Rektumkarzinom: Erst mal abwarten oder direkt zum Messer greifen?
Kann die Watch-and-Wait-Strategie für Patienten mit Rektumkarzinom mit einem klinischen kompletten Ansprechen nach einer neoadjuvanten Therapie eine geeignete Alternative zur totalen mesorektalen Exzision sein? Vor allem für die Betroffenen selbst ist die Watch-and-Wait-Strategie eine attraktive Option, da so ein möglicherweise notwendiges Enterostoma vermieden werden kann. Allerdings entspricht dieses Vorgehen nicht dem derzeitigen Standard.
Vor diesem Hintergrund diskutierten Experten das Für und Wider der Rektumexstirpation bei Patienten im UICC-Stadium II und III im Vergleich zu einer abwartenden Haltung. Professor Dr. Michael Ghadimi von der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen setzte sich entschieden für eine Operation nach neoadjuvanter Therapie ein. Er betonte, dass die Datenlage für eine Watch-and-Wait-Strategie zurzeit nicht ausreichend sei. Es gebe nur retrospektive Daten und die Patientenkollektive seien zu heterogen.
Voraussetzungen für Watch-and-Wait noch nicht klar
Prof. Ghadimi wies darauf hin, dass es noch viele offene Fragen bezüglich der Watch-and-Wait-Strategie gebe. Wie beispielsweise können Patienten sicher identifiziert werden, die für diese Methode infrage kommen? Welche Kriterien sollen zur Diagnose einer kompletten klinischen Remission, die Voraussetzung für dieses Vorgehen ist, herangezogen werden? Der Referent wies darauf hin, dass etwa 10–25 % der Patienten, bei denen keine Rektumexstirpation vorgenommen wird, ein Rezidiv erleiden. Bei dieser Gruppe sei die dann notwendige Salvage-Operation nicht unproblematisch. Auch die Langzeitprognose dieser Patienten sei ungeklärt.
Was die Leitlinien dazu sagen
- eine komplette klinische Remission,
- eine intensive Patientenaufklärung und
- eine strukturierte Nachsorge.
Bei der Nachsorge gibt es Verbesserungspotenzial
Besonders problematisch sah Prof. Ghadimi die Nachsorge der Patienten, um ein Rezidiv frühzeitig zu erkennen. Diese muss mindestens alle drei Monate stattfinden und beinhaltet aufwendige Untersuchungen wie Endoskopie und Magnetresonanz-Tomographie. Extraluminale Rezidive seien zudem schwierig zu erkennen. Nach seiner klinischen Erfahrung funktioniert die Nachbetreuung häufig nicht optimal: Es fehle an einem standardisierten Follow-up, und im interdisziplinären Team seien die Verantwortlichkeiten oft nicht klar festgelegt. Dem setzte Dr. Cihan Gani, Strahlentherapeut an der Universitätsklinik für Radioonkologie in Tübingen, sein Statement entgegen. Dr. Gani hält die derzeitige Studienlage für ausreichend. Ein höherer Evidenzgrad sei durch weitere Untersuchungen nicht zu erwarten. Zwar fehlen evidenzbasierte randomisierte klinische Studien. Das ist für den Experten jedoch kein Grund, die Watch-and-Wait-Strategie bei dafür geeigneten Patienten nicht zu empfehlen.Auch die Lebensqualität sollte bedacht werden
Wichtig war ihm vor allem die Lebensqualität der Betroffenen. Er betonte, dass die Einbußen an Lebensqualität so relevant seien, dass die bei der Watch-and-Wait-Therapie noch bestehenden Restunsicherheiten vertretbar seien. Dies belegte er u.a. anhand einer multizentrischen Patientenbefragung, die zeigte, dass 40 % der Teilnehmer eine um 2–10 % geringere Kurationschance für einen Organerhalt durchaus in Kauf nehmen. Voraussetzung der Watch-and-Wait-Strategie ist jedoch immer eine umfassende Aufklärung des Patienten sowie eine sichere Compliance für die aufwendige Nachsorge, die mindestens alle drei Monate stattfinden sollte, waren sich die Experten einig.Quellen:
Oxford-Debatte „Therapie des Rektumkarzinoms – Organerhalt nach kompletter klinischer Remission: Auch außerhalb von Studien?“
25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)