Die vergessenen Schmerzen von Demenzkranken

Dr. Michael Brendler

Schmerz in Kombina­tion mit Demenz erschwert in erheblichen Ausmaß die Schmerzerkennung. Schmerz in Kombina­tion mit Demenz erschwert in erheblichen Ausmaß die Schmerzerkennung. © iStock/ivanastar

Im Vergleich zu ihren geistig fitten Altersgenossen erhalten Demenzpatienten wesentlich seltener eine Schmerztherapie. Das liegt vor allem daran, dass die Anzeichen nicht richtig wahrgenommen werden. Daher gilt es, die entsprechenden Alarmsignale zu erkennen.

Viele Demenzkranke leiden unter schmerzhaften Erkrankungen – noch mehr als geistig Gesunde. So erhielten sie in einer Studie nach Schenkelhalsbruch 30 % weniger Morphin als kognitiv unauffällige Leidensgenossen. Bei sanfteren Analgetika wie Paracetamol werden sie noch knapper gehalten. Hier müssen sie sogar mit halb so hohen Dosen auskommen, berichtet Privatdozent Dr. Albert Lukas vom Zentrum für Altersmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard in Bonn.

Leid äußert sich oft in Verhaltensauffälligkeit

Der Grund: „Schmerz in Kombina­tion mit Demenz erschwert in erheblichen Ausmaß die Schmerzerkennung.“ Angesichts einer Quote von bis zu 50 % der älteren Menschen, die gleichzeitig unter Demenz und Schmerzen leiden, ist das nicht nur in der Chirurgie ein massives medizinisches Problem. Weil die Betroffenen ihre Leiden oft nicht verbal äußern können, reagieren sie zudem immer wieder mit Verhaltensauffälligkeiten. Das hat häufig nicht nur zur Folge, dass neuropsychiatrische Symptome wie Unruhe, Schlafstörungen oder Depressionen die Behandlung erschweren. Vielmehr werden die Patienten dann sehr oft mit Neuroleptika, manchmal sogar mit Fixierungsmaßnahmen statt mit Analgetika behandelt.

Dabei empfinden Betroffene mit oder ohne Demenz Schmerzen gleich. Mit dem Grad der kognitiven Einschränkung ändert sich ausschließlich die Schmerztoleranzschwelle: Demenzkranke scheinen später als kognitiv unauffällige Menschen einen Schmerzreiz nicht mehr zu tolerieren. Aber auch dies gilt nicht für jeden Kranken. Bei einer vaskulären Demenz findet sich die Schwelle oft erniedrigt, bei einer frontotemporalen Erkrankung eher erhöht.

Blutdruck-, Herzfrequenz- und andere vegetative Reaktionen fallen dagegen unabhängig von der Genese der mentalen Probleme stets schwach aus. Die mimischen Reaktionen seien bei den Betroffenen dagegen oft gleichsam enthemmt, so der Experte. Obwohl viele Betroffene die Fähigkeit verloren haben, ihre Schmerzen verbal auszudrücken – oder sie sogar verneinen –, gelte auch beim Schmerzassessment von Demenzkranken der „Goldstandard der Selbsteinschätzung“. Jeder Patient sollte zunächst einmal persönlich gefragt werden.

Als Instrument dafür empfiehlt sich die verbale Rating-Skala (VRS). Eigene Untersuchungen von Dr. Lukas zeigten, dass die VRS recht stabil in über 90 % der Fälle von Patienten selbst mit mittelgradigen kognitiven Einschränkungen noch relativ sicher genutzt werden kann. In schweren Fällen verliert das Instrument dann seinen Nutzen, dann sollten Fremd­einschätzungsinstrumente zur Anwendung kommen.

Objektive Beurteilungshilfen noch in der Entwicklung

Dafür eignet sich als Skala mit dem international besten Empfehlungsgrad vor allem die Beurteilung des Schmerzes bei Demenz (BESD) am besten. Aus Atmung, Mimik, negativen Lautäußerungen, Körpersprache und Trost wird dabei ein Punktwert zwischen eins und zehn errechnet. Der Grenzwert für den Beginn einer analgetischen Therapie liegt laut Dr. Lukas bei vier oder höher.

Objektive Verfahren, die beispielsweise auf einer automatisierten Erkennung von Parametern wie Mimik-Reaktionsmustern, EEG oder Hautwiderstand beruhen, befinden sich zwar in der Entwicklung, stehen aber noch nicht zur Verfügung. Für die Schmerzerkennung stellt die Demenz deshalb auf absehbare Zeit weiterhin eine Herausforderung dar. Im Zweifelsfall lohnt es sich daher, ruhig einmal einen vorsichtigen Therapieversuch einzuleiten und die Wirkung abzuwarten.

Quelle: Lukas A. DNP 2017; 18: 48-52

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Schmerz in Kombina­tion mit Demenz erschwert in erheblichen Ausmaß die Schmerzerkennung. Schmerz in Kombina­tion mit Demenz erschwert in erheblichen Ausmaß die Schmerzerkennung. © iStock/ivanastar