In Einzelfällen könne allerdings auch eine Kündigung rechtssicher sein.
Das Arbeitsgericht Lübeck befasste sich kürzlich mit dem Fall einer Krankenpflegerin, die ihrer Klinik bei Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht eine Bescheinigung von liberation-express.de vorgelegt hatte. Die Klinik kündigte ihr fristlos. Das Gericht beurteilte dies angesichts der langen Betriebszugehörigkeit zwar als unverhältnismäßig. Eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Fristen hielt es jedoch für sozial gerechtfertigt und wirksam. Die Vorlage einer vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung stelle eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar. Sie zerstöre das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung. Böning, dessen Firma die Prozesskosten der Angeklagten trägt, kündigte Berufung an.
Abschließend kommt Prof. Ehlers zu einem deutlichen Urteil: „Die Angebote sind ganz klar nicht haltbar. Dies gilt sowohl für den medizinischen als auch den juristischen Aspekt.“ Der Gesetzestext sei hinsichtlich der vorzulegenden Dokumente eindeutig. Liege weder ein Impf- oder Genesenennachweis noch eine Bescheinigung einer medizinischen Kontraindikation vor, gelte die Impfpflicht.
Medical-Tribune-Recherche