1A-Award: Dr. Reiner Keller mit Sonderpreis „Courage“ ausgezeichnet!
Warum sind Sie ursprünglich Arzt geworden?
Dr. Reiner Keller: Ich habe mich schon immer für Naturwissenschaften interessiert. Erster Favorit war Biologie, ich habe auch schon früh mikroskopiert. Ein Professor empfahl mir vor dem Studium: Die Jobchancen nach einem Medizin-Studium seien deutlich höher. Das hat mich überzeugt. So bin ich Arzt geworden und habe es bis heute keinen einzigen Tag bereut.
Wie waren Ihre Anfänge in der Selbstständigkeit?
Dr. Keller: Meine Frau und ich haben das 1993 gemeinsam entschieden – kurz vor dem Eintreten der Niederlassungssperre. Unser Motto war: Alles möglichst einfach, immer ein Auge auf die Kosten und wenig Risiko eingehen. So haben wir die Praxis in unserem Wohnhaus untergebracht. Wo andere eine Tischtennisplatte im Keller hatten, da war mein Sprechzimmer. Die Garage war das Wartezimmer. Wir haben beides miteinander verbunden, alles in Eigenleistung umgebaut.
Ein großer Sprung ins Jahr 2020. Wie kamen Sie zu den Coronatests auf den Baustellen?
Dr. Keller: In Bayern hatte die Landesregierung im Oktober beschlossen, dass Grenzpendler zum Beispiel aus Österreich in Deutschland einmal wöchentlich einen negativen Coronatest vorweisen müssen. Am Anfang waren das PCR-Tests. Der zukünftige Schwiegervater meiner Tochter leitet eine große Baustelle in Bayern, der war in großer Not. Für seine Firma arbeiten auch viele Österreicher, die zum Arbeiten über die Grenze kommen. Er fragte: Kannst Du die vor Ort auf der Baustelle testen? So fing alles an …
… und wie ging es dann weiter?
Dr. Keller: Am Anfang waren es so um die 100 Abstriche pro Tag auf der Baustelle. Nach wenigen Wochen waren dann die ersten Antigen-Schnelltests verfügbar. Das hat alles deutlich erleichtert und die Auswertung der Ergebnisse beschleunigt. Da wussten wir dann schon nach 15 Minuten: positiv oder negativ.
Welche Logistik stand hinter den Tests auf den Baustellen?
Dr. Keller: Die Bauarbeiter aus Österreich oder auch aus Polen bilden Fahrgemeinschaften, so war es wichtig, dass nach einem Wochenende positiv getestete Kollegen in Quarantäne bleiben – und nicht im Bulli mit den anderen sitzen. Deswegen haben wir immer am Donnerstag und Freitagmorgen getestet, auch in Frühzeiten lag so das Ergebnis noch vor dem Wochenende vor. So konnte ich positiv Getestete persönlich am Samstag oder Sonntag informieren, dass sie zu Hause bleiben sollen.
Wie haben Sie gerade vor den Schnelltests diesen Kampf mit der Zeit gewonnen?
Dr. Keller: Wir sind in München auf ein neu gegründetes Labor gestoßen, das Testpakete in großer Stückzahl verkauft. Also Test-Kits mit Abstrichmaterial, Versandbeuteln und Barcodes. Und das Labor hat garantiert, wenn ein Test bei ihnen bis 12 Uhr im Briefkasten landet, übermitteln sie noch am selben Tag das Ergebnis. Am Anfang haben meine Frau und ich noch persönlich unter Zeitdruck die Tests dort in den Briefkasten geworfen.
Bei der einen Baustellen-Anfrage blieb es nicht – wie schnell wuchs das Projekt?
Dr. Keller: Erst waren wir nur in Rosenheim auf der großen Bahnhofsbaustelle aktiv. Die gute Arbeit sprach sich herum. Dieselbe Firma forderte uns dann zu einer Baustelle am Deutschen Museum in München an, es folgten weitere Anfragen für meist kleine Baustellen. Da konnten wir nicht hinfahren, dafür erschienen die Arbeiter in unserer Praxis in Bad Aibling – morgens zwischen 5:30 und 6:00 Uhr. Das wurde super angenommen, alle waren begeistert.
