Bariatrischer Eingriff Hämoglobin im freien Fall
Die Adipositaschirurgie ist bislang die einzige Methode, die dauerhaft zu einer starken Gewichtsreduktion führt, Morbidität und vorzeitige Mortalität der Betroffenen senkt und eine diabetische Stoffwechsellage normalisiert bzw. einem Diabetes vorbeugt, schreibt ein Autorenteam um Prof. Dr. Kari Johansson vom Karolinska-Institut in Stockholm. Diese positiven Effekte haben allerdings ihren Preis: Nach einem bariatrischen Eingriff droht unter anderem ein Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen, Vitamin B12, Folsäure und Vitamin D.
Ursachen hierfür sind die anatomischen Veränderungen des Gastrointestinaltrakts, die reduzierte Aufnahme von Nahrung und damit auch Mikronährstoffen. Mit weiteren Forschenden untersuchte Prof. Johansson im Rahmen der Swedish-Obese-Subjects-Studie, wie häufig operierte Personen in den folgenden 20 Jahren eine Anämie entwickeln.
Jeweils mehr als 2.000 Personen mit und ohne OP im Vergleich
An der prospektiven Untersuchung beteiligten sich zwischen 1987 und 2001 insgesamt 480 Primärversorger und 25 chirurgische Kliniken in Schweden. Das Studienkollektiv umfasste 5.335 Personen im Alter zwischen 37 und 60 Jahren und einem BMI von mindestens 34 kg/m2 (Männer) bzw. 38 kg/m2 (Frauen). Insgesamt 2.007 Menschen entschieden sich für einen bariatrischen Eingriff: In 266 Fällen erfolgte die Anlage eines Magenbypasses, bei 1.365 Personen einer vertikalen bandverstärkten Gastroplastik und 376 erhielten ein Magenband.
Aktuelle Leitlinien zur Adipositaschirurgie
Autor: Antje Thiel
Das Kontrollkollektiv bildeten 2.040 bezüglich 18 verschiedener Variablen gematchte Personen, die eine konservative Adipositasbehandlung durchlaufen hatten. Das Spektrum der Maßnahmen reichte bei ihnen beispielsweise von Beratungen zur Lebensstiländerung bis hin zum Verzicht auf jegliche Therapie. Vorangegangene bariatrische Eingriffe, Zwölffingerdarm- oder Magengeschwüre, kürzlicher Myokardinfarkt, Bulimie, Alkohol- oder Drogenabusus sowie psychiatrische Erkrankungen galten als Ausschlusskriterien.
Innerhalb der folgenden 20 Jahre stellten sich die Teilnehmenden regelmäßig zu Kontrolluntersuchen vor, in deren Rahmen unter anderem ihr Hämoglobinwert bestimmt wurde. Eine Anämie definierte das Forschungsteam dabei als Abfall der Hämoglobinkonzentration unter 12 g/dl (Frauen) bzw. 13 g/dl (Männer).
Knapp 600 Anämien versus etwa 260 in der Kontrollgruppe
Während der medianen bzw. maximalen Nachbeobachtungszeit von 10 Jahren bzw. 20 Jahren verzeichneten die Wissenschaftler in der Gruppe der operierten Patient*innen insgesamt 593 Anämieereignisse – 133 nach Magenbypassanlage, 359 nach vertikaler bandverstärkter Gastroplastik und 101 nach Gastric Banding. In der Kontrollgruppe traten dagegen nur 261 Ereignisse auf. Bei Berücksichtigung verschiedener potenzieller Störvariablen (Alter, Geschlecht, BMI, Menopausenstatus, Schulbildung, Diabetes, Hypertonie) errechnete sich im Vergleich zum konservativen Management für den Magenbypass ein um den Faktor 5,1, für die vertikale bandverstärkte Gastroplastik ein um den Faktor 2,7 und für das Gastric Banding ein um den Faktor 2,8 erhöhtes Anämierisiko. Die mittels Magenbypass behandelten Patient*innen nahmen am häufigsten Nahrungssupplemente ein.Kumulative Anämieinzidenz nach 20 Jahren
- nach Magenbypassanlage: 69 %
- nach vertikaler bandverstärkter Gastroplastik: 37 %
- nach Gastric Banding: 36 %
- ohne operative Therapie: 24 %
Personen mit Adipositas, die sich für einen bariatrischen Eingriff entscheiden, müssen lebenslang konsequent Vitamine und Spurenelemente einnehmen und regelmäßig auf Nährstoffdefizite überwacht werden, so das Fazit der Forschenden. Dies gelte insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter, da bei einem Nährstoffmangel ein ungünstiger Schwangerschaftsverlauf (z.B. Frühgeburt, intrauterine Wachstumsretardierung) droht.
Quelle: Johansson K et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9: 515-524; DOI: 10.1016/S2213-8587(21)00141-8