Kopfschmerz: Wann die Überweisung zum Spezialisten lebensnotwendig ist
Bei mindesten 99 von 100 Patienten mit Kopfschmerzen steckt keine lebensbedrohliche Krankheit dahinter, erklären Dr. Solveig Carmienke vom Institut für Allgemeinmedizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Professor Dr. Dagny Holle-Lee vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum und Schwindelzentrum in der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen.
Anamnese ist der wichtigste Wegweiser
Zu den primären Formen, wie sie die Internationale Kopfschmerzgesellschaft klassifiziert, zählen vor allem Spannungskopfschmerzen und Migräne, seltener trigemino-autonome Kopfschmerzen, z.B. die klassische Trigeminusneuralgie. Bei sekundären Formen dagegen stellen die Kopfschmerzen nur eines von mehreren Symptomen dar, deren Ursache man auf den Grund gehen muss.
Für das weitere Vorgehen ist die Anamnese der wichtigste Wegweiser, betonen die Autorinnen. Vor allem, wenn Kopfschmerzen einen Patienten das erste Mal in die Praxis führen. Fragen Sie unter anderem nach:
- Beginn der Schmerzen (akut oder allmählich?)
- Intensität (vernichtend?)
- Lokalisation (frontal, okzipital/nuchal, ein- oder beidseitig?)
- auslösenden Aktivitäten (Sport, Pressmanöver?)
Damit erkennen Sie schon die meisten Patienten mit ernsten Ursachen, die körperliche Untersuchung und der orientierende neurologische Check erledigen oft den Rest.
Wann nun müssen Sie hellhörig werden und Betroffene sofort in die Klinik schicken? Die beiden Expertinnen nennen dazu eine Reihe von Alarmzeichen („red flags“, s. Tabelle). Scheuen Sie sich auch nicht davor, den Notarzt anzufordern, wenn Sie Bedenken haben, dass der Zustand des Kranken sich während des Transports akut verschlechtern kann.
Sofort einweisen! | |
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Art/Begleitsymptome der Schmerzen | Differenzialdiagnose(n) |
Donnerschlagkopfschmerz: plötzlicher Beginn, maximale Intensität, meist okzipital/nuchal, ggf. mit neurologischen Ausfällen | Subarachnoidalblutung |
Kopfschmerzen mit Fieber und Meningismus, ggf. weitere neurologische Ausfälle | Meningitis, Hirnabszess |
Kopfschmerzen mit auffälligen neurologischen Befunden, z.B.
| Hirnblutung (subarachnoidal, intrazerebral), Sinusvenenthrombose, arterielle Dissektion, ischämischer Schlaganfall, Malignom etc. |
Kopfschmerzen in Kombination mit gerötetem Auge, extrem hartem Bulbus und weiter, lichtstarrer Pupille | akuter Winkelblock (früher: akuter Glaukomanfall) |
Red flags, bei denen Patienten dringend, also binnen 24 Stunden, in die Klinik sollten, lauten:
- Verdacht auf Arteriitis temporalis
- atypische Migräne oder verlängerte Aura
- begleitende Verhaltensänderung
- begleitende relevante Systemerkrankung (Immunsuppression, Krebs, HIV)
- zusätzlich Erbrechen ohne andere Ursache
Warnzeichen („yellow flags“) sprechen dagegen für eine Ursache, für deren Abklärung etwas mehr Zeit bleibt. Beispiele umfassen einen Infekt der oberen Atemwege, Hypothyreose, zervikogene Schmerzen, Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch (oft frei verkäufliche, koffeinhaltige Analgetika-Mischpräparate), lageabhängige Kopfschmerzen oder auffällige Befunde bei der Untersuchung von Kiefer/Zähnen, Augen oder Nebenhöhlen.
Kopfschmerztagebuch über mindestens vier Wochen
Je nach Anamnese und Befund sind Blutsenkung, Blutzucker, Nierenwerte und Schilddrüsenhormone sinnvolle Laborparameter. Bei immer wieder auftretenden Symptomen, die sich auch nach ausführlichem Durchchecken nicht zuordnen lassen, können sie Ihrem Patienten empfehlen, mindestens vier Wochen lang ein „Kopfschmerztagebuch“ zu führen. Damit finden Sie möglicherweise auslösende Faktoren, an denen man ansetzen kann.
Quelle: Carmienke S, Holle-Lee D. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 651-658