Therapieentscheidung? Ejektionsfraktion wird als Nonplusultra bei Herzinsuffizienz hinterfragt

Autor: Manuela Arand

Die quantitative Bestimmung der EF erfolgt i.d.R. nach der sog. Simpson-Methode. Die quantitative Bestimmung der EF erfolgt i.d.R. nach der sog. Simpson-Methode. © faustasyan – stock.adobe.com

40 Jahre lang diente die linksventrikuläre Ejektionsfraktion als Leitschnur für die Therapie herzinsuffizienter Patienten. Neue Daten lassen diese Strategie fragwürdig erscheinen. Ein Experte und zwei Expertinnen diskutierten den Stellenwert des Parameters.

Die Ejektionsfraktion (EF) wurde als Selektionskriterium eingeführt, um Hochrisikopatienten für klinische Studien zu identifizieren, erinnerte Prof. Dr. Faiez Zannad, Emeritus der Université de Lorraine, Vandoeuvre-Les-Nancy. Ein potenzieller Therapiebenefit ließ sich dadurch bereits bei vergleichsweise geringer Teilnehmerzahl zeigen. Allerdings hat dieser Ansatz den wissenschaftlichen Blick auf das komplexe Krankheitsbild Herzinsuffizienz übermäßig simplifiziert, befand der Kollege. „Die Frage ist: Brauchen wir die EF, um zu entscheiden, welche Therapie ein Patient mit chronischer Herzinsuffizienz erhält?“

Erfolgreiche Arzneimittelstudien umfassten primär Patienten mit niedriger EF – bis vor Kurzem jedenfalls. Das bedeutet aber nicht, dass Medikamente wie ARNI, Aldosteronantagonisten und Betablocker bei einer EF über 40 % aufhören zu wirken. Es lohnt ein genauerer Blick auf die Resultate vermeintlich negativer Studien mit diesen Wirkstoffen. Zum Beispiel auf PARAGON, in der Sacubitril/Valsartan bei Patienten mit erhaltener EF untersucht worden war. Letztlich verfehlte die Behandlung mit dem ARNI knapp das Signifikanzniveau.

Profitabel bis weit in den Bereich der erhaltenen EF

Eine detaillierte Datenanalyse er­gab jedoch einen Benefit hinsichtlich kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz bis zu einer EF von mindestens 55 % – erst dann überschritt das Konfidenz­intervall die Signifikanzlinie.1 Als Kardiologen daraufhin andere Wirkstoffklassen der gleichen Analyse unterzogen, bot sich ein identisches Bild: Auch AT1-Blocker und Aldosteronantagonisten erwiesen sich als profitabel bis weit in den Bereich der erhaltenen Auswurffraktion hinein. Sogar Digitalis schien bis mindestens 45 % EF günstig zu wirken.2

Gepoolte Analysen der beiden EMPEROR-Studien mit dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin deuten in die gleiche Richtung3, ebenso die vor Kurzem publizierte Dapagliflozin-Studie DELIVER (s. Kasten). Bei beiden lässt sich keinerlei EF-Obergrenze für den Benefit ausmachen, was den Schluss nahelegt, dass der Arzt nicht auf das Echoergebnis warten muss, um einem Herzinsuffizienzpatienten SGLT2-Hemmer zu verordnen. Für Betablocker gibt es zu wenige Studiendaten, räumte Prof. Zannad ein. Aber die Präparate seien sicher und „die meisten Patienten brauchen sie ohnehin aus anderer Indikation“.

Schwache Reproduzierbarkeit sogar beim selben Untersucher

Der französische Kardiologe erinnerte auch daran, dass die Messung des Parameters alles andere als zuverlässige, eindeutige Werte liefert. Was dabei herauskommt, hängt von der Tagesform des Patienten ebenso ab wie von der des Untersuchers. Die Reproduzierbarkeit sei schwach, sogar beim selben Untersucher am selben Ultraschallgerät. Prof. Zannads Fazit: „Das Management der chronischen Herzinsuffizienz sollte nicht von einer einzigen EF-Hausnummer abhängen – wir sind Ärzte, keine Mechaniker.“ Vielmehr solle man den gesamten Patienten und insbesondere die zugrunde liegende Ätiologie des Herzleidens betrachten­.

Prof. Dr. Carolyn Lam, National Heart Center Singapur, hielt es dagegen für schwierig, sich darüber hinwegzusetzen, „dass jede einzelne Meilensteinstudie zur Herzschwäche eine EF-Grenze als Schlüsselkriterium für die Rekrutierung einschloss“. Alle aktuellen internationalen Leitlinien würden empfehlen, sich an der Auswurfleis­tung zu orientieren. Die Kollegin erinnerte zudem daran, dass Krankheitsmanagement mehr umfasst als Arzneimittel. Diagnose, Prognose, Therapie und Monitoring gehören ebenfalls dazu. Und überall spielt die EF eine Rolle.

