Die Parade des Paradoxen

Dr. Susanne Gallus

Die Sache scheint ziemlich paradox: Sind die Medikamente jetzt für oder gegen die Schuppenflechte? Die Sache scheint ziemlich paradox: Sind die Medikamente jetzt für oder gegen die Schuppenflechte? © fusssergei – stock.adobe.com

Der eine nimmt TNF-Blocker gegen seine Psoriasis, der andere bekommt die Schuppenflechte genau davon – paradoxe kutane Reaktionen stellen den behandelnden Arzt vor Herausforderungen. Noch immer ist die Entstehung dieser Nebenwirkungen nicht ganz geklärt. Ebenso lässt sich kaum vorhersagen, welche Patienten sie betreffen werden und in welchem Ausmaß.

Während einer Biologikatherapie können verschiedene Arten von Nebenwirkungen auftreten. Mit den einen hat man gerechnet, wie mit einer Zunahme von Infektionen unter einer TNF-Blockade. „Es gibt aber natürlich auch unerwartete Nebenwirkungen, die auftreten, ohne dass wir dafür eine pathophysiologische Erklärung haben“, erklärte Professor Dr. Ulrich Mrowietz vom Psoriasiszentrum und der Abteilung für Dermatologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel.

Ein Beispiel dafür: paradoxe Reaktionen. Sie bezeichnen das neue Auftreten oder die Verschlechterung einer Krankheit, die normalerweise mit dem gleichen Biologikum behandelt würde, das sie ausgelöst hat. Die häufigsten Vertreter in der Dermatologie sind:

  • paradoxe Psoriasis sowie die „psoriasiforme“ Dermatitis
  • palmo-plantare Pustulose
  • arthritisartige Entzündungen
  • Akne inversa

Vitiligo und Alopezien kommen zwar auch vor, da sei aber bis heute noch nicht klar, ob es sich um echte paradoxe oder nur um unerwartete Reaktionen handele. Ähnliches gilt laut Prof. Mrowietz für viele granulomatöse Veränderungen, z.B. eine Sarkoidose, unter Anti-TNF.

Wenn die Therapie der einen Krankheit eine andere erzeugt

Kutane Manifestationen als Komplikation einer Biologikatherapie sehen wir als Dermatologen sehr häufig“, berichtete Prof. Mrowietz. Hauptsächlich treten diese bei der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen und rheumatologischer Erkrankungen auf. In der Zusammenstellung von 39 Patienten mit kutanen Nebenwirkungen auf ihre Medikation, die Ärzte aus Essen ausgewertet hatten, litten 60 % an Morbus Crohn. Spondylarthritis und rheumatoide Arthritis hatten 13 % bzw. 8 %.1 Aber auch bei der Behandlung von Hautkrankheiten muss mit kutanen Komplikationen gerechnet werden – der Anteil der Patienten mit einer Psoriasis lag in der Essener Arbeit immerhin ebenfalls bei 13 %. Insgesamt wurden 37 der 39 Patienten mit kutanen Komplikationen mit TNF-Blockern behandelt.

1. Sondermann W et al. J Dtsch Dermatol Ges 2019; 17: 1029-1038; DOI: 10.1111/ddg.13964_g

Risikofaktoren sind genetisch und mikrobiotisch

Spitzenreiter im Auslösen paradoxer Effekte sind in den Auswertungen mit Abstand die TNF-Antagonisten (s. Kasten oben), erläuterte Prof. Mrowietz und berief sich dabei auf eine aktuelle Studie.1 Neben wirkstoffspezifischen Eigenschaften gibt es individuelle und genetische Faktoren sowie Prozesse, die dem Mikrobiom zugeschrieben werden, die solche Komplikationen wahrscheinlicher machen. Für die paradoxe Psoriasis ermittelte man eine positive Familienanamnese (Odds Ratio 16), akuten psychischen Stress (OR 3,14) oder Tabakrauchen (OR 1,76) als begünstigend. 

