Leitlinie zur koronaren Herzkrankheit überrascht mit neuer Definition

Dr. Anja Braunwarth

Hinter anginösen Beschwerden steckt viel seltener eine KHK als bisher angenommen. Hinter anginösen Beschwerden steckt viel seltener eine KHK als bisher angenommen. © freshidea – stock.adobe.com

Stabile KHK? Dieser Terminus hat sich erledigt. Denn so stabil wie gedacht ist die Krankheit nicht. Deshalb heißt sie in der aktuellen europäischen Leitlinie jetzt „chronisches Koronarsyndrom“.

Mit der Dauer der KHK steigt das Risiko für Tod und Herzinfarkt linear an, erklärte Professor Dr. William­ Wijns­, The Lambe Institute for Translational Medicine, National University of Ireland, Galway. Am geringsten fällt es aus, wenn die Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose revaskularisiert wurden und anschließend eine optimale Kontrolle der Risikofaktoren inklusive Lebensstiländerungen sowie eine adäquate Sekundärprävention erfolgt. Besonders gefährdet sind Menschen, die wiederholt ein akutes Koronarsyndrom (ACS) erleiden und schlecht eingestellt sind.

KHK ist seltener als gedacht die Ursache einer Angina

Verschiedene Erkenntnisse der letzten Jahre haben Einfluss auf die Leitlinie genommen. Zum Beispiel die Tatsache, dass hinter anginösen Beschwerden viel seltener eine KHK steckt als bisher angenommen. In aktuellen Daten aus 2019 ergab sich bei 57 % der Betroffenen mit Brustschmerzen nur noch eine Pre-Test-Wahrscheinlichkeit für die Krankheit von 15 %. Diese lässt sich zunächst aus einer Tabelle ablesen, die Symptome, Geschlecht und Alter berücksichtigt.

Klinisch sollten dann noch die Befunde aus EKG, UKG, CT sowie Risikofaktoren einbezogen werden, erklärte Professor Dr. Juhani Knuuti­ vom finnischen Turku University Hospital. Die Bildgebung hat Fortschritte gemacht und hilft heutzutage enorm weiter, denn sie liefert nun sowohl invasiv als auch nicht-invasiv Hinweise auf anatomische und funktionelle Veränderungen.

Lebensstilempfehlungen für KHK-Kranke

  • Rauchen: Pharmakologische Strategien und Verhaltensinterventionen nutzen, um Patienten beim Ausstieg zu helfen. Passivrauchen vermeiden.
  • Ernährung: Möglichst viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukte essen. Den Fettanteil auf weniger als 10 % der Gesamtaufnahme begrenzen, nicht mehr als 100 g pro Woche oder 15 g Alkohol pro Tag trinken.
  • Körperliche Aktivitäten: 30–60 min moderate physische Aktivität an den meisten Tagen. Aber auch unregelmäßige Bewegung hilft.
  • Gewicht: Ein gesundes Gewicht (BMI <25 kg/m2) erhalten oder durch Verringerung der Energiezufuhr und vermehrte Bewegung reduzieren.
  • Sonstiges: Medikamente wie verordnet einnehmen. Sexuelle Aktivitäten auf niedrigem bis moderatem Level stellen für stabile, asymptomatische Patienten nur ein niedriges Risiko dar.

Spontaner Infarkt lässt sich durch Stent besser verhindern

Wenn eine obstruktive KHK sehr wahrscheinlich ist, die Symptome nicht auf Medikamente ansprechen oder typische Anginabeschwerden bei geringer Belastung auftreten, erfolgt eine Angio. Zur Revaskularisierung rät die Leitlinie bei Stenosen über 90 % oder solchen mit gesichertem Bezug zur Ischämie sowie schweren Funktionsstörungen. Ein spontaner Infarkt lässt sich mit einer Revaskularisierung besser verhindern als mit konservativer Therapie. Im Vergleich brachte ein Stenting, gesteuert durch die fraktionelle Flussreserve (FFR), eine Reduktion des relativen Risikos um 28 %.

Eine optimale Medikation für alle gibt es nicht

Ansonsten gilt es, mit der Therapie vor allem Symptome zu lindern und belastungsinduzierte Ischämien zu verhindern, sagte Professor Dr. Christian­ Funck-Brentano­ vom Krankenhaus Pitié-Salpêtrière und der Sorbonne Universitätsmedizin in Paris. Eine optimale Medikation für alle gibt es nicht, sie muss vielmehr individuell an die Charakteristika und Vorlieben der Patienten angepasst werden. Man startet aber in jedem Fall mit einem oder zwei Antianginosa, ergänzt durch die nötige Sekundärprävention. Je nach Ansprechen kann dann stufenweise eskaliert werden (s. Tabelle).

Langzeittherapie für symptomatische KHK-Patienten (Angina und/oder Dyspnoe)
1. Schritt2. Schritt3. Schritt4. Schritt
Standardtherapie
Betablocker oder CCB*Betablocker plus DHP-CCBZweitlinientherapie** hinzufügenNicorandil, Ranolazin oder Trimetazidin zugeben
Hohe Herzfrequenz (z.B. > 80/min)
Betablocker oder Nicht-DHP-CCBBetablocker plus Nicht-DHP-CCBIvabradin zugeben
Niedrige Herzfrequenz (z.B. < 50/min)
DHP-CCBlang wirksames Nitratlang wirksames Nitrat plus DHP-CCB
Linksventrikuläre Dysfunktion oder Herzinsuffizienz
Betablockerlang wirksames Nitrat oder Ivabradin zugebenein weiteres Zweitlinienmedikament zugeben
Niedriger Blutdruck
Betablocker niedrig dosiert oder Nicht-DHP-CCB niedrig dosiertlang wirksames Nitrat niedrig dosiert zugebenIvabradin, Ranolazin oder Trimetazidin zugeben

CCB = Kalziumkanalblocker, DHP= Dihydropyridin
* Die Kombi aus Betablocker und DHP-CCB sollte als erster Schritt erwogen werden, alternativ kommt als erster Schritt die Kombi aus Betablocker bzw. CCB mit einer Zweitlinientherapie infrage
** lang wirksames Nitrat, Nicorandil, Ranolazin, Ivabradin, Trimetazidin

Alle Patienten sollten ein Statin erhalten. Nach einem Infarkt oder einer Revaskularisierung läuft zunächst die doppelte Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel für die ersten sechs Monate, danach geht es mit einem der beiden weiter. Neue Evidenz gibt es für eine intensivierte antithrombotische Therapie, berichtete Professor Dr. Thomas­ Cuisset­, Kardiologe vom Centre Hospitalier Universitaire Marseille. Bei hohem Risiko für Ischämien, aber niedrigem für Blutungen sollte man zusätzlich zu ASS ein zweites Antithrombotikum erwägen. Ist die Gefahr für Verschlüsse gering bis mäßig, kann die doppelte Plättchenhemmung in Betracht kommen. Als Partner eignen sich außer Clopidogrel Prasugrel, Rivaroxaban oder Ticagrelor.

Quelle: ESC* Congress 2019

* European Society of Cardiology

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Hinter anginösen Beschwerden steckt viel seltener eine KHK als bisher angenommen. Hinter anginösen Beschwerden steckt viel seltener eine KHK als bisher angenommen. © freshidea – stock.adobe.com