Schulterschmerzen: OP birgt mehr Risiken als Physiotherapie

Autor: Dr. Andrea Wülker

Bei hartnäckigen Schulterschmerzen besser zur Physiotherapie gehen. Bei hartnäckigen Schulterschmerzen besser zur Physiotherapie gehen. © iStock.com/sefa ozel

Skalpell und Schaber sollte man lieber liegen lassen: Internationale Experten warnen vor der voreiligen subakromialen Dekompression bei Schulterschmerzen. Laut ihrer Analyse bringt eine Physiotherapie die gleichen Erfolge.

Annähernd jeder vierte Erwachsene litt im letzten Jahr an Schulterschmerzen. Bei bis zu 70 % waren sie unterhalb des Akromions lokalisiert. Obwohl die Hälfte der Patienten innerhalb eines halben Jahres wieder beschwerdefrei ist, können länger als drei Monate anhaltende Schmerzen das Risiko schlechterer Outcomes erhöhen. Zur Behandlung werden in erster Linie Analgetika (z.B. Paracetamol, NSAR), Glukokortikoidinjektionen und Physiotherapie verordnet.

Infektionen, Thromboembolien und Nervenverletzungen

Die subakromiale Dekompressionsoperation, bei der man die Bursa subacromialis sowie Knochensubstanz von der Unterseite des Akromions entfernt, dient als Zweitlinientherapie bei länger anhaltenden Beschwerden. Die Anzahl der arthroskopischen Eingriffe nimmt zu, in britischen Krankenhäusern lag die Zahl 2010 bei etwa 21 000. Ihr Nutzen ist dagegen umstritten, bisherige internationale Leitlinien widersprechen sich in ihren Empfehlungen.

Veränderte Bursa auch bei symptomfreien Personen

Patienten mit subakromialem Schmerzsyndrom klagen häufig über Beschwerden an der Oberarm-Außenseite beim Anheben des Arms. Dazu kommen Probleme bei der Bewegung (Flexion nach vorne, Außenrotation, Abspreizung) und Kraftverlust. Außerdem können die Schmerzen Schlafstörungen verursachen. In Aufnahmen sichtbare degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette oder Abnormitäten der Bursa subacromialis sollten kritisch interpretiert werden, da diese Veränderungen auch bei symptomfreien Personen auftreten. Über die pathophysiologischen Prozesse weiß man weiterhin wenig. Die Grundlage der Dekompressions-OP basiert auf Autopsie-Studien.

Ein internationaler Expertenausschuss unter der Führung von Professor Dr. Per O. Vandvik vom Institute of Health and Society, Faculty of Medicine, der Universität Oslo ging jetzt der Frage nach, ob Patienten, bei denen die atraumatischen Schulterschmerzen mehr als drei Monate anhalten, von einer Operation profitieren. Das Gremium, unter anderem bestehend aus chirurgisch tätigen Orthopäden, Physiotherapeuten, einem Allgemeinarzt und betroffenen Patienten, reagierte damit auf zwei 2018 publizierte Studien, in denen die subakromiale Dekompression im Vergleich zu einer Schein-OP keine besseren Outcomes lieferte. Insgesamt bezogen sie 20 zusätzliche Orginalstudien in die Analyse mit ein und bewerteten Nutzen und Schaden in zwei getrennten Reviews. Berücksichtigt wurden Patienten mit der Diagnose subakromiales Schmerzsyndrom bzw. Rotatorenmanschetten-Syndrom. Die Experten bestätigen: Eine OP mit anschließender Physiotherapie hat im Vergleich zu einer Physiotherapie alleine nach einem Jahr praktisch keinen Effekt auf Schmerzen, Funktion und gesundheitsbezogene Lebensqualität. Auch auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit wirkte sich die Operation wenig bis gar nicht aus. Unterschieden haben die zwei Therapien allerdings bezüglich der potenziellen Risiken, die mit der OP einhergehen. Dazu gehören Blutungen, tiefe Infektionen, Narkosekomplikationen, Nervenverletzungen, Thromboembolien und die Entwicklung einer „frozen shoulder“.

Gut informierte Patienten würden die OP ablehnen

Die Experten zeigten sich überzeugt, dass sich „fast jeder gut informierte Patient“ aufgrund des Kosten-Nutzen-Verhältnisses gegen eine Operation entscheiden würde. In einer „rapid recommendation“ sprechen sie daher eine starke Empfehlung gegen die subakromiale Dekompressionsoperation aus. Außerdem solle bei subakromialen Schulterschmerzen die operative Therapie nicht unaufgefordert angeboten und Patienten über die Risiken aufgeklärt werden. Aussagen über potenziell effektive Behandlungsalternativen waren aufgrund des Studiendesigns nicht möglich. 

Quelle: Vandvik PO et al. BMJ 2019; 364: l294