Augenmaß bei Antibiotikaprophylaxe in der Neutropenie

Friederike Klein

Stringenter Einsatz dämmt unerwünschte Folgen ein. Stringenter Einsatz dämmt unerwünschte Folgen ein. © fotolia/auremar

Prophylaktisch gegebene Antibiotika verringern bei chemotherapiebedingter Neutropenie die Fieber- und Infekthäufigkeit. Resistenzentwicklung und Kollateralschäden der Antibiotikagabe stehen diesem Nutzen gegenüber. An der hämatoonkologischen Universitätsklinik in Mainz wird diese Primärprophylaxe deshalb nur eingeschränkt eingesetzt.

Was empfehlen die Leitlinien? "Wer eine Antibiotikaprophylaxe bei Hochrisikopatienten in der Neutropenie macht, befindet sich absolut im Rahmen der geltenden Leitlinienempfehlungen", stellte Dr. Daniel Teschner, Leiter Infektiologie der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, fest.1,2

Eng begrenzter Antibiotika-Einsatz in Mainz

Allerdings hält die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (AGIHO) spezifisch für die Situation der allogenen Stammzelltransplantation (SCT) dies nur in Zentren mit einer niedrigen Rate resistenter gramnegativer Bakterien für sinnvoll.2 "Da ist natürlich die Frage, was ist niedrig?", betonte Dr. Teschner. Diskutiert werde meist eine Resistenzrate von unter 20 %. Hochrisikopatienten sind diejenigen, die eine Systemtherapie erhalten, die mit einer mehr als sieben Tage dauernden Neutropenie einhergeht. In der Hämatoonkologie sind dies Patienten mit akuter lymphatischer Leuk­ämie (ALL), mit akuter mye­loischer Leukämie (AML) und solche, die sich einer autologen oder allogenen SCT unterziehen.

"Wir machen aber seit mehr als zehn Jahren weder bei der ALL noch der AML oder einer autologen SCT eine primäre Antibiotikaprophylaxe, sondern ausschließlich bei der allogenen SCT", berichtete Dr. Teschner. Das wurde auch so in einer entsprechenden Standard Operating Procedure (SOP) hinterlegt. Die Prophylaxe bei allogener SCT erfolgt unter Transplantation stationär mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol (960 mg zweimal täglich bis Tag -1) und ab Tag 0 mit Ciprofloxacin (500 mg zweimal täglich).

Nicht an Durchschnittswerten der gesamten Klinik orientieren

Zur Entscheidung über eine Primärprophylaxe sollte laut Dr. Teschner immer das Patientenkollektiv und die Art beziehungsweise Intensität der Systemtherapie bedacht werden. Die ambulante Therapie könne unter Umständen eher für eine Antibiotikaprophylaxe sprechen, weil die Patienten nicht immer beobachtet werden können.

Wichtig ist auch die Orientierung an der Resistenzsituation der eigenen Klinik beziehungsweise Abteilung, nicht an Durchschnittswerten des gesamten Krankenhauses."Sonst sind beispielsweise auch chirurgische Patienten oder solche mit diabetischem Fußsyndrom erfasst", so Dr. Teschner.

Er empfiehlt stringente Maßnahmenbündel, beispielsweise in Form von Standard Operating Procedures (SOP). Sie definieren für alle Mitarbeiter den vereinbarten Hausstandard. Allerdings müssen die SOP auch entsprechend überwacht werden, um eine Umsetzung zu garantieren.

Woher droht die Gefahr?

Von wesentlicher Bedeutung ist dabei das Erregerspektrum. In Basel fanden sich in 84 Isolaten bei Bakteriämien im Rahmen einer allogenen SCT bis Tag 30 zu 77 % grampositive und 23 % gramnegative Erreger, davon zwei gramnegative „Extended Spectrum Beta Laktamase“(ESBL)-Bildner. Koagulase-negative Staphylokokken, die auch Kontaminationen sein können, machten etwa die Hälfte aller Erreger aus. Bei den gramnegativen Erregern fanden sich vor allem E. coli und Klebsiellen.

"In Mainz ist die Verteilung ganz ähnlich", berichtete Dr. Teschner. In Blutkulturen aller 6143 im Jahr 2015 stationär behandelten Patienten der III. Medizinischen Klinik ließen sich in 27 % der Fälle Erreger nachweisen, davon 72 % grampositive und 28 % gramnegative. Die Resistenzstatistik zeigte allerdings, dass Staphylokokken und Streptokokkus pneumoniae überhaupt nicht für das regelhaft eingesetzte Ciprofloxacin sensibel waren und Enterokokken gerade einmal zu gut 20 %.

"Wir behandeln einen Großteil der 72 % Patienten mit Infektionen mit grampositiven Erregern umsonst", gab Dr. Teschner zu bedenken. Und auch bei den stärker gefürchteten grannegativen Keimen waren durchweg mehr als 20 % gegen Ciprofloxacin resistent, bei den Pseudomonaden sogar über 40 %. "Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir die Keime, die wir haben, mit der Prophylaxe nicht erreichen", musste Dr. Teschner konstatieren.

Mehr Resistenzen, Diarrhö und Rezidive

Sicher ist, dass durch die Antibiose aber erhebliche unerwünschte Effekte erzeugt werden. Antibotikatherapie und Antibiotikaprophylaxe bei hämatoonkologischen Patienten sind wichtige Treiber von Resistenzen, aber auch Risikofaktoren für eine mit Clostridium difficile assoziierte Diarrhö, die bei hämato-onkologischen Patienten die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich beeinträchtigt.3 Das etablierte Mikrobiom wird durch die Antibiotikaprophylaxe gestört. Das führt nicht nur zur Anfälligkeit für Clostridien, sondern je nach dominierendem Keim sogar zu einer höheren Rezidivwahrscheinlichkeit nach alloSCT.4

Neutropenes Fieber: Keine Zurückhaltung!

Tritt ein neutropenes Fieber auf, ist dies ein potenziell lebensbedrohlicher Notfall. Zurückhaltung ist dann fehl am Platz. Innerhalb einer Stunde sollte mit der empirischen Therapie, z.B. mit Piperacilllin/Tacobactam, begonnen werden, auch wenn der verursachende Erreger noch nicht bekannt ist. "Wenn man da zögert, sterben die Patienten!" stellte Dr. Teschner klar. Er empfahl aber auch, die Therapie wieder zügig zu deeskalieren, wenn nach 48 Stunden klar ist, dass es sich nicht um einen lebensbedrohlichen Keim, z.B. um einen resistenten Pseudomonas, handelt.

"Wir erzeugen einen Kollateralschaden, der kontraproduktiv ist", betonte Dr. Teschner. Das mag erklären, warum in Studien bisher nicht eindeutig eine verbesserte Überlebensrate bei antibiotischer Primärprophylaxe in der Neutropenie gezeigt werden konnte.

1. Neumann S et al. Ann Hematol 2013; 92: 433–442
2. Ullmann AJ et al. Ann Hematol 2016; 95: 1435–1455
3. Fuereder T et al. Sci Rep 2016; 6: 31498
4. Peled JU et al. J CLin Oncol 2017 Mar 15 (Epub)

Quelle: 5. ASORS-Jahreskongress 2017 

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Stringenter Einsatz dämmt unerwünschte Folgen ein. Stringenter Einsatz dämmt unerwünschte Folgen ein. © fotolia/auremar