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Leitlinie Kardioonkologie Kardiotoxizität evidenzbasiert angehen

Autor: Manuela Arand

Bei einer Krebstherapie wird häufig das Herz in Mitleidenschaft gezogen. Was es diesbezüglich zu beachten und tun gilt, beschreibt die neue Leitlinie. Bei einer Krebstherapie wird häufig das Herz in Mitleidenschaft gezogen. Was es diesbezüglich zu beachten und tun gilt, beschreibt die neue Leitlinie. © ipopba – stock.adobe.com
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Dank moderner onkologischer Therapien überleben immer mehr Menschen den Krebs, doch viele zahlen dafür mit kardialen Komplikationen. Diese abzuwenden, erfordert systematische Früherkennung und enge interdisziplinäre Kooperation. 

Arrhythmien, Gefäßschäden, Myokarditis oder Herzinsuffizienz gehören zu den potenziellen Komplikationen einer Tumorbehandlung. „Wir sind mit neuen Kardiotoxizitäten konfrontiert, die wir managen müssen und oft auch können, aber dazu braucht es individuell maßgeschneiderte Ansätze“, erklärte Dr. Evandro de Azambuja­ vom Jules Bordet Institut in Brüssel. 

Im klinischen Alltag kommen solche Probleme viel häufiger vor als in klinischen Studien mit ihrer selektierten Patientenpopulation. Daher ist es unerlässlich, noch vor Beginn der onkologischen Therapie das gesamte kardiale Risikoprofil des Patienten, aber auch der geplanten Therapie zu erheben. Die frisch erschienene erste kardioonkologische Leitlinie* der ESC widmet sich auf mehr als 130 Seiten diesen Punkten.1 Viel Lesestoff, weshalb die Autoren die Empfehlungen in übersichtlichen Tabellen und Algorithmen zusammengefasst haben.

Algorithmus kalkuliert kardiales Risiko

Das Mindestprogramm umfasst kardiovaskuläre und Tumoranamnese, übliche Risikofaktoren, körperliche Untersuchung und Vitalparameter. Je nach Anamnese und Therapieplan sollte es ergänzt werden um EKG, Biomarker (NT-proBNP, Troponin, Lipide, HbA1c, eGFR) und transthorakales Echo (bevorzugt in 3D zur Ermittlung von Ejektionsfraktion) inkl. Messung des globalen longitudinalen Strains. Als hilfreiche Tools empfahl Dr. de Azambuja die vor zwei Jahren vorgestellten HFA-ICOS-Algorithmen, die aus diesen Faktoren und der vorgesehenen onkologischen Therapie das individuelle kardiale Risiko kalkulieren.2

Die „ESC Pocket Guidelines App“ enthält einen Risikokalkulator, der auf diesen Algorithmen basiert. Patienten mit hohem Risiko sollen zum Kardiologen, um zu klären, ob die Therapie geändert und/oder mit kardioprotektiven Maßnahmen flankiert werden sollte. Bei moderatem Risiko ist zumindest ein engmaschiges Follow-up angezeigt. 

Die Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Krebspatienten folgt den gleichen Prinzipien wie sonst auch, wobei die Herz-Kreislauf-Prävention die Krebstherapie nicht verzögern sollte. Es kommen jedoch noch ein paar Besonderheiten hinzu, vor allem, wenn der Patient ein Anthrazyklin erhalten soll, so Prof. Dr. Jutta Bergler-Klein, Medizinische Universität Wien, Abteilung für Kardiologie. 

Für jede Krebstherapie die passende Empfehlung

Besteht individuell ein hohes Risiko für Kardiotoxizität, sollten liposomale Anthrazykline den Vorzug erhalten. Außerdem lässt sich die Toxizität durch Dexrazoxan. Für Hochrisikopatienten unter Anthrazyklinen und/oder gegen HER2 gerichteter Therapie empfiehlt die ESC die primärpräventive Gabe von ACE-Hemmern/AT1-Antagonisten und Betablockern. Molekular zielgerichtete Therapien etwa mit VEGF-­Inhibitoren bergen ebenfalls ein Herzinsuffizienzrisiko, weshalb RAS-Inhibitoren und Betablocker erwogen werden sollten.

Abbrechen? Unterbrechen? Weitermachen?

Nicht jedes Herzproblem, das unter Krebstherapie auftritt, ist der Behandlung oder der Tumorerkrankung geschuldet, betonte Prof. Dr. Dimitrios T. Farmakis, National & Kapodistrian University of Athens Medical School. Es wäre fatal, die Behandlung zu modifizieren oder gar abzubrechen, ohne dass Onkologe und Kardiologe gemeinsam geprüft haben, ob der Patient die Probleme nicht allein seinen kardiovaskulären Risikofaktoren verdankt. 

Noch eins ist dem griechischen Kollegen wichtig: „Akute kardiovaskuläre Komplikationen bei Tumorpatienten werden behandelt wie bei Nicht-Krebskranken, sofern die maligne Erkrankung ihnen noch mindestens sechs Monate Lebenserwartung lässt.“ Die Plättchenhemmung nach Stentimplantation orientiert sich an der Thrombozytenzahl: Unter 10 000/µl gibt’s kein ASS, unter 30 000/µl kein Clopidogrel, unter 50 000/µl kein Ticagrelor oder Prasugrel.

Bei milden Formen der Kardiotoxizität ist ein Therapieabbruch ohnehin nicht gerechtfertigt, z.B. wenn sie nur im Monitoring auffallen. Bei moderater und nicht selten selbst bei schwerer Toxizität kann die Behandlung häufig wieder aufgenommen werden. Besondere Vorsicht ist bei Anthrazyklinen geboten wegen der Spättoxizitäten, die mit der Dosis kumulieren. Im Falle einer Myokarditis unter Checkpoint-Inhibition ist eine Unterbrechung der Therapie angezeigt, bis die Entzündung abgeklungen und die Steroidtherapie beendet ist. Ob die Behandlung dann wieder aufgenommen werden kann, sollte interdisziplinär entschieden werden.

Eine spezielle Form immunvermittelter Toxizität ist mit den Checkpoint-Inhibitoren (CPI) dazugekommen: Sie können Myokarditiden auslösen – zwar selten, aber potenziell tödlich (Letalität bis 50 %). Darauf ist vor allem zu Behandlungsbeginn zu achten und ganz besonders, wenn zwei CPI kombiniert werden sollen. Viele gängige Krebstherapeutika verlängern außerdem die QT-Zeit, was eine sorgfältige Rhythmus­überwachung notwendig macht, warnte Prof. Bergler-Klein. Die neue Leitlinie enthält für jede Antitumorsubstanzklasse, aber auch für die Strahlentherapie differenzierte Empfehlungen zu Monitoring und Risikoabwehr.

Quellen:
1. Lyon AR et al. Eur Heart J 2022; DOI: 10.1093/eurheartj/ehac244
2. Lyon AR et al. Eur J Heart Fail 2020; 22: 1945-1960; DOI: 10.1002/ejhf.1920

Kongressbericht: European Society of Cardiology ESC Congress 2022

* unter Beteiligung der European Society for Therapeutic Radiology and Oncology, European Hematologic Association und International Cardio-Oncologic Society

aktualisiert am 05.10.2022