Bei schwächelnden Senioren gezielt nach einer Sarkopenie fahnden
Erst kürzlich hat die europäische Arbeitsgruppe für die Sarkopenie im Alter (EWGSOP*) die Definition dieser Erkrankung aktualisiert. Danach soll eine Sarkopenie diagnostiziert werden, wenn ein Patient eine geringe Muskelkraft aufweist, verbunden mit einer niedrigen Muskelmasse oder Muskelqualität. Dieser Zustand lässt sich am besten als muskuläres Versagen oder Insuffizienz verstehen. Um die Diagnose zu erleichtern, entwickelte die EWGSOP erstmals Cut-off-Werte (s. Tabelle).
Referenzwerte* für Sarkopenie | ||
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Männer | Frauen | |
Handkraft (kg) | < 27 | < 16 |
Muskelmasse der Extremitäten dividiert durch Körpergröße im Quadrat (kg/m2) | < 7 | < 5,5 |
Gehgeschwindigkeit (m/s) | ≤ 0,8 | ≤ 0,8 |
Timed-up-and-go-Test (s) | ≥ 20 | ≥ 20 |
* nach den Empfehlungen der EWGSOP |
Nicht von einer kräftigen Statur täuschen lassen
Die Sarkopenie kann akut entstehen, z.B. infolge einer plötzlichen Immobilität, oder sich chronisch entwickeln, schreiben Professor Dr. Alfonso J. Cruz-Jentoft von der Universitätsklinik Ramón y Cajal in Madrid und seine britische Kollegin Professor Dr. Avan A. Sayer von der Newcastle University. Wie die Knochendichte bilden auch Muskelmasse und -stärke im jungen Erwachsenenalter ein Plateau und verringern sich danach, wobei vor allem die Kraft abnimmt. Die Sarkopenie kann auch bei adipösen Patienten auftreten, wobei die Leibesfülle häufig eine starke Muskulatur vortäuscht.
Generell steht es mit der Diagnose nicht zum Besten – die meisten Sarkopenie-Fälle bleiben unbemerkt. Die Expertengruppe fordert deshalb, bei Verdachtsmomenten wie Stürzen, Schwäche, Verlangsamung, selbst bemerktem „Muskelschwund“ oder Schwierigkeiten mit dem täglichen Leben gezielt nach einer Sarkopenie zu fahnden. Zum Screening eignet sich beispielsweise der SARC-F-Fragebogen mit fünf Fragen zu Kraft, Gehen, Aufstehen, Treppensteigen und Sturzneigung.
Für die weitere Diagnostik bei klinischem Sarkopenie-Verdacht oder positivem SARC-F empfiehlt die europäische Arbeitsgruppe EWGSOP die Messung der Handkraft. Liegt diese unter dem Referenzwert (Männer < 27 kg, Frauen < 16 kg), wird als Nächstes die Muskelstärke gemessen – mit der von der Knochendichtemessung bekannten DXA**-Methode. Die körperliche Leistungsfähigkeit lässt sich z.B. mit der Gehgeschwindigkeit oder dem Timed-up-and-go-Test erfassen und erlaubt möglicherweise Rückschlüsse auf den Schweregrad der Sarkopenie.
Im nächsten Schritt gilt es, nach den Ursachen des Muskelabbaus zu fahnden. Grundsätzlich gibt es drei Differenzialdiagnosen: Mangelernährung, Kachexie und Gebrechlichkeit. Eine reduzierte Muskelmasse bei normaler Kraft spricht eher für eine Mangelernährung als für eine Sarkopenie.
Die Sterberate ist nahezu vervierfacht
Sind Muskelmasse und Funktion verringert, weist dies auf eine Sarkopenie hin. Bei Krebspatienten oder terminalem Organversagen kommen häufig Kachexie und Sarkopenie zusammen. Eine Sarkopenie kann einer körperlichen Gebrechlichkeit zugrunde liegen.
Nicht zu unterschätzen ist das Risiko, das von der Sarkopenie ausgeht. Ein Studienreview mit Metaanalyse ergab einen klaren Zusammenhang zwischen Sarkopenie und Mortalität mit einer Odds Ratio von 3,59. Besonders eng war die Assoziation bei Männern und Frauen ab 79 Jahre. Auch funktioneller Abbau, Sturzrate und stationäre Aufenthalte korrelierten mit dem Schwund der Skelettmuskulatur. Therapeutisch empfehlen die internationalen Leitlinien in erster Linie körperliche Aktivität. Mit zum Programm sollte Krafttraining gehören. Denn es erhöht die Muskelmasse und bessert die Kraft. Außerdem wirkt es nachweislich bei älteren Patienten mit Sarkopenie.
Frauen könnte Vitamin D helfen, Männern Testosteron
Weniger gut sind die Daten für alimentäre Interventionen. Für die Kombination von Ernährung und körperlichem Training konnte bei Patienten mit körperlicher Gebrechlichkeit eine günstige Wirkung gezeigt werden. Weniger klar ist der Effekt einer alleinigen Ernährungsumstellung. Nicht zuletzt, weil es sich überwiegend um Beobachtungsstudien handelt. Die aktuellen Daten sprechen auch dafür, dass Supplemente mit hohem Proteingehalt für mangelernährte Sarkopenie-Patienten günstig sein könnten. Der Einfluss anderer Zusätze (beispielsweise Leucin und Omega-3-Fettsäuren) muss noch erforscht werden.
Spezielle Medikamente zur Behandlung der Sarkopenie gibt es bisher nicht. In einem Studien-Review konnte jedoch gezeigt werden, dass Vitamin D bei älteren Frauen mit niedrigen Ausgangswerten (< 25 nmol/l) einen günstigen Effekt auf Muskelkraft und körperliche Leistungsfähigkeit hat. Auch für Testosteron konnte bei Männern mit niedrigen Serumspiegeln (< 200–300 ng/dl) eine Steigerung der Muskelmasse gezeigt werden, wobei wegen der kardiovaskulären Nebenwirkungen Vorsicht geboten ist.
* European Working Group on Sarcopenia in Older People
** Dual Energy X-ray Absorptiometry
Quelle: Cruz-Jentoft AJ, Sayer AA. Lancet 2019; 393: 2636-2646; DOI: doi.org/10.1016/S0140-6736(19)31138-9