Hoch dosiertes Vitamin D gefährdet nicht nur MS-Patienten
Wegen einer symptomatischen Hyperkalzämie und steigenden Kreatininwerten wurde ein 39-Jähriger von seinem Hausarzt ins Universitätsspital Zürich eingewiesen. Zuvor war der Versuch, die Werte durch verstärkte Flüssigkeitszufuhr, Trinken von Bouillon sowie durch Schleifendiuretika zu bessern, gescheitert.
Vitamin-D-Resistenz soll überwunden werden
Wegen seiner primär progredienten Multiplen Sklerose (PPMS) nahm der Patient schon seit mehreren Monaten Vitamin D in einer Dosis von 100.000 IU/d ein. Betreut wurde er dabei von einem deutschen Arzt, der nach dem sogenannten Coimbra-Protokoll behandelte. Dessen Namensgeber, ein brasilianischer Neurologe, geht von der Annahme aus, dass Autoimmunerkrankungen wie die MS mit einer genetisch bedingten Vitamin-D-Resistenz einhergehen und dadurch der immunmodulatorische Effekt des Vitamins vermindert wird. Durch die Zufuhr sehr hoher Vitamin-D-Dosen soll man die Resistenz überwinden und die Krankheit bessern können. Als Marker der Vitamin-D-Resistenz gilt das Parathormon, das im Verlauf der Behandlung wiederholt gemessen wird. Eine kalziumarme Diät und hohe Trinkmengen von mindestens 2,5 l/d sollen Nebenwirkungen vermindern.
Alles easy aus Patientensicht
Sukzessive Freisetzung aus dem Fettgewebe
Als Träger des MEN-1-Gens befand sich der Patient in regelmäßiger endokrinologischer Kontrolle, doch außer einem leicht erhöhten Parathormon waren bislang keine Veränderungen aufgefallen. Aktuell lag der albuminkorrigierte Kalziumwert jedoch bei 12 mg/dl und damit über dem Normbereich (8,4–10,2 mg/dl). Das Kreatinin erreichte 2 mg/dl (nach 3 mg/dl beim Hausarzt). Der Spiegel für 25-OH-Vitamin-D war mit 1742 nmol/l im toxischen Bereich. Als normal gelten Werte bis 125 nmol/l bzw. 50 µg/l, schreiben die Kollegen aus Winterthur. Das Parathormon wurde mit 96 ng/l (Norm 15–68 ng/l) gemessen.Zeichen der akuten Vitamin-D-Intoxikation
- Verwirrung
- Polyurie, Polydipsie
- Appetitlosigkeit
- Verstopfung
- Muskelschwäche
- Herzrhythmusstörung
- Niereninsuffizienz
- Vitamin-D-Intoxikation
- konsekutive Hyperkalzämie
- Dehydratation im Rahmen des durch die Hyperkalzämie induzierten Diabetes insipidus renalis
- akute Niereninsuffizienz
- leichter primärer Hyperparathyreoidismus durch MEN1-Mutation
Coimbra-Protokoll ohne nachgewiesenen Nutzen
Sie empfehlen, MS-Kranken und anderen Patienten mit Autoimmunkrankheiten von der Ultra-Hochdosistherapie mit Vitamin D abzuraten. Zum einen gebe es keine Evidenz für deren Nutzen, zum anderen drohe die Gefahr einer akuten, aber auch chronischen Niereninsuffizienz. Entscheiden sich Patienten dennoch für diese Therapie, sollten die Kalziumspiegel in Serum und Urin regelmäßig kontrolliert werden. Wichtig ist auch die Aufklärung über Symptome der Hyperkalzämie wie Polyurie, Durst, Müdigkeit und Obstipation, damit die Patienten gegebenenfalls frühzeitig den Arzt aufsuchen.Quelle: Lutz N et al. Swiss Med Forum 2020; 20: 230-233; DOI: smf.2020.08365