Digitalisierung, Pandemie, Ukraine Lauterbach beantwortet Fragen von Ärzten und KV

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen (li.) im Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen (li.) im Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. © YouTube/kbv4u

Die Herausforderungen der Versorgung in der Coronapandemie haben die niedergelassene Ärzteschaft enorm gefordert. Nicht immer sah sie sich genug von der Politik unterstützt. Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach stellte sich diesbezüglichen Fragen der Kollegen. Konkrete Antworten blieb er zum Teil schuldig.

Mehr als 500 Fragen erreichten die KBV im Vorfeld ihrer Veranstaltung „Im PraxisCheck“. Der KBV-Vorstand trug sie zusammengefasst dem Minister vor, ergänzt mit eigenen Kommentierungen. Mehr als 600 Interessenten folgten „Im PraxisCheck“ online.

Vor Beginn der Fragerunde äußerten sich die Teilnehmenden zum Krieg in der Ukraine. Alle seien tief betroffen, sagte KBV-Chef Dr. ­Andreas Gassen. Der von Russ­lands Präsident Putin initiierte Angriff auf die Ukraine sei ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. „Wir werden alles tun, um den Menschen, die ohnehin schon gebeutelt sind, hier eine vernünftige medizinische Versorgung zu sichern“, versprach Dr. Gassen dem Minister. Dieser zeigte sich dankbar angesichts der kollektiven Bereitschaft. Er sagte: „Wir werden die Finanzierung dieser Hilfe unbürokratisch organisieren.“

Ein Thema, das den Ärzten derzeit besonders auf den Nägeln brennt, ist die Digitalisierung, speziell die Fehleranfälligkeit der Systeme, erklärte KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel. Das frustriere vor allem in der Pandemie, so Dr. Kriedel. Prof. Lauterbach entgegnete, er habe die elektronische AU und das eRezept aus diesen Gründen auch erst einmal gestoppt. Was nicht 100%ig ausgereift sei, dürfe man nicht in die Fläche bringen.

Bei der Telematik mit der heißen Nadel gestrickt

Er habe die elektronische Patientenakte (ePA) 2002 vorgeschlagen, in Vorbereitung des Wahlkampfes des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), „der uns jetzt eine solche Schande macht mit seinem Verhältnis zu Putin“. Es habe aber 20 Jahre gebraucht, bis die ePA jetzt komme. Am Beispiel einer Krebspatientin mit zahlreichen Behandlungsdokumenten an verschiedenen Orten illustrierte Prof. Lauterbach, was man in einer ePA alles beisammen hat und gezielt suchen kann. Das genau müsse die ePA können: „bessere Medizin und schneller.“

„Nur, was in den Praxen ankommt, ist jedoch noch etwas ganz anderes: das ist Formular-Digitalisierung“, wandte Dr. Kriedel ein. Auch die Allgemeinärztin Dr. ­Simone Kühnlein wandte sich mit ihrem Unmut an Prof. Lauterbach: „Die von ihrem Vorgänger eingeleiteten Schritte bezüglich der Telematik-Infrastruktur erscheinen mir alle mit der heißen Nadel gestrickt.“ Die eingeführten Komponenten überforderten die Praxen, aber auch die Systemhäuser. „Unser Systemhaus war nicht in der Lage, die erforderlichen Updates in der geplanten Zeit zu liefern.“

Die Probleme bestreite er nicht, so der Minister. Im Minis­terium werde deshalb eine Strategiebewertung gemacht. Chefin der entsprechenden Abteilung soll Dr. ­Susanne Ozegowski, vormals Techniker Krankenkasse, werden.

Dass Prof. Lauterbach hierbei den Ärzten Gehör verschaffen will, lobte Dr. Kriedel ausdrücklich. Zudem fragte er nach, ob der Minister die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen bei Fehlern in die Pflicht nehmen wolle und ob vielleicht ein Fördergesetz für die Praxen in Planung sei, in Analogie zur Digitalisierung der Kliniken mithilfe des Krankenhauszukunftsgesetzes. „Das sind alles Dinge, die ich prüfen werde. Ich bitte um Verständnis, dass ich hier keine Schnellschüsse vortragen kann“, antwortete der SPD-Politiker.

Er erklärt die jetzigen Defizite im System damit, dass sein Amtsvorgänger Jens Spahn ein paar Ansätze so schnell wie möglich ausrollen wollte, um überhaupt zu zeigen, was geht und was nicht. Sein Ansatz dagegen sei, so Prof. Lauterbach, dass Krankenhäuser und Praxen mitein­ander vernetzt sind und der Nutzen sichtbar ist. Nur verbunden mit diesen beiden Aspekten könne es mehr Geld geben, antwortete der Minister auf die Nachfrage von Dr. Kriedel nach einem Fördergesetz.

KBV-Vize Dr. Stephan ­Hofmeister brachte stellvertretend für die fragenden Ärzte vor, dass ihre jetzt schon zwei Jahre andauernden Leistungen in der Pandemie nicht ausreichend von der Politik wertgeschätzt würden. Das unterstrich auch die Hausärztin Dr. Beatrice Staudt in einem Video. Einen Coronabonus für ihre Medizinischen Fachangestellten forderten die Kollegen ein, betonte Dr. Hofmeister.

