„Ich vergesse mich gleich!“ – Stress fördert neurodegenerative Störungen
Schon seit einiger Zeit werden mögliche positive Assoziationen von stressbedingten Erkrankungen und späteren neurodegenerativen Störungen diskutiert. Bislang galt das aber vor allem für posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) von Soldaten. Nun richtet sich der Blick erstmals auf die gesamte Bevölkerung.
ALS und M. Parkinson 20%wahrscheinlicher
Das Team um Dr. Huan Song vom West China Biomedical Big Data Center am West China Hospital der Universität Sichuan in Chengdu zog Daten aus landesweiten schwedischen Registern für seine Analyse heran. Die Wissenschaftler identifizierten zunächst alle Patienten, die zwischen 1987 und 2008 erstmals die Diagnose „Stresserkrankung“ erhalten hatten, dazu gehörten unter anderem PTBS, akute Stressreaktionen oder Anpassungsstörungen.
Ab fünf Jahren nach der Diagnose oder dem 40. Lebensjahr der Betroffenen prüften die Mediziner, wie oft bei diesen Patienten eine neurodegenerative Erkrankung, im speziellen Alzheimer, Parkinson oder amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufgetreten war. Diese Häufigkeiten verglichen sie mit denen der „nicht-gestressten“ Allgemeinbevölkerung, gematcht nach Alter, Geschlecht und Herkunftsland.
Mehr als 61 000 Stress-Patienten und knapp 600 000 Personen aus der Allgemeinbevölkerung gingen in die Auswertung ein. Über eine knapp fünfjährige Nachbeobachtungszeit fand sich in der Stressgruppe ein um mehr als die Hälfte erhöhtes Risiko für eine neurodegenerative Krankheit insgesamt (Hazard Ratio [HR] 1,57). Es lag noch höher, wenn man nur degenerative Läsionen mit primär vaskulärer Ursache heranzog (HR 1,80). Bewertete man die einzelnen Hirnerkrankungen separat, war nur die Assoziation mit der Alzheimer-Demenz signifikant (HR 1,36).
Die Ergebnisse gingen aber für Morbus Parkinson und amyotrophe Lateralsklerose tendenziell in die gleiche Richtung (HR 1,20). Diese Assoziation bestand, obwohl die chinesischen Kollegen mögliche Störgrößen, zum Beispiel den sozioökonomischen Status, sonstige psychiatrische Erkrankungen und eine positive Familienanamnese für die Neuro-Erkrankungen, berücksichtigt hatten. Die Ergebnisse bestätigte eine zweite Untersuchung von 44 839 Stress-Kranken und insgesamt 78 482 Gesunden aus der entsprechenden Geschwisterkohorte. In dieser Gruppe entfielen zumindest teilweise genetische und soziale Verzerrungen.
Quelle: Song H et al. JAMA Neurol 2020; DOI: 10.1001/jamaneurol.2020.0117