Kommentar Süßes Gift für Gas und Strom
Die KBV hat an die Minister Lauterbach und Habeck geschrieben und um finanzielle Unterstützung der Praxen wegen der hohen Energiekosten gebeten. Die Bundesärztekammer fordert einen „Energieschutzschirm“, eine steuerfinanzierte Energiekostenzulage für Kliniken und Praxen, damit dort „nicht buchstäblich die Lichter ausgehen“. Die KV Niedersachsen sorgt sich: „Radiologen, Nuklearmediziner und Strahlentherapeuten trifft es durch den hohen Energieverbrauch besonders hart.“ Und Hausärzte möchten angesichts der drastischen Benzinpreise Hausbesuche besser vergütet wissen.
Es ist nicht neu: Wenn die Geschäfte gut laufen, pochen Unternehmer und FDP-Wähler auf den Segen der Marktwirtschaft. Der Staat mag den rechtlichen Rahmen setzen, soll den Akteuren aber bitte größtmögliche Handlungsfreiheit und Gewinne als Motivation lassen. Weht plötzlich ein rauer Wind oder wurde der Wagen gegen die Wand gefahren (Stichwort Bankenkrise), ist dagegen die Solidargemeinschaft gefragt. Das süße Gift der Subvention wird gerne geschluckt – natürlich offiziell zum Wohl der Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden. Schließlich muss das relevante System funktionsfähig bleiben.
Es wundert einen also zunächst nicht, dass auch Gesandte der Niedergelassenen nach Energiezuschüssen rufen, als wären sie Bäcker oder Glasbläser. Schließlich wurden die Vertragsärzte gerade tief enttäuscht: 2023 steigt der Punktwert nur um 2 % (bei einer aktuellen Inflationsrate um die 8 %). Außerdem wäre es unfair, Praxen zu verweigern, was Kliniken gewährt wird. Ferner gefällt sich die Regierung darin, unübersichtlich Geld hin und her zu verteilen – da will niemand vergessen werden. Und schließlich haben wir uns in der Pandemie daran gewöhnt, dass der Staat munter Millionen und Milliarden verpulvert. Also: her mit der Marie!
Doch legt ein kluger Unternehmer nicht Polster für schlechte Zeiten an? Sind die Ärzte schon so blank, dass sie ihre Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen können? Der Preis eines Gutes ist ein Indikator für seine Knappheit und ein Anreiz, Maßnahmen zu ergreifen. Doch, ach ja, auch das führt wieder zum Ruf nach Extrageld: Der Umbau zur klimaneutralen und hitzeschutzgemäßen Praxis bzw. Klinik soll bitte ebenfalls vom Beitrags- und/oder Steuerzahler refinanziert werden.
Zweifellos sind die Zeiten in unserer Wohlstandsgesellschaft unsicherer geworden und viele Klagen verständlich. Die große Politik ist Krisenmanagement, Berufspolitik ist Lobbyismus. Aber was soll die nächste Eskalationsstufe zum Durchsetzen von Forderungen sein – etwa Protestschreiben, Praxisschließungen und das Androhen von Leistungskürzungen/Wartezeiten für gesetzlich Versicherte? Oh, ich übersah: Das läuft ja schon. Zur Rettung des Systems.
Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik