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Nicht jeder Schlaganfallpatient mit Krampfanfall braucht ein Antikonvulsivum

Hinter einem ersten Krampfanfall steckt in etwa 10 % der Fälle eine zerebrale Ischämie oder Blutung. Die iktale Gefahr steigt mit dem Alter, ischämische Schlaganfälle scheinen sie weniger stark zu erhöhen (knapp 5 %) als hämorrhagisch transformierte (12,5 %) oder primär hämorrhagische (rund 16 %), berichtete Professor Dr. Martin Holtkamp, Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge und Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Zwei Anfallsformen, differentes Rezidivrisiko
Für die Risikoabwägung und Therapieindikation sei es wichtig, zwischen zwei Anfallsformen zu unterscheiden:
- akut-symptomatische Anfälle, die innerhalb der ersten sieben Tage, meist in den ersten 24 Stunden auftreten, und
- unprovozierte Anfälle, die sich zu einem späteren Zeitpunkt manifestieren.
Das Rezidivrisiko fällt bei beiden höchst unterschiedlich aus, erinnerte der Kollege. Nach akut-symptomatischen Anfällen beträgt es etwa 30 % in zehn Jahren, nach unprovozierten Anfällen 70–75 %.
Der Grund liegt in der unterschiedlichen Pathophysiologie. In der Akutphase induzieren passagere exzitotoxische und inflammatorische Prozesse den Krampfanfall. Das Risiko, dass so etwas ein zweites Mal eintritt, ist zwar nicht null, aber vergleichsweise gering.
Völlig anders sieht es aus, wenn der Patient Monate nach dem Schlaganfall den ersten Krampfanfall bekommt. Dann liegt die Ursache in der Infarktnarbe, die nicht wieder verschwinden wird. Das Zehn-Jahres-Rezidivrisiko liegt über der Schwelle von 60 %, oberhalb derer gemäß der DGN-Leitlinie ein einziger Krampfanfall ausreicht, um die Epilepsiediagnose zu begründen. Als Konsequenz ergibt sich, dass ein erster Krampfanfall in der Akutphase ebenso wenig eine Therapieindikation rechtfertig wie die Hoffnung, schon den ersten Krampfanfall durch eine antiepileptische Therapie abwenden zu können – dafür ist das Risiko zu gering.
„Im klinischen Alltag läuft das aber oft anders“, berichtete Prof. Holtkamp. Bekommt ein Patient auf der Stroke Unit einen ersten Krampfanfall, wird quasi reflexartig ein Antiepileptikum angesetzt. Das wäre nicht weiter schlimm. Aber oft verlässt der Patient die Klinik in Richtung Reha mit dieser Medikation, wo sie dann weiter verordnet wird, weil niemand weiß, warum sie begonnen wurde. So kommt es, dass Patienten jahrelang mit dem Etikett Epilepsie und der entsprechenden – nicht indizierten – Medikation herumlaufen.
„Wenn Sie einen Patienten sehen, der wegen eines Krampfanfalls in der Akutphase nach Schlaganfall ein Antikonvulsivum bekommen hat, sollten Sie es rasch absetzen“, forderte Prof. Holtkamp. Natürlich gebe es Patienten mit sehr hohem Rezidivrisiko, die sich z.B. mit dem SeLECT-Score identifizieren ließen.
Prädiktion und Prävention mithilfe des SeLECT-Scores
- Schwere des Schlaganfalls nach NIHSS
- Arteriosklerose im Bereich der großen Hirnarterien
- frühe Anfälle (≤ 7 Tage)
- kortikale Beteiligung
- Infarkt im Stromgebeit der A. cerebri media
Bei sichtbarer Läsion Medikation beibehalten
Um die Frage zu klären, wie lange die Behandlung im Einzelfall fortgeführt werden sollte, kann man ein Internet-Tool heranziehen. Es kalkuliert anhand der Patientendaten das Zwei-, Fünf- und Zehn-Jahres-Rezidivrisiko nach Absetzen der antiepileptischen Therapie. Bereits eine relativ harmlos anmutende Konstellation – Mann, 60 Jahre alt, keine besonderen Risikofaktoren, Familienanamnese bezüglich Krampfleiden leer, wenige Anfälle vor der Remission, normales EEG – ergibt ein Zwei-Jahres-Rezidivrisiko von knapp 50 %, auf fünf Jahre hochgerechnet von 60 %. „Angesichts dieser Zahlen würde ich den Patienten beraten, das Antiepileptikum nicht abzusetzen“, sagte Prof. Holtkamp. „Das entspricht dem Konsens: Wenn eine Läsion als Ursache einer Epilepsie sichtbar ist, setzt man die Medikation nicht mehr ab.“Kongressbericht: 93. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Online-Veranstaltung)
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