Der Polypharmazie bei älteren Patienten begegnen

Friederike Klein

Acht Medikamente pro Tag sind bei Senioren nicht ungewöhnlich. Acht Medikamente pro Tag sind bei Senioren nicht ungewöhnlich. © iStock/xijian

Der 80-jährige Durchschnittsdeutsche schluckt täglich acht verschiedene Medikamente – ein Cocktail mit unvorhersehbaren Interaktionen und Nebenwirkungen. Der kritische Umgang mit den eigenen Verordnungen kann Ihnen helfen, die Medikation zu optimieren.

Angenommen, Ihr Patient ist herzinsuffizient, hat eine KHK, COPD, M. Parkinson und dazu noch einen Diabetes. Dann müssten Sie – den jeweiligen Leitlinien zufolge – insgesamt etwa 10–20 Medikamente verordnen. Das Interaktionspotenzial bei dieser Menge ist nicht zu durchschauen. Sogar entsprechende Datenbanken können bei der Fülle an potenziellen Wechselwirkungen kaum helfen. Und ob Symptome bei gebrechlichen Menschen auf eine Erkrankung oder die Medikation zurückzuführen sind, lässt sich in der Regel höchstens durch Auslass- und Reexpositionsversuche klären.

Der erste Schritt zur Optimierung der Medikation bei geria­trischen Patienten mit Polypharmazie besteht darin, gemeinsam mit dem Patienten das Therapieziel zu definieren und die Erkrankungen nach Relevanz zu priorisieren, schreiben Dr. Jascha Wiechelt vom Otto-Fricke-Krankenhaus Paulinenberg in Bad Schwalbach und seine zwei Mit­autorinnen. Auch sollten alle weiteren Medikamente des Patienten, z.B. die von Fachärzten verordneten, erfasst werden. Fragen Sie auch nach Vit­aminen und Nahrungsergänzungsmitteln, Tees, Säften, Salben und pflanzlichen sowie freiverkäuflichen Arzneimitteln.

FORTA-Liste führt nachweislich nützliche Medikamente auf

Neben den Interaktionsdatenbanken stehen Ihnen als Hilfsmittel für die Auswahl von für geriatrische Patienten geeigneten Medikamenten Negativ- und Positivlisten zur Verfügung. So nennt die Priscus-Liste Arzneimittel, die bei älteren und hochaltrigen Menschen möglicherweise inadäquat sind.

Die FORTA-Liste führt neben Präparaten, die im Alter besser nicht verordnet werden sollten, auch ausdrücklich solche auf, die im Alter nachgewiesenermaßen einen Nutzen haben. Allerdings gibt es für beide Hilfsmittel keinen wissenschaftlichen Beleg, dass sie die Polypharmazie wirklich reduzieren. Immerhin ließ sich anhand der FORTA-Kriterien die Qualität der Medikation von Patienten verbessern und das Sturzrisiko und die Nebenwirkungsrate senken. Nichtsdestotrotz bleiben manche Präparate auch bei kritischer Einschätzung unumgänglich, geben die Autoren zu.

Medikamentencheck nach FORTA

FORTA steht für Fit fOR The Aged. Die Liste unterteilt Medikamente in vier Kategorien. Einzusetzen sind v.a. Medikamente der Kategorie A und B. Aus Gruppe C sollten nicht mehr als 2–3 Substanzen verordnet werden. A: Unverzichtbar: Nutzen ist bei bestehender Indikation eindeutig belegt. B: Vorteilhaft: Wirksamkeit bei älteren Patienten nachgewiesen. Es gibt allerdings Einschränkungen bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit. C: Fragwürdig: Ungünstige Nutzen-Risiko-Relation für ältere Patienten. Falls keine Alternative möglich, ist eine genaue Beobachtung von Wirkungen und Nebenwirkungen nötig. D: Vermeiden: Alternativpräparate sind in jedem Fall zu bevorzugen. (Fast alle Medikamente dieser Klasse finden sich auch in der Priscus-Liste.)

