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Die Parade des Paradoxen

Während einer Biologikatherapie können verschiedene Arten von Nebenwirkungen auftreten. Mit den einen hat man gerechnet, wie mit einer Zunahme von Infektionen unter einer TNF-Blockade. „Es gibt aber natürlich auch unerwartete Nebenwirkungen, die auftreten, ohne dass wir dafür eine pathophysiologische Erklärung haben“, erklärte Professor Dr. Ulrich Mrowietz vom Psoriasiszentrum und der Abteilung für Dermatologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel.
Ein Beispiel dafür: paradoxe Reaktionen. Sie bezeichnen das neue Auftreten oder die Verschlechterung einer Krankheit, die normalerweise mit dem gleichen Biologikum behandelt würde, das sie ausgelöst hat. Die häufigsten Vertreter in der Dermatologie sind:
- paradoxe Psoriasis sowie die „psoriasiforme“ Dermatitis
- palmo-plantare Pustulose
- arthritisartige Entzündungen
- Akne inversa
Vitiligo und Alopezien kommen zwar auch vor, da sei aber bis heute noch nicht klar, ob es sich um echte paradoxe oder nur um unerwartete Reaktionen handele. Ähnliches gilt laut Prof. Mrowietz für viele granulomatöse Veränderungen, z.B. eine Sarkoidose, unter Anti-TNF.
Wenn die Therapie der einen Krankheit eine andere erzeugt
1. Sondermann W et al. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 1029-1038; DOI: 10.1111/ddg.13964_g
Risikofaktoren sind genetisch und mikrobiotisch
Spitzenreiter im Auslösen paradoxer Effekte sind in den Auswertungen mit Abstand die TNF-Antagonisten (s. Kasten oben), erläuterte Prof. Mrowietz und berief sich dabei auf eine aktuelle Studie.1 Neben wirkstoffspezifischen Eigenschaften gibt es individuelle und genetische Faktoren sowie Prozesse, die dem Mikrobiom zugeschrieben werden, die solche Komplikationen wahrscheinlicher machen. Für die paradoxe Psoriasis ermittelte man eine positive Familienanamnese (Odds Ratio 16), akuten psychischen Stress (OR 3,14) oder Tabakrauchen (OR 1,76) als begünstigend.Das Alter macht einen Unterschied
Wie unterscheiden sich paradoxe Reaktionen von den normalen Erkrankungsformen?
Eine Besonderheit der paradoxen Psoriasis ist beispielsweise, dass die Hautveränderungen nicht nur psoriasiform sind, sondern zu einem nicht geringen Teil (35 %) auch spongiotisch. Zudem finden sich deutlich weniger Neutrophile im Strateum corneum und dafür mehr Eosinophile in der Dermis, was insgesamt eher einer dermatitisartigen Reaktion ähnelt, erklärte der Kieler Dermatologe. „Neue Untersuchungen zeigen, dass bei einer paradoxen Psoriasis vermehrt polyfunktionale Interleukin-17 produzierende T-Zellen vorhanden sind. Dadurch wird bei der paradoxen Variante deutlich mehr IL-17 freigesetzt als bei einer Psoriasis vulgaris.“ Neben der veränderten T-Zell-Antwort kommen weitere Vorgänge infrage. Eine Veränderung der Signalwege – z.B. des Interferon-1-Typ-Signalwegs durch TNF-Blocker – kann ebenfalls zu einer Überproduktion anderer Zytokine führen. „Wir sollten auch nicht vergessen, dass therapeutische Antikörper selbst zu einer Antikörperbildung führen können“, erinnerte Prof. Mrowietz. Die sogenannten Anti-Drug-Antibodies sowie Anti-Nukleäre-Antikörper rufen unter Umständen lupusartige Veränderungen hervor. Last, but not least wäre das angeborene Immunsystem in der Lage, bei einer Biologikatherapie querzuschießen. Ansatzpunkt dabei ist der unspezifische Fc-Rezeptor-Teil des Therapeutikums.Reaktion kann Therapie erforderlich machen
Das Problem der paradoxen Reaktionen: Nicht immer hat es sich mit einem Substanzwechsel erledigt. „Wir haben Patienten, zum Beispiel mit Morbus Crohn, die eine paradoxe Psoriasis oder eine Psoriasis entwickelt haben, die leider viele, viele Jahre bestehen bleibt. Bei ihnen wird zeitgleich immer eine Therapie des Morbus Crohn und der noch bestehenden Psoriasis notwendig“, so Prof. Mrowietz. Es gebe aber genauso Patienten, „bei denen das episodisch einmalig auftrat und dann nie wieder“. Worauf diese Unterschiede basieren, ließ sich bisher noch nicht klären.Substanzwechsel auf IL-17-Blocker sinnvoll?
Das Gute sei, dass die neuen Daten über die IL-17-Überproduktion bei der Entscheidung helfen können, auf was der beispielsweise mit TNF-Blockern behandelte Patient am besten umgestellt werden sollte. In keinem Fall ergibt es Sinn, auf einen anderen TNF-Antagonisten zu wechseln, betonte der Referent. In der Psoriasistherapie wäre z.B. an die IL-17- und IL-23-Inhibitoren zu denken. Für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bieten sich IL-17-Hemmer zwar leider nicht an. Hier könne man in Absprache mit den Fachkollegen aber Ustekinumab oder hoffentlich bald andere p19-Hemmer wie Risankizumab erwägen, oder second-line auf JAK-Inhibitoren wechseln.1. Murphy MJ et al. J Am Acad Dermatol 2020; DOI: 10.1016/j.jaad.2020.12.010
Quelle: 51. Jahrestagung der DDG*
* Deutsche Dermatologische Gesellschaft; Online-Veranstaltung
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