Kommentar Vom Recht auf die eigene Entscheidung
Mit der Eigenverantwortung ist das so eine Sache. Sie ist eigentlich ein nettes, liberales Ideal. Doch zurzeit wird der Begriff eindeutig überstrapaziert.
Eigenverantwortung impliziert, dass jeder auf eigene Rechnung agiert, getreu dem Motto: „Das habe ich mir selbst zuzuschreiben, dafür bin ich selbst verantwortlich.“ Und dass man bereit ist, die entstehenden Kosten und Nachteile ohne Wenn und Aber und in voller Höhe selbst zu tragen. Doch wie soll dieses Konzept funktionieren, wenn es um die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen geht?
Ob Klimaschutz oder Konsumverhalten, Masketragen oder Impfung: Derzeit wird der Begriff der Eigenverantwortung regelmäßig dann bemüht, wenn es um den eigenen Vorteil oder die eigene Sicht auf die Dinge geht. Oder dann, wenn sich Politiker oder andere Verantwortliche davor scheuen, klare Ansagen zu machen. Doch Klimaschutz etwa kann erst dann funktionieren, wenn jeder Einzelne weniger Ressourcen verbraucht und weniger Emissionen verursacht. Erst wenn alle – oder zumindest die allermeisten – mitziehen, ist am Ende des Tages noch ausreichend lebenswerte Welt übrig.
Es ist nicht möglich, die Erfordernis des Masketragens oder der Coronaimpfung mit dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit zu begründen. Die Pandemiebekämpfung ist keine private Kosten-Nutzen-Kalkulation des Einzelnen, sondern vielmehr eine brutale kollektive Notwendigkeit. Jeder von uns hätte also zwar verantwortlich zu handeln, nicht aber eigenverantwortlich. Das lässt sich – wir erleben es tagtäglich – mit gutem Zureden und auf freiwilliger Basis nicht erreichen.
Im Zusammenhang mit Klimaschutz, Masketragen oder Impfkampagnen vehement auf das individualistische Konzept der Eigenverantwortung zu pochen, ist also zutiefst unfair: Einschränken sollen sich doch bitte die anderen, ich selber habe – eigenverantwortlich und wohlabgewogen – für mich selber anders entschieden?! Der Blick auf das Kollektiv und die Kosten, die wir als Gesellschaft zu tragen haben, bleiben bei dieser Sichtweise komplett außen vor.
Tobias Stolzenberg
Freier Redakteur Medizin