Arzneimittelinteraktionen: „Keine Verordnung ohne Kenntnis der Gesamtmedikation“

DGIM 2021 Dr. Elisabeth Nolde

Mit dem richtigen System kann man gefährliche Wechselwirkungen von Medikamenten erkennen und vermeiden. Mit dem richtigen System kann man gefährliche Wechselwirkungen von Medikamenten erkennen und vermeiden. © PhotoSG – stock.adobe.com

Bei der Kombination von fünf Wirkstoffen gibt es zehn mögliche Arzneimittelinteraktionen, bei acht Medikamenten sind es schon 28. Den Durchblick behält da nur, wer systematisch vorgeht und sein Risikomanagement konsequent ausbaut.

Mit der Anzahl gleichzeitig verordneter Medikamente steigt die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Arzneimittelwirkungen deutlich an. Diese Interaktionen gilt es zu kennen und so weit wie möglich zu minimieren, betonte Professor Dr. ­Daniel ­Grandt vom Klinikum Saarbrücken. Angesichts der Vielzahl an Wirkstoffen und der überbordenden Zahl möglicher Kombination geht das nicht ohne adäquates Risikomanagement, machte der Referent klar. 

Bei der klinischen Beurteilung unerwünschter Arzneimittelinteraktionen geht es vorrangig um folgende Aspekte:

  • Abschwächung oder Verstärkung der therapeutischen Wirkung
  • Verstärkung unerwünschter Effekte
  • Erhöhung des Risikos für bestimmte unerwünschte Wirkungen

Die Interaktionsrisiken lassen sich grundsätzlich in drei Gruppen einteilen:

  1. Theoretisch denkbar, aber es gibt keine Belege.
  2. Einzelfälle sind beschrieben.
  3. Es liegt ein dokumentiertes und quantifiziertes Risiko vor.

Und damit wird es schwierig, erläuterte Prof. ­Grandt: Würde man nämlich immer alle Hinweise berücksichtigen, könnte man praktisch kaum mehr behandeln. „Es kann zum sogenannten Alert overkill kommen, zur Praxisuntauglichkeit durch klinisch irrelevante Warnungen.“ In erster Linie finden sich umfassenden Warnhinweise aus haftungsrechtlichen Gründen in den Fachinformationen, und über diesen Weg gelangen sie auch in die entsprechenden pharmazeutische Datenbanken. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass diese elektronische Unterstützung aus praktischer Sicht untauglich wird, so der Experte. Rechtliche Überlegungen der Hersteller seien legitim, für Ärzte gehe es aber in erster Linie um die klinisch relevanten Interaktionen.

Wechselwirkungen durch systematische Prüfung der Gesamtmedikation vermeiden

Im Umkehrschluss leitet sich daraus die Schlüsselfrage ab, welche Wechselwirkungsrisiken keinesfalls akzeptiert werden dürfen. Inakzeptabel sind z.B. Effekte mit nachgewiesenem, patientenrelevantem Schaden, 

  • wenn eine sicherere Behandlungsoption verfügbar ist oder
  • wenn der erwartete Nutzen das Risiko nicht rechtfertigt.

„Wir müssen also einen Teil der erhöhten Risiken akzeptieren, um Patienten behandeln zu können. Wichtig ist dann aber, sie durch angemessenes Monitoring zu minimieren“, verdeutlichte der Experte. Bei jeder Überprüfung möglicher Interaktionen müssen Arzneimittel hinsichtlich Dosierung und patientenseitigen Faktoren (z.B. Nierenfunktion und Begleiterkrankungen) „genau angeschaut werden“. Sämtliche Möglichkeiten, eine Gefährdung des Patienten frühzeitig erkennen und nötigenfalls intervenieren zu können, müssen genutzt werden. 

Auch eine Behandlung durch mehrere Ärzte kann sich als Risikofaktor entpuppen: „Es reicht nicht, wenn Sie Ihre eigene Therapieverordnung überprüfen. Sie müssen die Gesamtmedikation der Patienten anschauen“, verdeutlichte Prof. ­Grandt. Dies gilt insbesondere bei älteren, multimorbiden Menschen mit Polypharmazie. Inzwischen arbeiten 21 Fachgesellschaften gemeinsam an einem Leitlinienvorhaben zur Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität. Wie dabei Interaktionen bewertet und mit der Evidenzlage umgegangen wird, verdeutlichte der Experte anhand eines Beispiels (s. ­Kasten).

Interaktionen kennen und vermeiden

Prof. Grandt lieferte ein Beispiel aus dem Praxisalltag: Die gleichzeitige Therapie mit Trimethoprim oder Cotrimoxazol und ACE-Hemmern oder Angiotensin-II-Rezeptorblockern soll nicht erfolgen. Grund ist die durch Studien belegte Gefahr einer klinisch relevanter Hyperkaliämie und des erhöhten Risikos für plötzlichen Herztod:
  • Die Kombination von Trimethoprim und ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptorantagonisten war mit einem siebenfach höheren Risiko notfallmäßiger Krankenhausaufnahme wegen Hyperkaliämie verbunden.
  • Bei Vorbehandlung mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptorantagonisten führt Trimethoprim/Sulfamethoxazol im Vergleich zur Gabe von Amoxicillin vermehrt zu plötzlichem Herztod.
  • Verglichen mit Amoxicillin war eine Trimethoprim-Sulfamethoxazol-Gabe mit einem mehr als verdoppelten Risiko für einen plötzlichen Tod assoziiert. Mit eingeschränkter Nierenfunktion steigt das Risiko noch einmal deutlich an.

Was bedeutet es konkret, wenn Arzneimittelkombinationen „inadäquat verordnet“ werden? Aus juristischer Sicht würde z.B. ein Befunderhebungsmangel attestiert, wenn die Gesamtmedikation des Patienten unzureichend erfasst wurde. Und die fehlende Kenntnis der Risiken einer Kombination käme einer Verletzung der Sorgfaltspflicht gleich (s. ­Kasten), erklärte Prof. ­Grandt. Sein klarer Appell: Niemand darf vermeidbaren Risiken ausgesetzt werden.

Ursachenforschung für Anfänger

Die Gründe für inadäquate Arzneimittelkombinationen sind: 1. mangelnde Sorgfalt bei der Verordnung
  • keine Kenntnis der Gesamtmedikation des Patienten
  • medikationsrelevante Patientenfaktoren sind unbekannt, z.B. eingeschränkte Nierenfunktion
  • fehlende Kenntnis der Risiken der Kombination, insbesondere bei Verordnungen durch mehrere Ärzte
  • keine Prüfung der Medikation auf Interaktionsrisiken
2. inadäquates Risikobewusstsein
3. inadäquates Risikomanagement

Damit es im Praxisalltag nicht zu kritischen Arzneimittelkombinationen kommt, gibt es Empfehlungen für ein systematisches, schrittweises Vorgehen (s. ­Kasten). Prof. ­Grandt rät, pragmatisch zu starten: „Fangen Sie mit den Interaktionen der 30 von Ihnen am häufigsten verordneten Arzneimittel an.“ Und er forderte nochmals: „Keine Verordnung ohne Kenntnis der Gesamtmedikation.“

Interaktionsmanagement mit System

Um Schäden durch Arzneimittelwechselwirkungen zu vermeiden, wird ein systematisches Vorgehen empfohlen:
  • Risikoeinschätzung – die Vermeidung von Interaktionsrisiken priorisieren
  • Risikomanagement – systematische Interaktionsprüfung der Medikation planen
  • elektronische Unterstützung der Interaktionsprüfung anstreben

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)

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