2020 steht im Zeichen von Lipidsenkung und kardiovaskulärer Risikoreduktion

Dr. Sascha Bock

Drei neue Substanzen zur Lipidsenkung  sollen noch 2020 in die Apotheken kommen. Drei neue Substanzen zur Lipidsenkung sollen noch 2020 in die Apotheken kommen. © artemidovna – stock.adobe.com

Die Lipidtherapie steuert in die gleiche Richtung wie die Behandlung des Typ-2-Diabetes: Sie wird differenzierter und individualisierter. Noch in diesem Jahr kommen wahrscheinlich drei neue Präparate auf den Markt.

Icosapent-Ethyl, Bempedoinsäure und Inclisiran – diese drei Substanzen sollen eine optimierte Behandlung von Patienten mit hohen Lipidwerten ermöglichen. Ende 2020 liegen sie wohl alle in der Apotheke, jedoch „mit unterschiedlicher Studienlage“, schränkte Professor Dr. Ulrich­ Laufs, Klinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Leipzig, ein. Der Arzt erklärte, was die Medikamente leisten und welche Aspekte noch ungeklärt sind.

Icosapent-Ethyl: Dieses Fischölpräparat enthält Eicosapentaen­säure (EPA) in reiner Form. Bislang kamen immer nur Mischungen von verschiedenen Omega-3-Fettsäuren zum Einsatz. Auch wurde nie zuvor eine derart hohe Dosis von Icosapent-Ethyl geprüft, wie es in der REDUCE-­IT-Studie der Fall war (2 x 2 g/d). Prompt gelang eine 30%ige Risiko­reduktion des kombinierten Endpunktes nach fünf Jahren (kardiovaskulärer Tod, nicht-letaler Herzinfarkt, Schlaganfall u.a.). An der Untersuchung nahmen Hoch­risikopatienten mit erhöhten Triglyceridwerten (> 150 mg/dl) und gut eingestelltem LDL unter Statinen teil.

„Wir müssen dann begründen, warum wir es nicht verordnen“

Andere fischölbasierte Strategien erreichten einen solchen Effekt bis dato nicht. In absoluten Zahlen bedeutete die fünfjährige tägliche Einnahme von Icosapent-Ethyl 159 Ereignisse weniger pro 1000 Patienten. „Verglichen mit anderen Therapien schneidet das natürlich sehr gut ab“, urteilte der Kollege. Als Placebo dienten allerdings Mineralölkapseln – ein großer Kritikpunkt an der REDUCE-IT-Studie. Das Mineralöl könnte sich negativ ausgewirkt und die Ergebnisse verzerrt haben.

Trotzdem müsse man sich mit diesem Fischöl auseinandersetzen, zumal es praktisch keine unerwünschten Nebenwirkungen gebe, so Prof. Laufs. „Wenn wir eine Substanz haben, die zusätzlich zur Standardtherapie Ereignisse um 30 % senkt – und das ohne Nebenwirkungen –, dann müssen wir auch begründen, warum wir sie eventuell nicht verordnen.“

Bempedoinsäure: Der Wirkstoff hemmt die Cholesterinsynthese in der Leber „oberhalb“ der HMG-CoA-Reduktase, dem Ansatzpunkt der Statine. Das Besondere: Bempedoinsäure wird als Prodrug verabreicht und das Enzym, durch das die aktive Form entsteht, fehlt in Muskelzellen. Für Patienten mit muskulären Problemen könnte das Präparat laut dem Experten eine neue Option darstellen. Zumal die Verträglichkeit insgesamt und speziell bei Statin-Intoleranten gut sei.

Bei statinnaiven Personen drückt die Monotherapie mit Bempedoin­säure den LDL-Spiegel um etwa 25 %, zusätzlich zum Statin immerhin noch um 16 %. Der geringere Effekt erklärt sich durch den Ansatzpunkt im gleichen Stoffwechselweg. In den USA gibt es bereits ein zuge­lassenes Kombipräparat mit Ezetimib, das eine LDL-Senkung um 45 % (Statin-Naive) bzw. 35 % schafft.

