Vegetarische und vegane Kinderernährung erfordern eine individuelle Beratung

Autor: Dr. Alexandra Bischoff

Der Nährstoffbedarf von Kindern ist mit veganer Kost kaum zu decken. Der Nährstoffbedarf von Kindern ist mit veganer Kost kaum zu decken. © iStock/RichVintage

Eltern wissen oft nicht, wie sehr ein Nährstoff­defizit infolge vegetarischer oder veganer Ernährung der Gesundheit ihres Kindes schaden kann. Im Beratungsgespräch gilt es deshalb zu klären, welche Kostform praktiziert wird und welche Nährstoffe dabei knapp werden könnten.

Laut der aktuellen Ernährungsstudie EsKiMo II ernähren sich in Deutschland 1,5 % der 6- bis 11-Jährigen und 5,1% der 12- bis 17-Jährigen vegetarisch. Da bei ihnen ganze Lebensmittelgruppen auf dem Speiseplan fehlen, ist die Gefahr hoch, dass sie einzelne Nährstoffe zu wenig bis gar nicht aufnehmen.

Vielen Eltern ist jedoch gar nicht bewusst, dass ein Mangel schwerwiegende Folgen für das Wachstum und die Entwicklung ihres Kindes haben kann. Um einem Nährstoffdefizit vorzubeugen, empfiehlt das Forschungsdepartment Kinder­ernährung Bochum eine individuelle Beratung und Betreuung der Familien. Die ist oft gar nicht so einfach, da die Übergänge zwischen den verschiedenen vegetarischen Kostformen meist fließend sind.

Was darf denn auf den Teller?

  • Lakto-Ovo-Vegetarier lehnen Fleisch und Fisch ab, tierische Produkte wie Eier und Milch nicht.
  • „Flexitarier“ sind da nicht ganz so streng und essen ab und zu auch mal Fleisch oder Fisch.
  • Laktovegetarier verzichten neben Fleisch und Fisch auch auf Eier,
  • Ovovegetarier hingegen auf Milch.
  • Veganer ernähren sich ausschließlich pflanzlich, lehnen sogar Honig ab.
  • Makrobiotiker essen hauptsächlich Getreide, bestimmte Gemüsesorten, Algen und Sojaprodukte. Außer Fisch kommen keine tierischen Nahrungsmittel auf den Teller.

Wichtig ist deshalb eine genaue Ernährungsanamnese, die neben dem alltäglichen Speiseplan auch traditionelle Ernährungsgewohnheiten, Mahlzeitenmuster sowie Geschmacksvorlieben des Nachwuchs oder das aktuelle Lebensmittelangebot berücksichtigt sowie gegebenenfalls ein ergänzendes Ernährungsprotokoll. Als Ziel der Beratung gilt es, die Ernährung im Rahmen der hierzulande üblichen Lebensmittel zu verbessern – Bereitschaft zu Kompromissen auf beiden Seiten vorausgesetzt. Von generalisierten, supplementierten Speiseplänen sowie ungewöhnlichen oder exotischen Lebensmitteln und speziellen vegetarischen Produkten hält das Team um Privatdozent Dr. Hermann­ Kalhoff­ vom Forschungsdepartment Kinderernährung, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität, hingegen nichts.

Lakto-Ovo-Vegetarier

Generell besteht bei Kindern und Jugendlichen, die sich lakto-ovo-vegetarisch ernähren, kein erhöhtes Risiko hinsichtlich Wachstum und Entwicklung. Auf zwei Nährstoffe sollte man jedoch besonders achten: Eisen: Die Gefahr eines Eisenmangels ist vor allem bei Säuglingen im zweiten Lebenshalbjahr und weiblichen Jugendlichen erhöht. Als Kompromiss zum zweiwertigen Eisen mit hoher Bioverfügbarkeit kann der Babybrei aus Vollkorngetreide (idealerweise Haferflocken) in Kombination mit Vitamin-C-reichen Zutaten zubereitet werden, die die schlechte Resorption des dreiwertigen Eisens verbessern. Geeignete vegetarische Mahlzeiten für Kinder und Jugendliche sind beispielsweise Müsli aus Vollkornflocken + Orangensaft/Frischobst bzw. Vollkornreis/Vollkornnudeln + Paprika. Jod: Milch und Jodsalz stellen die wichtigsten Jodquellen für Lakto-Ovo-Vegetarier dar. Biomilch enthält aufgrund der Tierfütterung weniger Jod. Bei industriellen bzw. fertigen Lebensmitteln (v.a. Brot und Backwaren) sollte man Produkte wählen, die mit jodiertem Speisesalz (Jodgehalt: 15–25 mg/kg Salz) hergestellt wurden.

Veganer

Vegane Kost schafft es teilweise oder gar nicht, den altersentsprechenden Nährstoffbedarf zu decken. Insbesondere im Kindesalter birgt die Unterversorgung mit Proteinen und multiplen Mikronährstoffen ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Folgen.

Stillende Veganerinnen

Säuglinge, die von Frauen mit einem Vitamin-B12-Mangel infolge langjähriger veganer Ernährung geboren werden, haben von Geburt an ein Defizit an gespeichertem Vitamin B12. Dieses nimmt zu, falls die Mutter während der Stillzeit nicht Vitamin B12 supplementiert. Ausgeprägte Mangelzustände können zu muskulärer Hypotonie, Fütterungsschwierigkeiten, Gedeihstörung und megaloblastärer Anämie führen. Als Initialtherapie wird für den Nachwuchs 1 mg Vitamin B12 i.m. empfohlen, wenn er oder die Mutter klinische Manifestationen aufweist. Wird der Mangel nicht frühzeitig behandelt, sind langfristige, teilweise irreversible neurologische Auswirkungen möglich.

Dies erfordert individualisierte Ernährungsstrategien und regelmäßige spezifische Substitutionen. Alle Altersgruppen müssen täglich Vitamin B12 (5–25 mg/Tag) einnehmen, für Vitamin D und Fluorid gelten die allgemeinen Empfehlungen wie für omnivor ernährte Säuglinge. Auch Jod (50 mg/Tag) sollte meist supplementiert werden.

Quelle: Kalhoff H et al. Monatsschr Kinderheilkd 2019; 167: 803-812; DOI: 10.1007/s00112-019-0730-4