Prof. Dr. Rainer Claus über seine persönlichen Highlights

ASH 2021 Dr. Miriam Sonnet

Auf dem 2021 ASH Annual Meeting jagte ein Studienhighlight das nächste. Auf dem 2021 ASH Annual Meeting jagte ein Studienhighlight das nächste. © iStock/nopparit

CAR-T-Zellen in früheren Therapielinien, neue Kombinationsmöglichkeiten und Substanzen der nächsten Generation – auf dem 2021 ASH Annual Meeting jagte ein Studienhighlight das nächste. Prof. Dr. Rainer Claus, Universitätsklinikum Augsburg, spricht über die wichtigsten Daten und erläutert, was diese für den klinischen Alltag bedeuten.

Auf dem ASH Annual Meeting wurden wieder zahlreiche, teilweise die klinische Praxis verändernde, Studienergebnisse zu hämatologischen Erkrankungen vorgestellt. Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Prof. Dr. Rainer Claus: Ein Highlight waren sicherlich die Vorträge zu CAR-T-Zellen. Hier gab es neue Daten zu der Frage, ob sich die zelluläre Therapie bei den aggressiven Lymphomen nicht nur in weit fortgeschrittenen Linien, sondern auch früher – also im ersten Rezidiv – einsetzen lässt. Dies wurde durch ZUMA-7 und TRANSFORM eindeutig mit „Ja“ beantwortet. Das ist „practice changing“ und CAR-T-Zellen haben damit das Potenzial, die bisherige Therapie im ers­ten Lymphomrezidiv zu verdrängen.

Auch für das Multiple Myelom gab es diesbezüglich interessante neue Ergebnisse: Es wurde ein Update der CARTITUDE-Studie präsentiert, in die Erkrankte mit mindestens drei Vorbehandlungen oder doppelt refraktäre Patienten eingeschlossen waren. Die Teilnehmer sprachen längerfristig auf Ciltacab­tagene Autoleucel an und die Gesamtansprechrate betrug 98 %. Eine MRD-Negativität erreichten 92 % der auswertbaren Personen.

Neben den CAR-T-Zellen gab es einige Vorträge zu bispezifischen Antikörpern und Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten. Was können Sie uns hierzu berichten?

Prof. Claus: Neue Ergebnisse wurden zum Beispiel zu Mosunetuzumab, einem gegen CD20 und CD3 gerichteten bispezifischen Antikörper, präsentiert. Sie zeigen, dass Patienten mit follikulärem Lymphom, die mindestens zwei vorangegangene Behandlungen erhalten haben, ein hohes und dauerhaftes Ansprechen erreichen. Glofitamab, ein anderer CD20xCD3 bispezifischer Antikörper, erwies sich in der Therapie von Personen mit Mantelzell-Lymphom, die mindestens eine vorangegangene systemische Behandlung erhalten hatten, als effektiv. Die Daten demonstrieren, dass neben CAR-T-Zellen auch andere T-Zell-basierte Therapien wie bispezifische Antikörper sukzessive in früheren Linien Fuß fassen.

Spannend war zudem die POLARIX-Studie, in der Betroffene mit diffus großzelligem B-Zell-Lymphom in der Erstlinie zusätzlich zu R-CHP das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Polatuzumab-Vedotin erhielten. Bisher ist R-CHOP noch immer der Standard und jahrelang war es nicht möglich, dessen Wirksamkeit zu verbessern. Das gelang nun mit Polatuzumab-Vedotin: Verglichen mit R-CHOP konnte damit eine Verminderung des Progressionsrisikos um ca. 25 % erreicht werden. Der Unterschied ist nicht sehr groß, aber weist darauf hin, dass es durchaus möglich ist, fest etablierte Regime zu verbessern.

Welche neuen Erkenntnisse wurden zur chronischen lymphatischen Leukämie präsentiert?

Prof. Claus: Für die CLL sind vor allem zwei Therapiestrategien wichtig: zum einen Hemmstoffe der B-Zell-Rezeptortransduktion wie der BTK-Inhibitor Ibrutinib und zum anderen BH3-Mimetika wie Venetoclax, die Apoptose induzieren. In Studien, z.B. CAPTIVATE und GLOW, werden diese zwei Prinzipien miteinander kombiniert. Es zeigte sich, dass dadurch sehr tiefe Remissionen erreicht werden können und sogar bei Hochrisikokonstellationen die Möglichkeit besteht, BTK-Hemmer abzusetzen.

Außerdem wichtig sind die Ergebnisse zu den weiterentwickelten BTK-Inhibitoren Acalabrutinib und Zanubrutinib. Wirksamkeit und Sicherheit von Letzterem wurden in der SEQUIOA-Studie bei unbehandelten CLL/SLL-Patienten mit Bendamustin plus Rituximab verglichen. Die Prüfsubstanz war der Kontrollkombination hinsichtlich des PFS überlegen und es gab keine neuen Sicherheitssignale. Vielmehr scheinen einige der problematischen Nebenwirkungen wie z.B. Vorhofflimmern mit den neuen BTK-Hemmern abzunehmen. Das bedeutet, dass hervorragende Therapieprinzipien, die sich seit Jahren etabliert haben, durch Substanzen der nächsten Generation verbessert werden können.

Mittlerweile gibt es weitere Entwicklungen der BTK-Inhibitoren: Diese binden nicht-kovalent an die Bruton-Tyrosinkinase. Zum Beispiel zeigte Pirtobrutinib, geprüft in der BRUIN-Studie, eine Wirksamkeit bei CLL/SLL-Erkrankten, die zuvor bereits mit BTK-Hemmern behandelt worden waren. Die Effektivität war hervorragend und unabhängig vom Vorliegen einer Resistenz vermittelnden BTK-p.C481x-Mutation – bei einem äußerst günstigen Nebenwirkungsspektrum. Gleiches gilt für die Substanz MK-1026. Ich rechne damit, dass entsprechende Zulassungen nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.

Interessant sind zudem die Ergebnisse der U2-Studie: Die Kombination aus dem dualen PI3Kd/CK1e-Inhibitor Umbralisib und dem CD20-Antikörper Ublituximab war gut wirksam und verträglich. Das weist darauf hin, dass auch noch andere therapeutische Angriffspunkte bei der CLL durchaus eine Rolle spielen.

Für die CLL-Therapie ist natürlich auch die Bcl2-Hemmung von Bedeutung. Gab es diesbezüglich Neuigkeiten?

Prof. Claus: Hier möchte ich die CLL13-Studie erwähnen, in der die Autoren verschiedene zeitlich begrenzte Venetoclax-CD20-Antikörper-basierte Kombinationsbehandlungen mit einer Standard-Chemoimmuntherapie bei jungen bzw. fitten CLL-Patienten in der Erstlinie verglichen. Es gab drei Prüfarme mit unterschiedlichen Venetoclax-Partnern: Rituximab, Obinutuzumab oder Ibrutinib/Obinutuzumab. Ziel war es, zu demonstrieren, dass auf Venetoclax basierende Regime auch jüngeren Betroffenen in der Erstlinie einen Vorteil bringen. Die MRD-Negativitätsraten waren in den experimentellen Armen mit Obinutuzumab beeindruckend und signifikant höher als in der Kontrolle. Das galt allerdings nicht für diejenigen Teilnehmer, die Rituximab erhalten hatten: Rituximab + Venetoclax erwies sich als nicht bedeutend wirksamer als die Chemoimmuntherapie. Scheinbar macht der zusätzlich gegebene CD20-Antikörper hier einen großen Unterschied.

Venetoclax spielt übrigens nicht nur bei CLL eine Rolle, sondern auch in der Behandlung des Multiplen Myeloms. Die Daten der BELLINI-Studie deuten darauf hin, dass die Zugabe des Bcl2-Hemmers zu Bortezomib und Dexamethason das progressionsfreie Überleben verbessern kann; sie geht allerdings mit einer erhöhten Rate behandlungsbedingter Todesfälle einher.

Welche Studien zur akuten myeloischen Leukämie erachten Sie als besonders wichtig?

Prof. Claus: Neue Ergebnisse gab es zur Kombination aus dem Kinase-Inhibitor Ivosidenib und hypomethylierender Substanz. In der AGILE-Studie lebten ältere Patienten, die nicht für eine intensive Induktion infrage kamen, durch diese duale Therapie länger als Erkrankte, die nur eine hypomethylierende Substanz erhalten hatten. Zum FLT3-Inhibitor Gilteritinib in Kombination mit Azacytidine bei FLT3-mutierten, therapienaiven, nicht intensiv behandelbaren AML-Patienten wurden allerdings negative Daten vorgestellt, was uns zeigt, dass sich positive Phase-2-Ergebnisse nicht immer in Phase-3-Studien bestätigen lassen.

Gab es auch interessante Daten abseits der Klassiker wie Leukämie oder Lymphom?

Prof. Claus: Ja, die Autoren des Late Breaking Abstract 2 beschäftigten sich mit klonaler Hämatopoese. Und die Ergebnisse geben neue Einblicke in die Entstehung von klonalen hämatopoetischen Erkrankungen.

Als klonale Hämatopoese werden Klone bzw. Mutationen bezeichnet, die im peripheren Blut oder Knochenmark auftauchen, ohne dass diese ad hoc mit einer malignen Erkrankung einhergehen. Wir wissen bereits, dass diese Klone mit zunehmendem Alter gehäuft auftreten. Unbekannt war allerdings, wie und wann sie sich entwickeln.

Die Autoren des LBA-2 sequenzierten nun diese Klone, um die Dynamik zu untersuchen. Das Ergebnis: Die unterschiedlichen Klone, die durch verschiedene Mutationen gekennzeichnet sind, weisen unterschiedliche Wachstumskinetiken auf. Damit hängt das Risiko, z.B. eine Leukämie zu entwickeln, vom jeweiligen Klon und seiner Dynamik ab. Weiterhin war die Wachstumsrate verschiedener Klone mit dem Alter assoziiert – das ist aber nicht bei jeder Mutation der Fall.

Diese Ergebnisse tragen zum grundsätzlichen Verständnis klonaler hämatopoetischer Erkrankungen bei. Sie helfen zu erklären, wie Alter, klonale Hämatopoese und klonale Evolution bzw. Selektion und Konkurrenz einzelner Klone miteinander zusammenhängen und was eigentlich passiert, bevor sich klonale hämatopoetische Erkrankungen manifestieren.

Gibt es neue Studien zu COVID-19 und Patienten mit hämatologischen Erkrankungen?

Prof. Claus: Auf dem ASH gab es viele kleinere Präsentationen zu COVID-19 und Patienten mit hämatologischen Neoplasien. Die Frage nach der Sicherheit von Therapien und dem Zusammenhang zwischen Krankheitsverlauf, Krankheitsstatus und vorangegangenen Behandlungen wurde in einigen Präsentationen beleuchtet, jedoch zeigten sich keine wegweisenden neuen Erkenntnisse.

In den vergangenen Monaten gab es aber einige spannende Publikationen, die zeigen, dass die Antikörperantwort nach einer SARS-CoV-2-Impfung bei Personen insbesondere mit B-Zell-Neoplasien, z.B. CLL- oder MM-Patienten, geringer ausfällt als bei gesunden Menschen. Die Antikörperresponse ist außerdem wesentlich abhängig von der Art und dem zeitlichen Abstand einer Therapie – Erkrankte, die gerade behandelt werden, sprechen häufig noch schlechter auf die Impfung an als Personen, die keine Therapie erhalten. Erreichen Patienten eine Remission, verbessert sich häufig die Antikörperantwort; erleiden die Betroffenen ein Rezidiv, wird diese aber wieder schlechter.

Dennoch empfehlen wir die Impfung auch für Patienten mit hämatologischen Neoplasien, denn die Immunität gegenüber SARS-CoV-2 nach einer Impfung wird neben der Antikörperantwort auch durch T-Zellen vermittelt – und auch eine verminderte Immunantwort ist immer noch besser als keine.

Interview: Dr. Miriam Sonnet

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Prof. Dr. Rainer Claus; Wissenschaftlicher Direktor des Comprehensive Cancer Center Augsburg, Universitätsklinikum Augsburg Prof. Dr. Rainer Claus; Wissenschaftlicher Direktor des Comprehensive Cancer Center Augsburg, Universitätsklinikum Augsburg © Bernd Jaufmann/vmm wirtschaftsverlag