Neuer Score fürs Prostatakarzinom
Bislang existierte keine international anerkannte Methode zur prätherapeutischen Abschätzung der individuellen Prognose von Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs. Das ändert sich nun durch die Studie der International Staging Collaboration for Cancer of the Prostate, kurz STAR-CAP. Ihr neues Modell basiert auf den vom American Joint Committee on Cancer (AJCC) erstellten Kriterien und verbessert die prädiktive Genauigkeit vorangegangener Stagingsysteme. Es fokussiert sich auf die prostatakarzinomspezifische Mortalität (PCSM).
Die Wissenschaftler um Professor Dr. Robert Dess von der University of Michigan School of Medicine in Ann Arbor entwickelten das Instrument anhand einer großen Kohorte von 19 684 Männern aus 55 Zentren in den USA, Kanada und Europa.1 Alle Patienten litten an einem nicht-metastasierten Adenokarzinom der Prostata im Stadium cT1-4 N0-1 und waren zwischen 1992 und 2013 in kurativer Intention behandelt worden. Die Forscher schlossen alle möglichen Therapiestrategien in die Analyse ein.
Nach Validierung des Prognosemodells anhand eines Subkollektivs überprüften sie das Instument in einer unabhängigen, externen Surveillance, Epidemiology, and End Results(SEER)-Kohorte. Darin eingeschlossene Männer erhielten zwischen 2010 und 2015 Active Surveillance, Watchful Waiting, radikale Prostatektomie, Radiatio oder primären Androgenentzug.
Alter, Gleason, PSA sowie TN-Klassifikation einbezogen
Die Patienten der Entwicklungskohorte waren im Schnitt 64 Jahre alt. Einer radikalen Prostatektomie hatten sich 12 421 Männer und einer Radiatio mit oder ohne Androgenentzugstherapie 7263 unterzogen. Das mediane Follow-up betrug 71,8 Monate, 4078 Teilnehmer (20,7 %) waren über mindestens zehn Jahre nachbeobachtet worden.
Das vorgestellte Prognosemodell basiert auf den Parametern Alter, Gleason-Grad, T-und N-Stadium, dem prätherapeutischen PSA-Wert sowie dem prozentualen Anteil positiver Prostata-Stanzbiopsien. Für jede Kovariable werden entsprechende Punkte verteilt. Daraus entwickelten die Forscher einen neunstufigen Score: 0, 1–2, 3–4, 5–6, 7–8, 9–10, 11–12, 13–16 und mindestens 17 (siehe Tabelle). Dieser repräsentiert die „neuen“ Stadien IA bis IIIC. Der niedrigste Wert von 0 ist mit einer PCSM nach zehn Jahren von 0,3 % assoziiert. Der höchste Wert von mindestens 17 geht mit einer geschätzten Zehn-Jahres-PCSM von 40 % einher.
STAR-CAP-Score | ||
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Aspekt: | Punkte: | |
Alter (Jahre) | 0-50 51-70 ≥ 71 | 1 0 1 |
Gleason-Grad | 3+3 3+4 4+3 4+4, 3+5 4+5 5+3, 5+4, 5+5 | 0 3 5 6 7 8 |
Anteil an positiven Stanzbiopsien (%) | 0–50 % 51–75 % 76–100 % | 0 2 3 |
klinisches N-Stadium | N0 N1 | 0 8 |
klinisches T-Stadium | T1a–c T2a–b T2c, T3a T3b, T4 | 0 1 2 3 |
PSA-Wert | 0–6 7–10 11–20 21–50 51–200 | 0 1 2 3 4 |
Die Summe ergibt das Stadium: 0 Punkte: IA 1–2 Punkte: IB 3–4 Punkte: IC 5–6 Punkte: IIA 7–8 Punkte: IIB 9–10 Punkte: IIC 11–12 Punkte: IIIA 13–16 Punkte: IIIB ab 17 Punkten: IIIC |
Mit dem neuen System wurden die Erkrankten aus der achten Edition des AJCC reklassifiziert. Zum Beispiel wurden von Patienten der Validierungskohorte mit ursprünglichem AJCC-Stadium IIA nun 98 Männer dem Score entsprechend Stadium IC und 105 IIIA oder IIIB zugeordnet.
Beispielrechnung anhand des neuen Scores
Therapie und Ethnizität nicht berücksichtigt
Das neue Modell sagt die PCSM besser vorher als andere Prognoseinstrumente. Alle dafür relevanten klinischen Informationen sind in der Praxis verfügbar, betonen die Forscher. Auch im unabhängigen SEER-Datenset performte der neue Score besser. Er beantworte eine der drängendsten Fragen der Betroffenen, nämlich die nach dem tumorspezifischen Sterberisiko. Auch die Editorialisten, Professor Dr. Yaw Nyame von der University of Washington in Seattle sowie Dr. Willie Underwood vom Buffalo Community Center for Health Equity loben das neue Staging-Modell.2 Zwei Informationen fehlten allerdings: Die Therapiemodalität sowie die ethnische Abstammung der Patienten. Da die Behandlungsstrategien global stark variieren und sich zudem rasch verändern, befürworten die Kommentatoren jedoch die Entscheidung der STAR-CAP-Kollaboration, diesen Faktor nicht in den Score einfließen zu lassen. Dass das Instrument nicht die Ethnizität berücksichtigt, kritisieren sie dagegen: Da beispielsweise Männer afroamerikanischer Abstammung eine überproportional hohe prostatakarzinomspezifische Mortalität aufweisen, sollte diese Information ihrer Meinung nach in ein personalisiertes Prognosemodell aufgenommen werden.Quellen:
1. Dess RT et al. JAMA Oncol 2020; DOI: 10.1001/jamaoncol.2020.4922
2. Nyame Y et al. A.a.O.; DOI: 10.1001/jamaoncol.2020.4916