Falsche Bewegung im Darm

Dr. Dorothea Ranft

Es gibt viele Ursachen dafür, dass der Darm-Trakt nicht richtig in Bewegung kommt. Es gibt viele Ursachen dafür, dass der Darm-Trakt nicht richtig in Bewegung kommt. © ag visuell – stock.adobe.com

Ob Erbrechen, Bauchschmerz oder Obstipation – gefährliche gastrointestinale Motilitätsstörungen verstecken sich oft hinter unspezifischen abdominellen Beschwerden. Ein Leitlinien-Update stellt die sechs wichtigsten Formen vor.

Intestinale Motilitätsstörungen können sich im gesamten Darmtrakt manifestieren – vom Duodenum bis zum Rektum. Im Erwachsenenalter zählen dazu im Wesentlichen die folgenden sechs Erkrankungen.

Chronische intestinale Pseudo­obstruktion (CIPO)

Die CIPO ist gekennzeichnet durch intermittierende oder anhaltende (Sub-)Ileus-Symptome und dazu passende Befunde in der bildgebenden Diagnostik. Eine Obstruktion besteht nicht. Sämtliche Abschnitte des Gastrointestinaltrakts können befallen sein. Besonders häufig betroffen ist der Dünndarm, heißt es in dem aktuellen Leitlinien-Update, das unter Federführung von DGVS und DGNM* erstellt wurde. Das häufigste Symptom bei Betroffenen ist Überblähung, gefolgt von abdominellen Schmerzen und Übelkeit.

Morbus Hirschsprung

Beim Morbus Hirschsprung fehlen von Geburt an enterische Nervenzellen im Plexus myentericus und submucosus. Die Folge ist ein tonisch-kontrahiertes und damit obstruiertes Darmsegment. In den meisten Fällen ist das Rektum betroffen, doch die Fehlbildung kann auch in anderen Segmenten auftreten.

Akute kolonische Pseudo­obstruktion (ACPO)

Bei der ACPO kommt es innerhalb weniger Tage zu einer massiven Dilatation des Kolons – auch hier ohne mechanische Obstruktion. In etwa 95 % der Fälle lässt sich eine ­Grunderkrankung eruieren. Das Spektrum reicht von Appendizitis, Herpes Zoster und Diabetes bis zum Morbus Parkinson. Auch Medikamente (z.B. Opioide, Laxanzien) lösen­ mitunter eine ACPO aus.

Idiopathisches Megakolon (IMC)

Das IMC manifestiert sich mit der anhaltenden Dilatation eines Dickdarmsegments, für die sich keine organische Ursache findet. Die Erkrankung kann eine therapierefraktäre Obstipation auslösen, sich aber auch umgekehrt als Endzustand einer jahrelang bestehenden Verstopfung manifestieren.

Slow-Transit-Obstipation

Charakteristisch ist der stark verlangsamte Transport des Darm­inhalts im Kolon. Ursache können enterische Neuro-, Myo- und Mes­enchymopathien sein, aber auch gestörte intestinale Reflexe. Die Folge ist eine verschlechterte propulsive Motilität. Bei der so­genannten Kolonparese fehlt die normale tonische Kolonkontraktion nach hochkalorischen Mahlzeiten völlig.

Beckenbodendyssynergie

Die Beckenbodendyssynergie ist definiert als eingeschränkte oder frustrane Entleerung trotz versuchter Defäkation, ohne dass ein mechanisches Hindernis vorliegt. Der Grund ist eine mangelnde Koordination zwischen intrarektaler Druckerhöhung und Relaxation des Sphinkterapparats. Die Mehrzahl der Fälle beruht auf falschen Toilettengewohnheiten, schmerzhafter Defäkation, obstetrischen Verletzungen, Rückenmarksläsionen oder einer Fehlfunktion der Darm-Hirnachse. Etwa 60 % der Patienten haben zusätzlich eine Obstipation mit verzögertem Transit. Von der Beckenbodendyssynergie zu unterscheiden und wesentlich seltener sind unwillkürliche Spontankontraktionen des Sphinkters (Anismus) bzw. reizgetriggerte Kontraktionen (Beckenbodenspastik).