Coronabonus: Viele melden Ansprüche an

Er kenne die Situation in den Praxen sehr gut und bedanke sich daher nochmals für die herausragende Arbeit, so Prof. Lauterbach. Zum Bonus für die MFA könne er aber keine Zusage machen: „Dafür bin ich nicht allein zuständig, sondern das muss ich verhandeln mit dem Bundesfinanzminister.“ Priorität hätten für die Bundesregierung zunächst die Pflegekräfte. Zu anderen Berufsgruppen werde diskutiert; es würden viele Ansprüche vorgetragen. Die gesetzliche Krankenversicherung verzeichne allerdings ein großes Finanzdefizit durch die Pandemiebewältigung. Zudem sei mit erheblichen Belastungen durch den Krieg in der Ukraine zu rechnen.

Weitere Nachfragen an Prof. Lauterbach betrafen u.a. Nachwuchsgewinnung und Lehren aus der Pandemie. Tim Niebuhr, psychologischer Psychotherapeut, mahnte die langen Wartezeiten auf einen freien Therapieplatz an. In seiner Praxis läge die Wartezeit bei aktuell sechs bis zwölf Monaten. „Was planen Sie, um diesen Zustand zu verändern?“, fragte er den Minister. „Daran wollen wir in dieser Legislaturperiode arbeiten“, sagte Prof. Lauterbach. Dr. Hofmeis­ter bat dazu eindringlich, dass Mehrleistungen von 100 oder 1.000 dazukommenden Psychotherapeuten ausbudgetiert werden müssten. Das sei ansonsten eine Bedrohung fürs fachärztliche Lager.

Schnellfragerunde: Die KVen haken bei Prof. Lauterbach nach

Wann kommt die neue GOÄ?

„Das wissen wir nicht genau. In der Tat ist es so, dass das Verhältnis PKV zur GKV in dieser Legislaturperiode nicht angefasst werden soll.“

Wann wird das Thema Notfall­reform angepackt?

„Sehr schnell. Das wird etwas sein, das wir noch in diesem Jahr angehen. Das gehört zu den Prioritäten.“

Können wir mit der Abschaffung von Regressen rechnen?

„… soweit es überhaupt noch Regresse gibt. Der Bereich der Regresse ist ja deutlich zurückgedrängt worden.“

Ein wichtiges Thema ist § 115b SGB V: Ambulantisierungspotenzial im Krankenhaus, ambulantes Operieren und erweiterte Prozeduren. Muss eine Neudefinition her?

„Wir brauchen so etwas wie eine Hybrid-DRG. Das ist im Koalitionsvertrag vorgegeben. Eine deutliche Stärkung der Ambulantisierung wird nur funktionieren, indem man sich pragmatisch auf ein Honorierungssystem einigt, das für alle Seiten funktioniert. Die Ambulantisierung stationär erbrachter Leistungen, die man im Ausland häufig mit großem Erfolg längst ambulant erbringt, ist notwendig. Wir wollen wirklich einen fairen Vorschlag machen. Hier werden die Hybrid-Fallpauschalen eine große Rolle spielen.“

Wird das Dispensierrecht für Ärzte zur Abgabe bestimmter Medikamente im Notdienst aufgegriffen?

„Das ist ganz klar etwas, was wir prüfen müssen. Das spielt im Notdienst eine Rolle und hätte auch eine Verbesserung der Versorgung zur Folge. Zum Teil sind das ja erhebliche Qualitätsverluste in der Versorgung der Patienten, die damit einhergehen, wenn der Arzt nicht abgeben kann.“

Gehören Private-Equity- und MVZ-Strukturen in die Regelversorgung?

„Ich persönlich finde es ist hochpro­blematisch, wenn Private-Equity-Firmen Praxen kaufen, Verbünde, ganze Facharzt-Schienen kommerzialisieren. Ich sehe das mit größter Sorge. Wir haben das im Koalitionsvertrag nicht stehen, das ist aber definitiv etwas, was wir uns anschauen.“

Wo soll die Öffnung des subventionierten Krankenhauses in Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten beginnen? Wo sind Grenzen?

„Das kann man so pauschal nicht sagen. Wenn wir hier zu ambulanten Leistungen kommen, die früher stationär erbracht werden konnten oder mussten, dann muss es ein faires Preissystem sein, was für alle funktioniert.“

Was sind Ihre wichtigsten drei Vorhaben, die Sie in dieser Legislatur umsetzen möchten?

„Das Wichtigste ist für mich zunächst einmal, dass wir den Menschen, die aus der Ukraine kommen, medizinische Versorgung gewährleisten, dass diese Menschen hier gut ankommen und gesund sein können. Das ist für mich ein ganz zentrales Thema, dem werde ich volle Kraft widmen. Dann wollen wir die Pandemie zu Ende bringen, also dass wir mit möglichst wenig Todesfällen und schwer Erkrankten durch die laufende Welle kommen und eine neue Welle im Herbst verhindern. Dazu zählt auch die Einführung der allgemeinen Impfpflicht zum Dritten. Die vielen Dinge, die im Koalitionsvertrag enthalten sind, müssen wir so umsetzen, dass sie praxisnah noch in den ersten zwei Jahren meiner Arbeit angeschoben werden können, sodass sie in dieser Legislaturperiode nicht nur auf dem Papier stehen, sondern bleibend umgesetzt werden.“

Medical-Tribune-Bericht