Seltene Erkrankung Lag es doch nicht am Diabetes?

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Die NMOSD ist u.a. gekennzeichnet durch eine Demyelinisierung des Rückenmarks und der Sehnerven. Die NMOSD ist u.a. gekennzeichnet durch eine Demyelinisierung des Rückenmarks und der Sehnerven. © Axel Kock – stock.adobe.com

Ein Fallbericht unterstreicht, dass manchmal eben doch eine seltene Erkrankung hinter Symptomen steckt – auch, wenn sich auf den ersten Blick eine naheliegendere Ursache für die Beschwerden aufdrängt.

Bei einer 43-jährigen Patientin waren akut eine beidseitige Beinschwäche und Stuhlinkontinenz aufgetreten. Zwei Tage zuvor hatte sie eine Harndranginkontinenz und Rückenschmerzen bemerkt. Ähnliche Symptome hätte sie ein Jahr zuvor bereits gehabt. Damals sei ein Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert und eine Therapie mit Metformin eingeleitet worden. Die Symptome seien daraufhin wieder verschwunden.

Verminderte Berührungs- und Temperaturempfindlichkeit

Handelte es sich bei den Beschwerden also vielleicht um den Ausdruck einer diabetischen Nervenschädigung? Nein, die klinische und bildgebende Diagnostik wiesen in eine andere Richtung, schreiben Preston Nicely von der Brown University und Kollegen. Neben der muskulären Schwäche, die sich vor allem im linken Bein objektivieren ließ, wurde eine verminderte Berührungs- und Temperaturempfindlichkeit im linken Bein sowie im linken Auge eine verminderte Lichtreaktivität festgestellt. Das Babinskizeichen war bilateral positiv und der Patellarsehnenreflex auf der linken Seite abgeschwächt.

Ein akutes zerebrovaskuläres Ereignis als Ursache der Symptome konnte durch die zerebrale Bildgebung ausgeschlossen werden. Die spinale Kernspintomografie zeigte jedoch eine langstreckige transverse Myelitis von C7–T10. Im Liquor fanden sich keine oligoklonalen Banden. Diese Konstellation spricht für eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) als Ursache der transversen Myelitis, welche durch einen Anti-Aquaporin-4-Antikörper-Titer von 1:2.560 gesichert wurde. Dieser Befund weist eine Sensitivität für eine NMOSD von nahezu 100 % auf.

Die Patientin erhielt hoch dosiert Steroide und eine fünfmalige Plasmapherese. Nach 21 Tagen Steroid- und Physiotherapie waren die Symptome deutlich gebessert und es konnte ein immunsuppressives Langzeitregime eingeleitet werden.

Die NMOSD ist eine immunvermittelte entzündliche Erkrankung mit Demyelinisierung, axonaler Schädigung und perivaskulären Lymphozyteninfiltraten in Rückenmark und Sehnerven. Ursächlich sind Antikörper gegen Aquaporin-4(AQP4)-Kanäle auf der Oberfläche von Astrozyten, was zu einer Schädigung der Blut-Hirn-Schranke und zur Nekrose des Hirnparenchyms führt. Anti-AQP4-Antikörper haben eine nahezu 100-prozentige Sensitivität für NMOSD, aber nicht alle Patienten sind Anti-AQP4-positiv.

Betroffene fallen typischerweise mit einer Optikusneuritis und einer transversen Myelitis auf. Diese gehen einher mit sensorischen Defiziten, muskulärer Schwäche, Beinschmerzen, akutem Sehverlust und/oder Inkontinenz. Die Krankheit tritt in Schüben auf und kann unbehandelt schon innerhalb von fünf Jahren nach der ersten Attacke zu Paraplegie, Blindheit und Tod führen. Deshalb sei es so wichtig, die Diagnose frühzeitig zu stellen, mahnen die Autoren – und sie auch bei jenen Patienten zu erwägen, bei denen Vorerkrankungen eine andere Ursache für die Beschwerden nahelegen. So würde eben ein vorbestehender Diabetes dazu verleiten, zunächst fälschlicherweise an eine diabetische Neuropathie zu denken und in diese Richtung zu untersuchen.

Quelle: Nicely P et al. R I Med J 2024; 107: 10-13