Fußulzera vorbeugen Mit Schmerzfilament, Temperaturmatte und Biothesiometer

Autor: Dr. Vera Seifert

Ohne Schulung erscheinen die Betroffenen womöglich erst mit weit fortgeschrittener Ulzeration und deutlich schlechteren Therapiemöglichkeiten. Ohne Schulung erscheinen die Betroffenen womöglich erst mit weit fortgeschrittener Ulzeration und deutlich schlechteren Therapiemöglichkeiten. © H. Brauer – stock.adobe.com; Sreeraag P S - Wikipedia

Inzwischen gibt es ziemlich gute Methoden, um eine Neuropathie zu erkennen, bevor es zu einem Geschwür kommt. Mit verschiedenen Verfahren ermittelt man das Schmerz- und Vibrationsempfinden des Patienten oder überwacht die Hauttemperatur am Fuß. 

Eine recht gute Methode, Risikokandidaten für ein Fußulkus zu identifizieren, scheint die Messung des Schmerzempfindens zu sein, erklärte Prof. Dr. Maximilian Spraul, Diabetesschwerpunktpraxis Rheine. Er berichtete von einer Studie, für die man 130 ulkusfreie Diabetespatienten mit Polyneuropathie und vermindertem Vibrationsempfinden mittels eines sogenannten Pinprick-Stimulators bei 512 mN auf ihr Schmerzempfinden untersucht hatte. Bei allen hatte der Stimmgabeltest einen Wert ≤ 4/8 ergeben.

Der Pinprick-Stimulator sieht aus wie ein Monofilament, wie man es zur Ermittlung des Berührungsempfindens verwendet, erklärte Prof. Spraul. Während das Monofilament aber vorne abgerundet ist, ist der Pinprick-Stimulator vorne eckig. Beim Durchbiegen drückt eine Ecke in die Haut, was einen Schmerzreiz auslöst. 
Es zeigte sich, dass 55 % der Studienteilnehmer bei der Untersuchung mit dem Gerät keine Schmerzempfindung zeigten. Von diesen entwickelten innerhalb der folgenden 48 Monate 25 % ein Ulkus. Von den Patienten mit erhaltenem Schmerzempfinden im 512-mN-Pinpricktest waren es lediglich 10 %.

Das Problem mit den Schuhen

Effektive Entlastung ist das A und O, um Fußulzera vorzubeugen, betonte Prof. Spraul. Er hält das Tragen orthopädischen Schuhwerks für sehr wichtig. Es sei aber mühsam, die Patienten von der Notwendigkeit dieser Maßnahme zu überzeugen. Prof. Spraul hat immer wieder Patienten vor sich, die auf seine Frage nach den Schuhen antworten: „Die sind zu Hause. Die sind ja so unbequem, mit denen kann ich nicht Auto fahren.“

Auch mit viel Zureden lässt sich offenbar nichts erreichen. Eine niederländische Studie hat den Einfluss von intensiven Gesprächen im Sinne des Motivational Interviewing auf die Akzeptanz der Schuhe untersucht. Die 122 Teilnehmer wurden mit Sensoren im Schuh und Bewegungsmonitoren am Arm ausgestattet. Auf eine Tragedauer beim Gehen von über 80 % kamen in der Interventionsgruppe nach drei Monaten 15 %, in der Kontrollgruppe 31 % (!). Nach sechs Monaten waren es 13 bzw. 22 %.

Gut geeignet zur Früherkennung von Ulzera ist laut Prof. Spraul auch eine Fußmatte, die die Temperatur misst. Sie zeigt eine punktuelle Temperaturerhöhung der Haut als sogenannten Hotspot an, der einem Ulkus bis zu drei bis vier Wochen vorausgeht. In einer Studie aus den USA wurden 924 Patienten mittels der Matte überwacht und mit 2.757 gematchten Patienten verglichen. Wie sich zeigte, war das Monitoring nicht mit der Amputationsrate oder der Notwendigkeit von Krankenhausaufenthalten aus jedwedem Grund assoziiert. In einer anderen Untersuchung war die Überwachung der Fußtemperatur aber in über 50 % der Studiendauer mit einem verringerten Ulkusrisiko verbunden.

Biothesiometer statt Stimmgabel

Das Ergebnis im Stimmgabeltest ist sehr von Untersucher und Patient abhängig. Vernünftige Daten lassen sich mit diesem Verfahren kaum erheben, so Prof. Spraul. Zuverlässiger sei ein Biothesiometer. Mit diesem kleinen Gerät lässt sich die Vibrationswahrnehmungsschwelle in Volt quantifizieren. Als Grenzwert für eine periphere Neuropathie gelten 25 Volt.

Es gibt auch Studiendaten zur Temperaturmessung mittels Sockensensoren oder Infrarotthermometern. Allerdings sind die Abbrecherquoten bei diesen Untersuchungen relativ hoch, so Prof. Spraul. Zudem kommt es häufig vor, dass die Patienten zwar eine erhöhte Temperatur am Fuß feststellen, dann aber nichts unternehmen. In einer Untersuchung benachrichtigten nur 17–53 % der Betroffenen medizinisches Personal, nachdem sie einen Hotspot bei sich entdeckt hatten.

Die Methode an sich funktioniert also gut, zog der Referent sein Fazit. Sie ist aber noch nicht marktreif und derzeit offenbar nur für gut geschulte Hochrisikopatienten geeignet.

Wie wichtig ist die Schulung für eine effektive Ulkusprävention? Der Referent berichtete von einer Studie mit 107 Patienten mit Z.n. Ulkus, die entweder an einer Gruppenschulung zur Fußgesundheit teilgenommen oder aber lediglich Standardinformationen erhalten hatten. Zur Nachuntersuchung nach 24 Monaten hatten 77 Teilnehmer (56 %) neue Fußgeschwüre entwickelt, wobei es zwischen beiden Gruppen keinen Unterschied gab.

Gute Schulung verbessert die Prognose der Ulzera

Für Prof. Spraul ist dieses Ergebnis kaum verwunderlich, weil sich ein Rezidivulkus auch mit der besten Schulung nicht verhindern lasse. Er berichtete von den Ergebnissen einer früheren Arbeit, die zeigen, dass intelligente Menschen ebenso häufig Rezidivulzera bekommen wie weniger intelligente.
Bei ulkusfreien Patienten könne man aber mit einer Schulung erreichen, dass sie schon bei ersten Anzeichen für ein Geschwür in die Fußambulanz kommen. Ohne Schulung erscheinen die Betroffenen womöglich erst mit weit fortgeschrittener Ulzeration und deutlich schlechteren Therapiemöglichkeiten.

Quelle: Kongressbericht 19. Diabetologie-Update-Seminar