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Aktiv abwarten statt gleich Antidepressiva verordnen

Einer Querschnittstudie aus dem Jahr 2017 zufolge werden nur 40 % aller Menschen mit Depression in deutschen Hausarztpraxen leitliniengemäß behandelt. Zu häufig werde von Beginn an medikamentös therapiert, berichtete Prof. Dr. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Nach der S3-Leitlinie/Nationalen VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression könne bei Patienten mit leichter depressiver Episode aber auch aktiv-abwartend vorgegangen werden.
Wenn nach 14 Tagen die Symptome bleiben oder sich verschlechtern, kommen leitliniengemäß die folgenden Maßnahmen infrage:
- Beratung npsychoedukativ-supportive Gespräche
- qualifizierte angeleitete Selbsthilfe (Bücher, Online-Programme)
- psychiatrisch-psychotherapeutische Basisbehandlung bzw. psychosomatische Grundversorgung
- Problemlösungsansätze
Ausdrücklich heißt es in der Leitlinie, dass Antidepressiva nicht generell zur Erstbehandlung bei leichten depressiven Episoden eingesetzt werden sollen. Den Daten der Querschnittuntersuchung nach hatten Patienten mit leichter Depression hingegen zu 18,5 % nur Antidepressiva erhalten, 31,1 % eine Psychotherapie plus Antidepressivum.
Einer der Gründe für diese Entscheidung dürfte der Patientenwunsch nach einer medikamentösen Therapie der Erkrankung sein, meinte Prof. Gründer. Allerdings seien Antidepressiva Metaanalysen zufolge bei milder bis moderater Depression nicht wirksamer als Placebo.
Eine Therapie mit Antidepressiva birgt naturgemäß Risiken. Dazu zählen vor allem Absetzerscheinungen, von denen laut Prof. Gründer viele Patienten betroffen sind, aber nie darüber aufgeklärt wurden. Diese Phänomene können schon nach zweimonatiger Therapie auftreten und umfassen eine Vielzahl von Symptomen, die im Falle von affektiven oder psychotischen Symptomen auch für eine Verschlechterung oder ein Rezidiv der Erkrankung gehalten werden können, wie der Referent beschrieb.
Als in dieser Hinsicht besonders problematisch nannte er den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin und den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Paroxetin. „Wir müssen uns bewusst sein, dass das keine Smarties sind, sondern dass diese Behandlung einen Eingriff in das Gehirn darstellt“, betonte Prof. Gründer. Wenn auf Venlafaxin zumindest als erste Wahl bei SSNRI und auf Paroxetin als SSRI ganz allgemein verzichtet werde, drohe noch lange keine Unterversorgung.
Als Alternativen nannte der Experte den SSNRI Duloxetin und die SSRI Sertralin und Escitalopram. Werde ein sedierendes Antidementivum benötigt, könne auch Mirtazapin zum Einsatz kommen – stets die entsprechende Indikation vorausgesetzt. Und wenn Antidepressiva abgesetzt werden sollen, ist immer das schrittweise Ausschleichen geboten.
Quelle: DGPPN Kongress 2021 (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.)
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