Einige Therapien können Ärzte starten, bevor sie die EF kennen, findet auch Prof. Lam – solange man sich sicher ist, dass es sich um eine chronische Herzschwäche handelt. Als Beispiele nannte sie SGLT2-Inhibitoren und Diuretika. „Aber die Mehrzahl der Pharmaka inklusive der Neurohormonmodulatoren sollte denjenigen Patienten vorbehalten bleiben, die zumindest eine gewisse EF-Reduktion aufweisen“, so die Kardiologin.

Therapieerfolg übers gesamte Spektrum

In der DELIVER-Studie konnte für einen weiteren SGLT2-Hemmer gezeigt werden, dass Patienten unabhängig von der EF von dem Wirkstoff profitieren. Die Resultate mit Dapagliflozin, die Prof. Dr. Scott Solomon, Harvard Medical School, Boston, vorstellte, bestätigen die von EMPEROR-Preserved. Es zeigte sich eine signifikante Reduktion des kombinierten Endpunkts (kardiovaskulärer Tod und Herzinsuffizienz-Notfälle) um etwa 20 % in median 2,3 Jahren, getrieben insbesondere durch den Rückgang der herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen.

Mit ihren mehr als 6.000 Teilnehmern fügte DELIVER aber einige wichtige Informationen hinzu. Sie ist die erste Studie, die gezielt auch Patienten einschloss, deren EF sich durch eine Behandlung wieder verbessert hatte – eine Gruppe, bei der immer wieder diskutiert wird, ob sich die Therapieintensität nicht zurückfahren lässt. DELIVER zeigte, dass es sinnvoll ist, die Intensität sogar zu steigern: Patienten mit verbesserter EF zogen denselben Benefit aus dem SGLT2-Hemmer wie alle anderen. Außerdem profitierten diejenigen nach dekompensationsbedingter Hospitalisierung ebenso wie die ohne.

Quelle: Solomon SD et al. N Engl J Med 2022; 387: 1089-1098; DOI: 10.1056/NEJMoa2206286

Sie verwies außerdem darauf, dass der Nutzen der Therapie durchaus mit der EF-Reduktion korreliert und ein Mortalitätsbenefit ausschließlich bei HFrEF** gezeigt worden ist – das gelte für alle Pharmaka, aber auch für Devices. Wenn man den zu erwartenden Nutzen der Therapie abschätzen will, ist die Kenntnis der Auswurfleistung unabdingbar. Dass der Parameter die zugrunde liegende Biologie nicht widerspiegelt, ist ein Märchen, befand Prof. Lam. Außerdem korreliere er mit dem klinischen Profil der Patienten, z.B. mit Alter, Geschlecht, BMI, Herzfrequenz, Blutdruck, Komplikations­risiko und Begleiterkrankungen.

Zwar sei die EF nicht perfekt, konzedierte die Expertin. „Aber was ist schon perfekt unter den Tests, die uns in der täglichen Praxis zur Verfügung stehen?“ Sie begrüßte die laufenden Initiativen zu Präzisionsmedizin und zum „deep phenotyping“, verwies aber darauf, dass nichts davon auch nur annähernd praxisreif ist.

Prof. Dr. Biykem Bozkurt, Baylor College of Medicine, Houston, bemühte sich um einen Kompromiss. „Diese ganze Diskussion ist eigentlich überflüssig, denn als Kliniker wissen wir sehr genau, dass wir nicht allein die EF nutzen dürfen, um zu entscheiden, was wir tun“, meinte sie. Das Echo als Standarddiagnostik liefere den Wert sowieso, also warum nicht darauf schauen – neben anderen relevanten Informationen zu Ätiologie, Hypertrophie, Klappenmorphologie etc., die sich daraus ziehen lassen.

Für die Expertin lautet die eigentliche Frage für den Praxisalltag: Braucht man die EF, um die leitliniengerechte Vierfachtherapie zu starten? Da der Nutzen aller anderen Medikamente außer den SGLT2-Hemmern mit steigender Ejektionsfraktion abnimmt und Betablocker allein aus der Indikation HFpEF*** nicht verordnet werden können, sollte man den Wert kennen, findet Prof. Bozkurt. „Aber bei der EF stehen zu bleiben und die Medikation allein daran auszurichten, wäre ein Riesenfehler.“

*    European Society of Cardiology
**    heart failure with reduced ejection fraction
***    heart failure with preserved ejection fraction

Quellen:
1.    Solomon SD et al. Circulation 2020; 141: 352-361; DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.119.044586
2.    Kondo T et al. Eur Heart J 2022; 43: 427-429; DOI: 10.1093/eurheartj/ehab828
3.    Butler J et al. Eur Heart J 2022; 43: 416-426; DOI: 10.1093/eurheartj/ehab798
4.    European Society of Cardiology Congress 2022