Was war Ihr ungewöhnlichster Einsatz?
Dr. Keller: Wir wurden zum Sonderflughafen Oberpfaffenhofen beordert. Dort wurde gerade das Rollfeld mit einem Spezialbeton erneuert, der nicht austrocknen durfte. Deshalb hatten die Arbeiter nur wenig Zeit für einen Test. Meine Frau hat mit dem Laptop auf den Knien in unserem Auto die Formalien erledigt, ich bin komplett geschützt in einem weißen Overall und Vollvisier mit Handschuhen zu den Bauarbeitern gegangen und habe die Tests bei laufendem Betrieb gemacht.
Gab es auch Anfragen, die Sie ablehnen mussten?
Dr. Keller: Wir sind sogar bis Forchheim in Oberfranken gefahren, ein Weg per Zug hat drei Stunden gedauert. Das war irgendwie noch zu bewältigen. Als dann auch noch Anfragen aus Stuttgart kamen, haben wir ganz ehrlich gesagt: Das ist zu weit, das schaffen wir nicht.
Hatten Sie ab und an Probleme mit der Zuverlässigkeit der Schnelltests?
Dr. Keller: Nein, bei einem positiven Befund eines Schnelltests muss der ja regelhaft noch einmal durch einen PCR-Test bestätigt werden. Das Ergebnis war bei all meinen Testungen ebenfalls positiv, ich hatte also über die ganzen Monate nicht einen falschen Positiv-Test.
Hatten Sie keine Angst, sich selbst mit COVID-19 anzustecken?
Dr. Keller: Angst hatte ich nicht, aber mir war schon klar, dass ich mit diesen ganzen Kontakten auf den Baustellen einem höheren Risiko ausgesetzt bin als zu Hause auf der Gartenterrasse. Meine Frau und ich haben uns immer gewissenhaft geschützt. Einmal war es aber schon ein wenig brenzlig. Nach dem Testen habe ich noch ungeschützt mit einem Arbeiter diskutiert, ob er oder ich die Proben ins Labor bringen soll. Ausgerechnet der Mann wurde dann positiv getestet. Am Ende habe ich mich aber nicht infiziert, aber die Zeit bis zur Gewissheit war schon ein wenig aufreibend.
Welche Rolle hat bei diesem Engagement Ihre Frau gespielt?
Dr. Keller: Bei uns ist es tatsächlich so: Egal, was wir machen, wir sind ein eingespieltes Zweier-Team. Sie ist es, die mir auch in der Praxis den Rücken freihält. Sie organisiert alles, kümmert sich um die Finanzen, das Praxis-Management und ist erste Ansprechpartnerin für die Patienten. Auch bei den Coronatests auf den Baustellen hat sie die gesamten Formulare ausgefüllt, eigene Aufklärungsbögen erstellt und den Austausch mit den Arbeitgebern gemanagt. Ohne meine Frau wäre das alles gar nicht möglich gewesen.
Welche Erkenntnis nehmen Sie mit aus Ihrem Engagement auf den Baustellen?
Dr. Keller: Es hat mir große Freude bereitet, mal aus dem Praxisalltag auszubrechen. Meine Frau und ich haben auch medizinisch dazugelernt. Vor allem, was ist machbar auf einer Baustelle und wie und wo muss man improvisieren, um zum Erfolg zu kommen. Und wir haben größte Hochachtung vor den Menschen auf den Baustellen, die bei Wind und Wetter schwerste körperliche Arbeit verrichten. Auch die Logistik, die bei vielen Baustellen dahintersteckt, hat uns sehr beeindruckt. Mein Großvater war als Brückenbauer beschäftigt, jetzt haben wir selbst hautnah in dieses Geschäft reinschnuppern dürfen.
Freuen Sie sich über die Auszeichnung?
Dr. Keller: Wirklich sehr. Ich habe ja auf einer Kurzreise in Rom am Telefon erfahren, dass ich den Sonderpreis „Courage“ gewonnen habe. Wir haben die gute Nachricht gleich per WhatsApp mit unseren Kindern und engen Freunden geteilt. Die haben sich alle für uns mitgefreut.
Interview: Axel Wieczorek