Immunsystem Geschlechts- und gendersensible Medizin dient Männern und Frauen

DKK 2024 Autor: Dr. Claudia Schöllmann

Besonders das Immunsystem unterscheidet sich zwischen Männern und Frauen sehr stark. Besonders das Immunsystem unterscheidet sich zwischen Männern und Frauen sehr stark. © tostphoto – stock.adobe.com

Eine Medizin, die sich an genetischen und soziokulturellen Unterschieden zwischen Männern und Frauen ausrichtet, ist alles andere als ein „Frauenthema“, sondern kommt beiden Geschlechtern zugute. Das gilt auch und gerade in der Onkologie. 

Bevor Prof. Dr. ­Anne Letsch, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, mit ihrer Keynote Lecture zur geschlechts- und gendersensiblen Onkologie begann, klärte sie zunächst die beiden Begriffe, um die es ging:1 Während „Geschlecht“ die biologischen Attribute von Menschen beschreibt – Chromosomen, Genexpression, Hormone, physiologische Funktionen und Anatomie –, umfasst der Begriff „Gender“ zusätzlich die strukturellen und sozialen Determinanten von Gesundheit. Bei der geschlechts- und gendersensiblen Medizin geht es laut Prof. ­Letsch darum, Verständnis dafür zu wecken, dass 

  • erstens Körpersysteme von Männern und Frauen anders funktionieren können und 
  • dass sich zweitens Verhaltensweisen, Präferenzen und Einflüsse zwischen den Geschlechtern unterscheiden. 

All dies erfordere angepasste Strategien für Prävention, Screening, Diagnose, Behandlung und Nachsorge – zum Wohle beider Geschlechter, wie die Referentin nachdrücklich betonte.

Unterschiede hinsichtlich Krebsinzidenz und -mortalität

Gut dokumentiert seien Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Inzidenz und Mortalität von Krebsarten, sagte Prof. ­Letsch. Insgesamt seien Männer häufiger von Krebs betroffen als Frauen; zudem liege auch die Mortalität beim männlichen Geschlecht höher. Als mögliche Ursachen nannte sie Unterschiede hinsichtlich Genetik, Epigenetik, Immunität, Metabolismus, zellulärer Seneszenz und Angiogenese.

Im Sinne der Gendermedizin kommen soziale Faktoren hinzu, die die Häufigkeit und Schwere von Krebserkrankungen mit beeinflussen. So können laut Prof. ­Letsch Lifestyle-Faktoren, bestimmte Verhaltensweisen (Rauchen, Alkohol), die beruflich bedingte Exposition gegenüber Noxen, Ernährung und/oder Stress in beiden Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt sein. 

Um die komplexen Zusammenhänge zu erklären, führte die Expertin das Beispiel des Kolonkarzinoms an. Hier wisse man, dass neben einem Gendereinfluss auf krankheitsrelevante Risikofaktoren klare biologische bzw. genetische Unterschiede zwischen Mann und Frau existieren. So sind die Tumoren weiblicher Personen eher im proximalen Kolon lokalisiert, die von männlichen Erkrankten dagegen bevorzugt im distalen Kolon und Rektum. Darüber hinaus weisen die Karzinome von Frauen häufiger Mikrosatelliteninstabilität und BRAF-Mutationen auf, während beim männlichen Geschlecht chromosomale Instabilität sowie TP53- und APC-Mutationen vorherrschen. „Geschlecht, Gender und Genomik spielen zusammen,“ so Prof. ­Letschs Fazit.

Hoffnung KI

Künstliche Intelligenz soll dazu eingesetzt werden, in den bereits vorliegenden riesigen Datenmengen aus klinischen und Real-World-Studien Muster zu erkennen, die auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern und Gender-Einflüsse schließen lassen. Letztlich soll dadurch eine bessere und frühere Diagnose von Erkrankungen und eine Therapieoptimierung für beide Geschlechter unter Berücksichtigung der Heterogenität von Menschen und ihrer soziokulturellen Geschlechter möglich werden. 

Toxizität entscheidet über Therapieerfolg

Frauen entwickeln grundsätzlich eine verstärkte Toxizität gegenüber Krebsbehandlungen jeder Art – Chemo-, Immun- oder zielgerichtete Therapien –, die laut Prof. ­Letsch vermutlich durch eine im Vergleich zu Männern differierende Körperzusammensetzung sowie geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bedingt sei. Forschende arbeiten intensiv daran, die meist durch retrospektive Analysen erworbenen Erkenntnisse zu validieren und letztlich in unterschiedliche Behandlungsregime einfließen zu lassen. Wünschenswert sei, solche Fragestellungen zukünftig prospektiv zu untersuchen – darin waren sich Prof. Letsch und die anderen Expert:innen der Session einig.

Besonders relevant seien die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Mann und Frau hinsichtlich ihres Immunsystems, etwa was die Zusammensetzung der Immunzellpopulationen betrifft, erklärte Dr. ­Kathrin ­Heinrich, LMU Klinikum München.2 Gemeinsam mit der geschlechtschromosomgebundenen Expression epigenetischer Signale wirke sich dies auf das Ansprechen auf eine Behandlung mit CPI aus, das bei Männern deutlich besser ausfalle.

PD Dr. ­Ute ­Seeland, Charité – Universitätsmedizin Berlin, ergänzte, dass die mittlere Ansprechrate auf eine PD(-L)1-basierte Therapie bei Männern 54,6 % betrage, in der Gruppe der Frauen dagegen nur 33,1 % – eine Differenz, die sich auch in deutlichen Unterschieden hinsichtlich des mittleren progressionsfreien Überlebens widerspiegele (18 Monate vs. 5,5 Monate).3 Eine Metaanalyse mit über 11.000 an Melanom und Lungenkrebs Erkrankten bestätige ebenfalls, dass Frauen weniger von einer Immuntherapie profitieren als Männer (HR Männer vs. Frauen: 0,72 vs. 0,86). Im Gegensatz dazu sprächen weibliche Personen besser auf eine neoadjuvante Chemotherapie an. 

Auf Basis dieser Erkenntnisse forderte Dr. ­Seeland, alternative Immuntherapiestrategien abhängig vom Geschlecht zu entwickeln, auf die ausreichende Repräsentanz von Frauen in Studien zu achten und falsche Schlussfolgerungen aus überwiegend mit Männern oder gemischten Gruppen erzielten Ergebnissen zu vermeiden.

Quelle: Kongressbericht 36. Deutscher Krebskongress
1. Letsch A. DKK 2024; Vortrag „Keynote Lecture: Geschlechterunterschiede bei Krebs: Trennung von alten Denkmustern“
2. Heinrich K. DKK 2024; Vortrag „Genderunterschiede in der Immunologie – spielt das Geschlecht eine Rolle bei der ICI-Therapie (Immun-Checkpoint-Inhibitoren)?“
3. Seeland U. DKK 2024; Vortrag „Gender- bzw. geschlechterspezifische Medizin“