Die Diagnostik erfolgt in mehreren Stufen

Zu den typischen, aber unspezifischen Symptomen intestinaler Motilitätsstörungen gehören Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerz, Völlegefühl, Blähungen, Diarrhö und/oder Obstipation. Eine schwere Beeinträchtigung des intestinalen Transports kann eine Malabsorption­ auslösen (z.B. durch bakterielle Überwucherung des Dünndarms). Bei rezidivierendem Erbrechen und chronischer Diarrhö drohen Exsikkose und Elektrolytentgleisungen.

Zur genaueren Abklärung empfehlen die Leitlinienautoren eine Stufendiagnostik. Diese sollte neben Labor- und Bildgebung (Sonographie, Endoskopie, Radiologie) je nach Bedarf Motilitätskontrollen (Transitzeitbestimmung, Manometrie) und histologische Analysen (Biopsie) umfassen. Die Differenzierung vom Reizdarm ist anhand einfacher Kriterien möglich (s. Kasten). 

Verwechslungsgefahr gebannt

Nach dem Ausschluss einer mechanischen Obstruktion gelingt die Abgrenzung der Motilitätsstörung vom Reizdarm mit vier Kriterien: 
  • Ileus- bzw. Subileus-Episoden (CIPO)
  • morphologische Veränderungen (Megakolon, Megarektum)
  • stark verzögerter Kolontransit bzw. Beckenbodendyssynergie
  • ausgeprägte Veränderungen der Motilitätsmuster (Manometrie) bzw. intestinalen neuromuskulären Strukturen

Therapeutisch kommt es bei Patienten mit chronischer intestinaler Pseudoobstruktion (CIPO) zunächst darauf an, eine adäquate Nährstoffversorgung zu sichern z.B. mit mehreren kleinen fett- und ballaststoff­armen Mahlzeiten (ggf. zusätzlich Trinklösungen bzw. nasojejunale Sonde). Zur Verbesserung der Motilität lohnt sich ein Versuch mit Prokinetika wie Prucaloprid. Bei rheumatologischen System­erkrankungen (z.B. systemischer Lupus erythematodes) lindern Steroide und i.v. Immunglobuline auch die gastrointestinalen Symptome. Gegen die bakterielle Überwucherung des Dünndarms hilft das topische Antibiotikum Rifaximin. Eine Therapie mit Opioiden kann die Beschwerden sogar verschlimmern und sollte tunlichst vermieden werden. Auch von Laparotomien während der pseudoobstruktiven Episoden rät die Leitlinie dringend ab. Als Ultima Ratio kommt eine Dünndarmtransplantation in Betracht. Patienten mit akuter kolonischer Pseudoobstruktion (ACPO) sollten supportiv behandelt werden, z.B. mit oraler Nahrungskarenz, Ausgleich von Elektrolytstörungen, Weglassen motilitätshemmender Arzneimittel. Bei ausbleibender Besserung innerhalb von ein bis zwei Tagen oder primär schwerem Krankheitsbild ist eine Dekompression angezeigt (bevorzugt medikamentös, bei Bedarf endoskopisch). Therapierefraktäre Patienten können von einer Zöko­stomie bzw. Kolon(-teil)-Resektion profitieren. Zur Behandlung der Obstipation mit verzögertem Transit empfehlen die Leitlinienautoren neben ausreichender Trinkmenge und Bewegung eine vermehrte Ballaststoffzufuhr. Sie räumen aber ein, dass Letztere bei einem stark verlangsamten Darmtransport oft nicht (ausreichend) wirkt. In solchen Fällen können konventionelle Laxanzien (Macrogol, Bisacodyl etc.), Prucaloprid und Linaclotid für Abhilfe sorgen. Häufig werden Kombinationen aus unterschiedlichen Wirkstoffgruppen benötigt (z.B. Laxans plus Prokinetikum). Therapieresistente Patienten profitieren eventuell von einer sakralen Nervenstimulation bzw. subtotalen Kolektomie. Bei rektalen Entleerungsstörungen, beispielsweise infolge einer Querschnittlähmung, rät die Leitlinie zur „Nachhilfe“ mit Bisacodyl- oder CO2-freisetzenden Suppositorien. Die Beckenbodendyssynergie spricht auf ein spezielles Muskeltraining an (am besten mit Biofeedback). Bei therapierefraktärer Störung können Botulinumtoxin-Injektionen versucht werden.

* Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen, Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität

Quelle: Update S3-Leitlinie „Intestinale Motilitätsstörungen: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie der intestinalen Motilitätsstörung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)“, AWMF-Register-Nr. 021-018, www.awmf.org

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