Das Alter macht einen Unterschied

TNF-Blocker gehören zu den ersten entwickelten Biologika. Grund für das schlechte Abschneiden der Substanzklasse (verantwortlich für bis zu 91 % der paradoxen Reaktionen1) könnte etwas sein, was Prof. Mrowietz als „therapeutische Evolution“ bezeichnete. Bei Entwicklung und Herstellung neuer Wirkstoffe lässt sich zunehmend eine geringere antigene Potenz erreichen. Dadurch kommt es voraussichtlich seltener zu paradoxen Effekten und zumindest in der Dermatologie zu immer besseren Nutzen-Risiko-Profilen. Man darf allerdings einen typischen Aspekt beim Vergleich von alten und neuen Medikamenten nicht vergessen: Absolut gesehen gibt es immer mehr Berichte über Substanzen, die schon lange eingesetzt werden. „Was in jedem Fall bleibt, ist die Tatsache, dass paradoxe Reaktionen prinzipiell bei jedem Biologikum auftreten können, und das gilt auch vor allen Dingen für die, die neu in die Dermatologie kommen werden“, betonte Prof. Mrowietz.

Wie unterscheiden sich paradoxe Reaktionen von den normalen Erkrankungsformen?

Eine Besonderheit der paradoxen Psoriasis ist beispielsweise, dass die Hautveränderungen nicht nur psoriasiform sind, sondern zu einem nicht geringen Teil (35 %) auch spongiotisch. Zudem finden sich deutlich weniger Neutrophile im Strateum corneum und dafür mehr Eosinophile in der Dermis, was insgesamt eher einer dermatitisartigen Reaktion ähnelt, erklärte der Kieler Dermatologe. „Neue Untersuchungen zeigen, dass bei einer paradoxen Psoriasis vermehrt polyfunktionale Interleukin-17 produzierende T-Zellen vorhanden sind. Dadurch wird bei der paradoxen Variante deutlich mehr IL-17 freigesetzt als bei einer Psoriasis vulgaris.“ Neben der veränderten T-Zell-Antwort kommen weitere Vorgänge infrage. Eine Veränderung der Signalwege – z.B. des Interferon-1-Typ-Signalwegs durch TNF-Blocker – kann ebenfalls zu einer Überproduktion anderer Zytokine führen. „Wir sollten auch nicht vergessen, dass therapeutische Antikörper selbst zu einer Antikörperbildung führen können“, erinnerte Prof. Mrowietz. Die sogenannten Anti-Drug-Antibodies sowie Anti-Nukleäre-Antikörper rufen unter Umständen lupusartige Veränderungen hervor. Last, but not least wäre das angeborene Immunsystem in der Lage, bei einer Biologika­therapie querzuschießen. Ansatzpunkt dabei ist der unspezifische Fc-Rezeptor-Teil des Therapeutikums.

Reaktion kann Therapie erforderlich machen

Das Problem der paradoxen Reaktionen: Nicht immer hat es sich mit einem Substanzwechsel erledigt. „Wir haben Patienten, zum Beispiel mit Morbus Crohn, die eine paradoxe Psoriasis oder eine Psoriasis entwickelt haben, die leider viele, viele Jahre bestehen bleibt. Bei ihnen wird zeitgleich immer eine Therapie des Morbus Crohn und der noch bestehenden Psoriasis notwendig“, so Prof. Mrowietz. Es gebe aber genauso Patienten, „bei denen das episodisch einmalig auftrat und dann nie wieder“. Worauf diese Unterschiede basieren, ließ sich bisher noch nicht klären.

Substanzwechsel auf IL-17-Blocker sinnvoll?

Das Gute sei, dass die neuen Daten über die IL-17-Überproduktion bei der Entscheidung helfen können, auf was der beispielsweise mit TNF-Blockern behandelte Patient am besten umgestellt werden sollte. In keinem Fall ergibt es Sinn, auf einen anderen TNF-Antagonisten zu wechseln, betonte der Referent. In der Psoriasistherapie wäre z.B. an die IL-17- und IL-23-Inhibitoren zu denken. Für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bieten sich IL-17-Hemmer zwar leider nicht an. Hier könne man in Absprache mit den Fachkollegen aber Ustekinumab oder hoffentlich bald andere p19-Hemmer wie Risankizumab erwägen, oder second-line auf JAK-Inhibitoren wechseln.

1. Murphy MJ et al. J Am Acad Dermatol 2020; DOI: 10.1016/j.jaad.2020.12.010

Quelle: 51. Jahrestagung der DDG*

* Deutsche Dermatologische Gesellschaft; Online-Veranstaltung

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