Wir brauchen keinen Apotheken-Protektionismus
Es soll ja Zeitgenossen geben, die der „guten alten DDR“ nachweinen, weil man da so herrlich geborgen lebte. Man musste nicht viel entscheiden, fast alle kamen irgendwie klar und das Versagen des allmächtigen Staates bei der Versorgung seiner Bürger wurde achselzuckend hingenommen. Im „wilden Westen“ hingegen tobte sich der Kapitalismus aus. Es wurde gegründet, importiert und verkauft, was das Zeug hielt. Zwar kamen ein paar Unglückliche dabei unter die Räder – allerdings ging es ihnen oft nicht viel schlechter als den Durchschnittsbürgern der DDR.
Jetzt ist es Mode geworden, auch im Westen immer mal wieder nach Regulierung, Abschottung und Protektion zu rufen. „Die Versandapotheken machen unsere Apotheken kaputt!“, wird gebarmt, und schon diskutieren Gesundheitspolitiker, den ausländischen Spielverderbern den Hahn zuzudrehen. Warum will aber keiner Amazon den Zugang zum deutschen Markt verwehren, um den heimischen Händlern das schwere Dasein in ihren Ladengeschäften zu erleichtern? Warum überlegt keiner ernsthaft, den Ideen Trumps zu folgen und Deutschland von der Außenwelt abzuschotten? Vielleicht, weil es Schwachsinn ist? Weil gerade in ländlichen Gebieten die Mischung aus Versandhandel und Einkaufsstraße optimal ist?
„Ich habe keine Stammapotheke“, erklärte mir die Dame fortgeschrittenen Alters, die für ihren akut erkrankten Mann Medikamente brauchte und sich nicht in der Lage sah, diese zu besorgen. Sie fuhr kein Auto und das Nahverkehrssystem in ihrem Wohnort ist verbesserungsbedürftig. „Wir bestellen alles, was wir so auf Rezept brauchen, im Internet“, erklärte sie mir. „Damit können wir sparen!“
Leider hatte sie versäumt, auch Mittel gegen Fieber, Durchfall und allergische Reaktionen zu bestellen und in ihrer Hausapotheke vorzuhalten. Nun rächte sich das. „Sie können versuchen, eine Apotheke zu finden, die Ihnen für 2,50 Euro Durchfallkapseln ins Dorf bringt“, meinte ich skeptisch. „Aber das wird wohl schwierig.“ Meine Stammapotheke hätte das getan – gewiss ein Zuschussgeschäft, aber für die Stammkunden eine selbstverständliche Serviceleistung.
Ortsansässige Apotheken können noch viel mehr: Sie führen Medikationspläne, schauen mal eben nach dem Blutdruck oder raten, mit einer ernsteren Verletzung doch zum Arzt zu gehen, statt einfach eine Salbe zu kaufen. Ihnen fällt auf, wenn jemand ständig schlaflos ist, die frei verkäuflichen Augentropfen nicht überzeugend wirken oder eine Verschreibung sich nicht mit den anderen Medikamenten verträgt. „Service“, ist das Zauberwort, und der wird den entsprechend aufgestellten Apotheken auch das Dasein erhalten, wenn die Internet-Apotheken weitermachen dürfen.
Wir arbeiten intensiv mit „unserer“ Apotheke zusammen. Sie fragt schon mal freundlich in der Praxis nach, ob wir eventuell eine Interaktion übersehen haben. Oder sie schickt einen Patienten, der sich die dritte Packung Omeprazol ohne Rezept kaufen will, mal eben die Treppe höher zu uns. Auf diese Weise wurden bereits Käufer von „Eisentabletten“ eingefangen, deren Anämie an einer gastrointestinalen Blutung lag, oder offensichtlich verstörte Patienten, die eigentlich nur Baldrian kaufen wollten. Wer die Apotheke vor Ort ignoriert, ist selber Schuld. Und wer als Apotheker/in guten Service bietet, sollte ruhig schlafen können! Wenn jeder das macht, was er am besten kann, sind sowohl die Kleinstadtpraxis als auch die Apotheke vor Ort unverzichtbar.