Wie sinnvoll sind Schulschließungen in der Coronapandemie?
Die Entscheidung, Schulen in der COVID-19-Pandemie zu schließen, klang logisch. Die Kinder kommen dort nicht mehr in engen Kontakt mit anderen, können sich also nicht mit dem Virus anstecken und es nicht weitergeben. Dieser vermutete Effekt beruht aber vor allem auf Erfahrungen bei Grippeausbrüchen. Influenza und SARS-CoV-2 unterscheiden sich diesbezüglich in einem wichtigen Punkt: Kinder gelten bei Grippe als Schlüsselüberträger. Sie erkranken häufiger als Erwachsene und stecken entsprechend mehr Menschen an, erklären Professor Dr. Russell Viner vom University College London und seine Kollegen.1 Corona-Infektionen dagegen verlaufen nach bisherigem Kenntnisstand bei den Kleinen eher leicht oder asymptomatisch.
Italien beispielsweise hatte Ende März weltweit die zweithöchste Zahl von SARS-CoV-2-Infektionen und die höchste Todesrate. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren machten allerdings nur 1 % der Erkrankten aus. Davon wurden 11 % im Krankenhaus behandelt, kein einziger Minderjähriger starb.
In der CONFIDENCE-Studie untersuchten Forscher um Dr. Niccolò Parri, Ospedale Pediatrico Meyer Firenze, 100 COVID-19-Patienten in Italien.2 Diese waren im Mittel 3,3 Jahre alt. Von den Infektionen gingen 55 % auf eine Quelle außerhalb der Familie zurück – mehr als in anderen untersuchten Kohorten. Dies führen die Autoren auf den relativ späten Lockdown in Italien zurück.
Gemeinsamkeiten mit Kawasaki
Dr. Angelika Bischoff
Wirkung der Einzelmaßnahme lässt sich schwer abschätzen
Bringt ein Schul- und Kita-Lockdown angesichts dieser Zahlen überhaupt etwas zur Eindämmung der Pandemie? Studien zum Effekt einer solchen Maßnahme hat das Team um Prof. Viner in der Literatur gesucht. Dabei berücksichtigte es frühere Coronaviren-Epidemien durch SARS und MERS ebenso wie aktuelle Daten zu COVID-19. Zusammen kamen 16 Artikel, davon waren neun bereits veröffentlicht. Insgesamt attestierten die Untersuchungen aus China, Hongkong und Singapur den Schulschließungen bei der SARS-Ausbreitung nur einen geringen Nutzen. Die einzige Modellrechnung für die jetzige Pandemie geht von einer Verminderung der Todesfälle um 2 % bis 4 % aus. Allerdings ist es schwer, den Effekt der Einzelmaßnahme abzuschätzen, da in allen Ländern gleichzeitig eine Vielzahl weiterer Gegenmaßnahmen ergriffen wurde, z.B. Abstandsregeln und Ausgangssperren.„Nebenwirkungen“ geschlossener Schulen
Dr. Elke Ruchalla
Quellen:
1. Lancet Child Adolesc Health 2020; 4: 341; DOI: 10.1016/S2352-4642(20)30105-X
2. Lee J. A.a.O.; DOI: 10.1016/S2352-4642(20)30109-7
Die Viruslast ist nicht vom Patientenalter abhängig
Die Virologen haben nun in einer Kohorte von 3712 COVID-19-Patienten die Beziehung zwischen dem Alter und der SARS-CoV-2-Viruslast untersucht. Eine Abhängigkeit konnten sie nicht beobachten. Kinder wiesen keine signifikant unterschiedliche Viruslast im Vergleich zu Erwachsenen auf. Man sollte sie den Autoren zufolge als ebenso infektiös betrachten wie Erwachsene. Zugegeben, asymptomatische Kinder verbreiten das Virus nicht durch Husten und sie haben kleinere Ausatemvolumina als Erwachsene, schreiben die Forscher. Aber sie bewegen sich mehr und neigen zu engerem sozialen Kontakt, was die Virusausbreitung wiederum begünstigt. Vor diesem Hintergrund warnen sie davor, Schulen und Kindergärten leichtfertig wieder zu öffnen. Als Privatperson sieht Prof. Drosten aber durchaus die Notwendigkeit, den „gesellschaftlich extrem wichtigen Bereich der Kinderbetreuung und Erziehung wiederzubeleben“, wie er kürzlich gegenüber dem Deutschlandfunk sagte.4Quellen:
1. Viner RM et al. Lancet Child Adolesc Health 2020; 4: 397-404; DOI: 10.1016S2352-4642(20)30095-X
2. Parri N et al. N Engl J Med 2020; DOI: 10.1056/NEJMc2007617
3. Zoonosen Charité
4. Deutschlandfunk