Heilmittelverordnung Sinn und Unsinn von Feldern und Kreuzchen
Ein kleiner Gamechanger ist sie schon, die neue Blankoverordnung. Seit April 2024 gibt es sie für Ergotherapie und seit November 2024 für die physiotherapeutische Versorgung. Bei einer Blankoverordnung wird in der Arztpraxis nur noch die Diagnose gestellt. Über die Art des Heilmittels, die Menge und die Frequenz entscheiden die jeweiligen Therapeutinnen und Therapeuten. Sie übernehmen damit auch die inhaltliche und vor allem auch die wirtschaftliche Verantwortung für die Behandlung.
In der Ergotherapie gilt diese Regelung u. a. anderem bei leichter Demenz und Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, aber auch z. B. Konzentrationsstörungen bei Post Covid unter dem Indikationsschlüssel PS3. In der Physiotherapie kann die Blankoverordnung für 144 Diagnosen im Bereich der Schulter eingesetzt werden. Gültig ist eine solche Verordnung für 16 Wochen.
Auf der Practica 2024 in Bad Orb beschäftigten sich Timo
Schumacher, Allgemeinarzt in Schwanewede in Niedersachsen, und Dr. Sabine Frohnes, Allgemeinärtzin in Kassel, mit den Feinheiten dieser und weiterer Regelungen, die im Zusammenhang mit Heilmittelverordnungen stehen. „Blankoverordnungen können Sie so oft ausstellen, wie es Ihnen notwendig erscheint. Es ist der Therapeut, der über die Therapie entscheidet und der die Therapie ggf. auch beenden muss“, erklärte Schumacher.
Was den Ärztinnen und Ärzten neben der Haftung auch erspart bleibt, ist eine Begründung für die Therapie, die aus der Hausarztpraxis heraus manchmal gar nicht leicht ist. „Die Therapeutinnen und Therapeuten müssen immer wieder Verordnungen zurückschicken, weil die Indikationsschlüssel in den Hausarztpraxen nicht so gut bekannt sind“, so Schumacher.
Warum im Blankorezept für Ergotherapie unter drei Indikationsschlüsseln gewählt werden muss, in der Physiotherapie dagegen unter 144 Diagnosen, und zwar nur für Schultererkrankungen, erschließt sich zwar nicht leicht. Hilfreich ist an dieser Stelle der Tipp von Hausarzt Schumacher, sich aus der Liste der ICD-Codes die allgemein gehaltenen auszusuchen wie etwa „Arthrose, nicht näher bzeichnet“ oder „Verletzung Schulter und Oberarm, nicht näher bezeichnet“, um nicht jedesmal die vielen kleinteiligen Diagnosen durchforsten zu müssen.
In medizinisch begründeten Fällen ist es Ärztinnen und Ärzten übrigens wie bisher möglich, über die Verordnungsdetails zu entscheiden. Schumacher warnt jedoch: Wenn der Arzt oder die Ärztin ein Blankorezept ausstellen können, es aber nicht tun, könnten sie damit auffällig werden und unter die Beobachtung der Krankenkassen geraten.
Einige Änderungen sind offensichtlich einfach passiert
Zu den wenig auffälligen Neuerungen in der Heilmittelverordnung dagegen gehören Dinge, die irgendwann einfach hinfällig geworden sind. Ein Beispiel hierfür ist das Ausfüllen des Freitextfeldes neben dem ICD-Code auf der Heilmittelverordnung. Für das Ausstellen eines Folgerezeptes sei es sinnvoll, das Feld auszufüllen, so Dr. Frohnes. Die Krankenkassen würden diesen Text zur Diagnose aber nicht lesen. „Egal was im Textfeld steht: Der ICD-Code muss stimmen“, unterstreicht Schumacher. Sind die Ziffern nicht bis auf die fünfte Stelle korrekt, könne das zur Regressandrohung führen.
Das Gleiche gilt für die Leistungssymptomatik. „Auch hier ist es egal, was ich ankreuze“, sagt Dr. Frohnes. Natürlich soll es zum Patienten, zur Patientin passen – aber diese Ausfüllmöglichkeit sei heute sinnlose Bürokratie, da die möglichen Heilmittel für die drei wählbaren Möglichkeiten die gleichen sind.
Die Angaben in diesem Feld könnten also maximal für die Statistik relevant sein, so Dr. Frohnes. Allerdings sei wahrscheinlich, dass die Daten in der Masse gar nicht mehr stimmen, da Praxen, denen bewusst ist, dass ihr Kreuz irrelevant ist, möglicherweise wenig Wert auf Genauigkeit legen.
Generell gilt: Pro Rezept können drei vorrangige Heilmittel und ein ergänzendes wie etwa Wärme verschrieben werden. Die Gesamtzahl der möglichen Therapieeinheiten pro Rezept darf nicht überschritten werden, so Dr. Frohnes. Möglich sei aber, weniger als die mögliche maximale Anzahl zu verschreiben. Bei akuten Kreuzschmerzen würden z.B. oft weniger Behandlungen ausreichen – was darüber hinausgeht, fällt schließlich nicht mehr unter akut und es wäre eventuell angezeigt, etwas anderes zu verordnen. „Ich verschreibe in bestimmten Fällen auch fünf Behandlungen. Damit ist für den Behandler auch klar, dass vom Arzt keine Folgeverschreibung angedacht ist“, erklärt Schumacher.
Bei Frequenz und Beginn lieber unbestimmt bleiben
Und wie sinnvoll ist es, einen Therapiebericht über das entsprechende Kreuzchen zu verlangen? Eigentlich sei das angezeigt, wenn die Verordnungen bei der entsprechenden Person über den Verordnungsfall hinaus gehen sollten. Klappen würde das mit dem Bericht aber dann doch oft nicht, berichtet Dr. Frohnes – das Schreiben der Berichte sei ausgesprochen schlecht bezahlt.
Was die anzugebende Frequenz betrifft, ist es empfehlenswert, sich nicht genau festzulegen, sondern eine bis drei Behandlungen in der Woche zu verschreiben. Die Patientinnen und Patienten sind meist sowieso von den Kapazitäten der Behandelnden abhängig. Aus den gleichen Gründen macht es auch wenig Sinn, den Beginn der Behandlungen von den vorgegebenen 28 Tagen auf z. B. 14 Tage zu reduzieren. In diesem verkürzten Zeitraum bekommen Patientinnen und Patienten in vielen Regionen gar keine Termine – egal wie dringend die Behandlung und wie engagiert der Erkrankte.
Quelle: 49. practica 2024