Was ist man als Hausarzt überhaupt noch wert?

Kolumnen Autor: Dr. Jörg Vogel

In der Stadt gehen Gerüchte rum, unser Kolumnist habe Kinder mit der MFA. In der Stadt gehen Gerüchte rum, unser Kolumnist habe Kinder mit der MFA. © belahoche – stock.adobe.com; MT

Gerüchte können dem Ruf schaden. In manch einem Fall sorgen sie sogar für Existenzkrisen. Und das, obwohl man sich immer so sehr für andere einsetzt – wo bleibt der Dank?

Mein Gott, lass doch die Leute reden, brummt meine Frau am Frühstückstisch, als ich mich wieder einmal darüber aufrege, was für Gerüchte über mich im Umlauf sind. Dabei hat sie recht. Als Arzt ist man in seiner Stadt eine öffentliche Person. Und so lange es meine Praxis gibt, so lange wird auch schon Unsinn über uns erzählt. Wie oft schon soll ich meine Frau „verladen“ haben, um mit einer Arzthelferin fremdzugehen. Und wie viele Kinder sollen aus diesen Affairen schon hervorgegangen sein. Klar, in den vielen Jahren meiner Niederlassung habe ich wahrscheinlich mehr Zeit mit meinem Personal verbracht als mit meiner Frau. Und manchmal lächeln wir beide über diesen Gedanken.

Aber wie kommen Menschen dazu, solchen Mist zu erfinden und zu verbreiten? Wo sie doch eigentlich Dankbarkeit empfinden müssten über die jahrzehntelange kontinuierliche (und nach meinem Gefühl auch gute) ärztliche Versorgung?

Eine Patientin, die zeitweilig in einer Poststelle arbeitet, versorgt mich immer mit den neusten Informationen. Ob ich will oder nicht. Was sie aber jüngst berichtete, könnte nun wirklich ernste Konsequenzen für mein „Unternehmen Arztpraxis“ haben.

Man erzählt sich nämlich, ich würde Mitte des Jahres in den vorzeitigen Ruhestand gehen, da ich „mein Heu rein hätte“ und „Ärzte es doch nicht nötig hätten, bis zur Rente zu arbeiten“. Infolgedessen raten sich die Menschen untereinander, möglichst schnell auf die Suche nach einem neuen Hausarzt zu gehen, nach dem Motto: „Rette sich wer kann!“

Was soll man dazu sagen? Danke an die Klatschpresse, Danke liebe Krankenkassen und besonderen Dank an unsere Politiker. Eure Meinungsmache in puncto „Heu“ zeigt (die erwünschte) Wirkung.

So wäre es sicher auch für keinen da draußen nachvollziehbar, wenn sie wüssten, dass wir Hausärzte empört sind über die neue EBM-Reform. Eine längst fällige Aufwertung der Gesprächsleistungen wird egalisiert durch die Abwertung der Komplexe und der wenigen technischen Leistungen, die in so einer allgemeinmedizinischen Praxis noch möglich und notwendig sind. Eine weitere Nullrunde also. Fehlt nur noch eine Strafzahlung auf das eh schon hergeschenkte EKG, ähnlich dem Strafzins für Banken, die ihr Geld bei der Zentralbank gebunkert haben. Eine Verlängerung unserer Arbeitszeit ohne finanziellen Ausgleich ist ja längst passiert. Und was machen wir Allgemeinmediziner? Wir knirschen mit den restlichen Zähnen, die wir uns noch nicht am Gesundheitssystem ausgebissen haben, ziehen unsere Kittel an und arbeiten weiter. Was für eine allgemeine Resignation!

Nach den letzten zehn Boomjahren unserer Wirtschaft geht es dem Bund, den Ländern und den Krankenkassen so gut wie selten zuvor. Sie schwimmen in Milliarden Überschüssen. Keine Gewerkschaft zieht heutzutage mit einer Lohnforderung unter fünf Prozent in die Verhandlung. Bei den Piloten darf es auch gern zweistellig sein. Ansonsten geht bzw. fliegt nichts mehr. Und wir niedergelassenen Ärzte? Wir fröhnen unserem Eid und lassen die Patienten nicht im Stich. Niemals. Um’s Verrecken kein Streik oder so etwas! Da das die Großkopferten wissen, geht das auch immer so weiter. Ich frage mich: Was ist man als Hausarzt in unserer Gesellschaft überhaupt noch wert?

Immer mehr Praxen verwaisen und finden keinen Nachfolger. Doch wie reagieren die Gesundheitspolitiker? Anstatt unseren Beruf attraktiver für junge Kollegen zu machen, setzen sie auf Videosprechstunden. Und das, obwohl es noch nicht einmal überall in Deutschland ein funktionierendes Internet gibt. Insbesondere nicht auf dem Lande.

Aber genug davon. Ich höre auf meine Frau und lasse die Leute reden. Fahre in die Praxis, so wie jeden Morgen, und bin weiterhin ihr Hausarzt. Was soll ich auch sonst tun? Schließlich habe ich nichts Besseres gelernt.