Im Falle einer Polymedikation ist es wichtig, dass eine Person regel­mäßig die Medikamente kontrolliert. Das kann der Hausarzt oder auch der Apotheker sein. Bitten Sie z.B. Patienten oder Angehörige, alle Arzneimittel mitzubringen, die derzeit eingenommen werden. So können sie auf Haltbarkeit, Interaktionen, Nebenwirkungen und Indikation geprüft werden.

Prüfen, ob die Arzneien ausreichend wirken

Aufgrund realer Fälle empfehlen die Autoren, sich bei neuen Verordnungen folgende Punkte immer bewusst zu machen:
  • Verwechslungen (Frau Mayer oder Frau Meier?) können tödlich enden.
  • Medikamente können ebenfalls ähnliche Namen haben, z.B. Methotrexat und Metohexal oder in verschiedenen Dosierungen erhältlich sein (10 mg oder 100 mg), was zu Medikationsfehlern führen kann.
  • Nicht für jedes Präparat besteht bei jedem hochaltrigen Polypharmazierten (weiterhin) eine Indikation. Als Beispiele nennen die Autoren Allopurinol, Protonenpumpenhemmer oder Digitalis­.
  • Passt das (neue) Medikament zur bisherigen Medikation oder sind Interaktionen anzunehmen?
  • In manchen Fällen gab es bereits Nebenwirkungen auf die Substanz(-klasse) oder das Arzneimittel wurde bereits einmal erfolglos eingesetzt.
  • Die Dosierung muss unter anderem Leber- und Nierenfunktion berücksichtigen. Bei älteren Patienten empfehlen die Autoren, Medikamente langsam einzu­dosieren und die Dosis vorsichtig zu steigern.
  • Die medikamentöse Behandlung sollte bei der geschätzten Lebenserwartung des Patienten gerechtfertigt sein. Beispielsweise ist eine Osteoporosetherapie bei terminaler Herzinsuffizienz nicht sinnvoll.
Tritt bei älteren Patienten ein Symptom neu auf, muss man prüfen, ob es sich um eine Nebenwirkung handeln könnte oder sogar die Konsequenz einer Verordnungskaskade. Stellen Sie bei der Verlaufskontrolle fest, dass Medikamente nicht ausreichend wirken, muss die Weiterführung der Therapie kritisch hinterfragt werden – wenn die Aufdosierung korrekt erfolgte, auch bei Antidementiva, betonen die Autoren. Bei Kognitionsstörungen sei immer auch an eine unerwünschte Wirkung von Arzneimitteln zu denken.­

Der Wirkstoff muss auch eingenommen werden

Bevor Sie einem betagten Patienten ein Rezept ausstellen, gilt es, einige generelle Faktoren zu überprüfen:
  • Wie ist er ambulant versorgt? Kann das Therapie­regime korrekt durchgeführt werden?
  • Gefährden Schluckstörungen, schlechte Zahnprothesenversorgung, eingeschränktes Sehvermögen, eingeschränkte Fingerfertigkeit sowie Kognitions- oder Emotionsstörungen die richtige Einnahme? Insbesondere bei Inhalatoren sollten Sie sich die Anwendung einmal vorführen lassen.
  • Hält der Patient Therapievorgaben generell (nicht) ein?
  • Wird Unterstützung beim Richten der Arzneimittel benötigt? Gegebenenfalls müssen Sie die Helfer aufklären, z.B. dürfen manche Tabletten erst kurz vor der Einnahme aus dem Blister genommen werden.

Notwendige Spiegelkontrollen sollten im höheren Alter und bei Polymedikation häufiger als bei jüngeren Patienten erfolgen. So sollte bei einer Therapie mit Vit­amin-K-Antagonisten die INR bei Verlassen des Zielbereichs bereits nach drei Tagen erneut kontrolliert werden.

Quelle: Wiechelt J et al. Schmerzmedizin 2020; 36: 38-43; DOI: 10.1007/s00940-020-0610-y

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Acht Medikamente pro Tag sind bei Senioren nicht ungewöhnlich. Acht Medikamente pro Tag sind bei Senioren nicht ungewöhnlich. © iStock/xijian