Neu in der Apotheke trotz fehlender Endpunktstudie

Langzeitdaten liegen noch nicht vor. Eine genetische Modellierung erlaubt lediglich die Prognose, dass der Effekt auf klinische Ereignisse pro mg/dl LDL-Senkung dem von Statinen entspricht. Die große Outcomestudie mit mehr als 12 000 Teilnehmern fokussiert sich auf Patienten mit statinassoziierten Muskelbeschwerden, berichtete Prof. Laufs. Ergebnisse liegen voraussichtlich im Dezember 2021 vor. „Wir werden also eine Substanz in der Apotheke haben, bei der die Endpunktstudie noch nicht abgeschlossen ist.“

Bezüglich der Sicherheit deuten die gelaufenen Phase-2- und -3-Untersuchungen u.a. auf eine geringe Erhöhung der Harnsäure und vermehrte Gicht-Fälle hin. Zwar normalisieren sich die Serumspiegel nach dem Absetzen wieder, doch Patienten, denen eine Gicht Probleme bereitet, wären dem Referenten zufolge nicht die richtigen Kandidaten für das Medikament.

Inclisiran: Inclisiran inhibiert das Enzym PCSK9*. Doch anders als die verfügbaren Antikörper wirkt die Substanz über RNA-Interferenz und unterbindet die Bildung des Enzyms direkt in den Hepatozyten (s. Kas­ten). Für Prof. Laufs ein „wirklich cooles Therapieprinzip“ mit dem Potenzial, „unsere Pharmakotherapie zu revolutionieren – nicht nur, was den Lipidstoffwechsel angeht“.

So funktioniert gene silencing

Die Idee hinter der Genexpressionshemmung (gene silencing) mittels RNA-Interferenz ist simpel: Man verhindert intrazellulär die Translation einer mRNA zum fertigen Protein. Das gelingt über den RNA-induced silencing complex, der sich mit einer small interfering (si) RNA bildet. Inclisiran ist eine solche siRNA. Hat sich der Komplex einmal formiert, setzt ein Kreislauf ein, der über einen langen Zeitraum hoch spezifisch die Synthese eines bestimmten Proteins unterbinden kann. Klinische Konsequenz: Im Falle von Inclisiran genügt eine Injektion zweimal pro Jahr. Doch wie gelangt dieses Therapieprinzip eigentlich in die Zelle? Immerhin handelt es sich um eine fremde Erbinformation. „Hier kommt der zweite wirklich coole Mechanismus zum Tragen“, sagte Prof. Laufs. Die siRNA wird im Vorfeld an N-Acetylgalactosamin (GalNAc) gekoppelt und kann so von einem leberzellspezifischen Rezeptor aufgenommen werden. Wie die inhibierende RNA aus dem Endosom ins Zytoplasma kommt, bleibt aktuell jedoch offen. Mit GalNAc lassen sich übrigens nicht nur siRNAs­ verknüpfen, sondern auch Antisense-Oligonukleotide. Diese Methode – mit anderen Zielproteinen – befindet sich derzeit ebenfalls in der klinischen Prüfung.

Bleibt die Frage nach der Sicherheit einer solchen Behandlung. Aufgrund des Mechanismus wäre es denkbar, dass auch andere zelluläre Signaltransduktionswege beeinflusst werden. Die bisherigen Sicherheitsdaten zumindest sehen laut dem Kollegen exzellent aus. Naturgemäß seien diese aber limitiert, das müsse man mit aller Vorsicht kommunizieren, betonte er. Die kardiovaskuläre Endpunktstudie dazu heißt ORION 4. Etwa 15 000 Teilnehmer mit stabiler atherosklerotischer Erkankung (PAVK, Z.n. Herzinfarkt oder Schlaganfall) erhalten sekundärpräventiv entweder 300 mg Inclisiran subkutan oder Placebo. Allerdings läuft die Untersuchung wohl noch bis Ende 2024. „Das bedeutet, wir müssen miteinander diskutieren, wo wir den Stellenwert dieser Substanz sehen“, so Prof. Laufs. Effektiv ist Inclisiran allemal: Bei Risikopatienten unter maximaler Statintherapie führte die Gabe zu einer mehr als 50%igen LDL-Senkung. „Das wären vielleicht diejenigen, bei denen man als Erstes an einen Einsatz denken würde.“

Quelle: 15. DGK*-Kardiologie-Update-Seminar

* Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung
** Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9

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