Parkinson Darm an Hirn, Hirn an Darm
Dass fehlgefaltetes und aggregiertes Alpha-Synuclein eine zentrale Rolle in der Pathogenese von Parkinsonerkrankung und Lewy-Body-Demenz (DLB) spielt, steht außer Frage. Die entstehenden Fibrillen stellen den Kern der Lewy-Pathologie dar. Einmal begonnen, springt der Prozess von Neuron zu Neuron über wie eine Welle, die das Nervensystem überschwemmt. Die Frage ist nur: Wo startet der Prozess?
Braak-Hypothese überzeugt, ist aber nicht komplett
Das von dem deutschen Neuroanatomen Professor Dr. Heiko Braak schon 2003 formulierte, inzwischen auch durch Tierversuche untermauerte Modell besagt, dass die Pathologie ihren Ausgang vom enteralen Nervensystem nimmt und sich über vagale Afferenzen über den dorsalen Motonukleus bis ins ZNS fortpflanzt. „Die klinischen Symptome passen gut zu dieser Hypothese“, erklärte Professor Dr. Per Borghammer, Universität Aarhus.
Viele Patienten entwickeln schon Jahrzehnte vor der Parkinsondiagnose eine Obstipation. Auch die REM-Schlafverhaltensstörung geht der eigentlichen Erkrankung oft um Jahre voraus, möglicherweise weil die dafür verantwortlichen Strukturen in der Pons beim Aufstieg der Pathologie vor der Substantia nigra liegen.
Die Braak-Hypothese ist überzeugend, aber nicht komplett, meinte der Arzt. Bei manchen Patienten finden sich keinerlei pathologische Veränderungen im dorsalen Motonukleus oder in der Amygdala, andere zeigen vor der Parkinsondiagnose keine autonomen Symptome oder Schlafstörungen. Die Pathologie nimmt in diesen Fällen ihren Ausgang offenbar nicht in der Peripherie, sondern zentral, so die Schlussfolgerung des dänischen Nuklearmediziners. Er propagiert daher das Modell „Brain-first versus Body-first“, geht also davon aus, dass es zwei Formen der Parkinsonerkrankung gibt.
Was determiniert den Ausgangspunkt?
Zwei-Typen-Modell erklärt unterschiedliche Muster
Das neue Modell macht auch eine weitere klinische Beobachtung plausibel, die Neurologen lange irritiert hat: 30 bis 40 % der Parkinsonpatienten zeigen bei der Diagnose ein symmetrisches Befundmuster, die übrigen ein asymmetrisches auf. Bei Patienten mit Lewy-Body-Demenz sind, sofern vorhanden, die Parkinsonsymptome zum Diagnosezeitpunkt zu 60–80 % symmetrisch. Dieses Phänomen lässt sich mit dem Modell des Alpha-Synuclein Origin and Connectome (SOC) erklären, das „Brain-first vs. Body-first“ ergänzt. Im Gehirn gibt es zwar 20 Milliarden Neuronen, das Corpus callosum als Brücke zwischen den Hirnhälften enthält aber 100-fach weniger Axone. Das bedeutet: „Jede Hemisphäre spricht in erster Linie mit sich selbst,“ sagte Prof. Borghammer. Die parasympathische und sympathische Innervation peripherer Organe inklusive des Magendarmtrakts ist dagegen nicht lateralisiert. Daraus folgt: Nimmt die Parkinsonerkrankung ihren Ausgang von zentralen Neuronen, breiten sich die pathologischen Prozesse zunächst in einer Hirnhälfte aus. Entsprechend wird die motorische und non-motorische Symptomatik asymmetrisch ausfallen. Unterzieht man den Patienten zu diesem Zeitpunkt einem Dopamin-Scan, wird er ein asymmetrisches Muster zeigen. Beginnt die Pathologie dagegen im Darm, breitet sie sich symmetrisch nach zentral aus und erzeugt gleichmäßig Symptome ohne Seitenbetonung. In Tiermodellen und in Dopamin-Scans von Patienten ließ sich das SOC-Modell exakt nachvollziehen.Body-first-Parkinson verhindern?
Schnellerer kognitiver Abbau bei Body-first-Patienten
Body-first-Patienten haben zum Zeitpunkt der Diagnose mehr Lewy- Pathologie und zeigen einen schnelleren kognitiven Abbau als Brain-first-Patienten. Auch das passt zum SOC-Modell. Denn wenn die Pathologie erst das Gehirn erreichen und motorische Symptome auslösen muss, um zur Diagnose zu führen, hat sie sich bereits auf beiden Seiten breitgemacht und schreitet deshalb rascher fort. „Wir sagen nicht, dass dies die einzige Erklärung für Parkinson und Lewy-Body-Demenz ist“, betonte Prof. Borghammer. Als wichtige Einflussfaktoren kommen u.a. eine Alzheimer-Kopathologie und genetische Einflüsse in Betracht, welche die individuelle neuronale Vulnerabilität modifizieren.Quelle: 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – Live. Interaktiv. Digital