Good Vibrations
Vor Kurzem habe ich mal wieder geschlagene zwei Stunden in einem Wartezimmer verbracht. Der WLAN-Empfang war schlecht, die Zeitschriftenauswahl noch schlechter. Glücklicherweise folgt mein Arzt beim Thema Patienteninformation ganz der Devise „Mehr ist mehr“. So waren immerhin die Wände tapeziert mit ausreichend Lesestoff: Anschaulich wurde mir der Unterschied zwischen grippalem Infekt und Grippe erklärt, ich erfuhr, dass ich vermutlich an Vitamin-D-Mangel leide, und jubelte innerlich, als mir klar wurde, dass ich mir seit Jahren vollkommen korrekt die Hände wasche.
Trotz des herausragenden Infotainmentangebots erwachte in mir bereits nach kurzer Zeit der Drang, dem viel zu warmen zwölf-Quadratmeter-Kabuff und meinen acht schniefenden und giemenden Mitpatienten zu entfliehen. Ich fing an zu träumen: Von schwarzem Kaffee und leiser Jazzmusik, einem guten Buch in der Hand und einem Sitznachbarn, der nicht alle 30 Sekunden geräuschvoll die Nase hochzieht.
Was mir noch wie ein Hirngespinst erscheint, ist in einigen Kliniken und Praxen bereits traumhafte Realität: Denn dort sind überfüllte Wartezimmer passé. Gewartet wird jetzt smart. Bei der Anmeldung händigt die Sprechstundenhilfe den Patienten einen kleinen Pager aus, der anfängt zu vibrieren, wenn man aufgerufen wird. Danach hat man einige Minuten Zeit, sich zur Behandlung einzufinden.
In der Zwischenzeit kann man in Praxisnähe die Wocheneinkäufe erledigen, im Café nebenan der Koffeinsucht frönen oder im Buchladen um die Ecke schmökern – bis der kleine Vibrator à la Vapiano sich rührt. Smart City, here we come.
In meiner Vorstellung werden die Sprechstundenhilfen der Zukunft in kleinen surrenden und blinkenden Steuerzentralen sitzen und von dort die Patienten navigieren, während im Café nebenan mit Vibratoren gedealt wird: Tausche früheren Behandlungsslot gegen großen Cappuccino, tausche meine Keime gegen deine. Dieser Trend wird mit Sicherheit viral.
Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin