Mütterlicher Zervixtumor während der Geburt aufs Kind übertragen

Josef Gulden

Während der Geburt können Babys mit Krebszellen kontaminierte Vaginalflüssigkeit einatmen. Während der Geburt können Babys mit Krebszellen kontaminierte Vaginalflüssigkeit einatmen. © kieferpix – stock.adobe.com

Bisher gingen Forscher davon aus, dass Tumoren von der Mutter auf ihr Kind über die Plazenta übertragen werden. In Japan traten nun zwei Fälle auf, bei denen die Transmission scheinbar durch die vaginale Geburt erfolgte.

Die Übertragung maligner Tumoren von Müttern auf ihre Kinder kommt extrem selten vor. Experten schätzen, dass eine von 1000 Gebärenden an Krebs erkrankt ist und nur in einem von 500 000 Fällen eine Transmission stattfindet. Diese erfolgt üblicherweise hämatogen über die Plazenta. Japanische Kollegen um Dr. Ayumu Arakawa­ vom National Cancer Center Hospital in Tokio berichteten nun von einer Übertragung, die scheinbar während der Geburt stattgefunden hatte. Bei den betroffenen Kindern handelte es sich um zwei Jungen im Alter von 23 Monaten bzw. sechs Jahren mit peribronchialen Raumforderungen.

Fall 1

Im ersten Fall diagnostizierten die Mediziner ein neuro­endokrines Karzinom der Lunge mit fokaler glandulärer Differenzierung. Der Junge war in der 39. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen. Drei Monate nach der Entbindung erhielt die 35-jährige Mutter die Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms der Zervix, obwohl der Zell­abstrich sieben Monate vor der Geburt negativ gewesen war. Die Autoren sahen aufgrund der unterschiedlichen Histologie zu diesem Zeitpunkt keine Verbindung zwischen den beiden Krebsarten.

Manche Herde schrumpften, andere wurden progredient

Auf Wunsch der Eltern wurde der Patient zunächst nicht behandelt. Ein Jahr nach der Diagnose zeigte sich eine Progression mehrerer peribronchialer Herde, während einige andere sich spontan zurückgebildet hatten. Zwei Chemotherapien brachten keinen Erfolg, eine Behandlung mit Nivolumab ließ aber schließlich alle Herde schrumpfen.

Die Onkologen führten eine Lob­ektomie durch, um einen verbleibenden Knoten zu entfernen. Im OP-Präparat fand sich eine pathologische Komplettremission sowie eine aktivierte anti-tumorale Immunreaktion. Ein Jahr später war der Junge krebsfrei. Seine Mutter war bereits vorher hysterektomiert worden, hatte aber Metastasen in Lunge, Leber und Knochen entwickelt. Sie starb trotz einer Nivolumab-Therapie.

Die Forscher führten in den Tumoren von Mutter und Sohn unabhängig voneinander molekularbiologische Analysen durch. Aufgrund der histologischen Ähnlichkeiten verglichen sie die Sequenzierungs-Ergebnisse und fanden die gleichen pathogenen Mutationen von KRAS und TP53. Außerdem detektierten sie 47 Einzelnukleotid-Polymorphismen in der Probe des Jungen, die sie nur der Mutter, nicht aber der Keimbahn des Sohnes zuordnen konnten. Das Fehlen eines Y-Chromosoms, verschiedene gemeinsame somatische Mutationen sowie die HPV-Typ-18-Positivität beider Karzinome bestätigten schließlich die Abkunft des kindlichen Lungentumors vom mütterlichen Gebärmutterhalskrebs.

Fall 2

Im zweiten Fall diagnostizierten die Ärzte bei der Mutter des Patienten schon während der Gesta­tion einen Zervix-Polypen. Aufgrund eines negativen zytologischen Tests erfolgte die Entbindung jedoch vaginal. Die zervikale Läsion entpuppte sich als Adenokarzinom, und trotz sofortiger Totaloperation starb die Frau zwei Jahre später.

Der Sohn wurde im Alter von sechs Jahren mit einem muzinösen Adenokarzinom der Lunge vorgestellt. Auch hier schöpften die Kollegen zunächst keinen Verdacht. Sie schätzten den Krebs als inoperabel ein. Der Tumor sprach auf eine Chemo­therapie mit einer partiellen Remission an. Ein Rezidiv drei Monate später wurde erneut mit Zytostatika und schließlich mit einer linksseitigen Pneumonektomie behandelt. 15 Monate später war der Junge laut den Autoren krankheitsfrei.

Die Histologie des muzinösen Adeno­karzinoms erschien für einen primären Lungentumor sehr ungewöhnlich, passte aber zu dem Gebärmutterhalskrebs der Frau, schreibt das Team um Dr. Arakawa. Entsprechend ergab der molekulargenetische Vergleich ein ähnliches genetisches Profil, was auf eine Transmission zwischen Mutter und Sohn hindeutete. Die Forscher fanden dieselben Mutationen in den beiden Karzinomen sowie 38 Polymorphismen der Frau in den Proben des Kindes. Zudem fehlte das Y-Chromosom in beiden Tumoren, die überdies positiv für HPV-16 waren.

Erkrankten Müttern Kaiserschnitt empfehlen

In beiden Fällen stellt eine Übertragung durch die Aspiration tumorkontaminierter Vaginalflüssigkeit während der Entbindung die wahrscheinlichste Erklärung dar, so die Autoren. Schwangeren mit bekannten Zervixkarzinomen sollte deshalb eine Sectio empfohlen werden. Erstaunlich bleibt das Ansprechen des Tumors auf Nivolumab im ersten Fall, obwohl weder der mütterliche noch der kindliche Tumor PD-1 oder PD-L1 exprimierten. Zudem sind Checkpoint-Inhibitoren in den meisten kindlichen soliden Krebsentitäten ineffektiv. Im zweiten Fall hingegen war der langsame Progress auffällig. Dies sei für ein metastasiertes zervikales Adenokarzinom sehr ungewöhnlich, schreiben die Forscher, und spräche für eine Abwehrreaktion des kindlichen Immunsystems.

 

Quelle: Arakawa A et al. N Engl J Med 2021; 384: 42-50; DOI: 10.1056/NEJMoa2030391

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Während der Geburt können Babys mit Krebszellen kontaminierte Vaginalflüssigkeit einatmen. Während der Geburt können Babys mit Krebszellen kontaminierte Vaginalflüssigkeit einatmen. © kieferpix – stock.adobe.com