Überaktive Blase mit Botulinumtoxin behandeln

Dr. Anja Braunwarth

Die überaktive Blase reduziert die Lebensqualität, den Gesundheitsstatus insgesamt und die Schlafqualität. Die überaktive Blase reduziert die Lebensqualität, den Gesundheitsstatus insgesamt und die Schlafqualität. © iStock/RapidEye

Eine überaktive Blase macht vielen Be­troffenen das Leben zur Qual. Wenn Beckenbodentraining, Verhaltenstherapie und Tabletten nicht anschlagen, kann Onabotulinumtoxin A einen Ausweg bieten.

Die überaktive Blase reduziert die Lebensqualität, den Gesundheitsstatus insgesamt und die Schlafqualität. Außerdem entwickeln viele Betroffene im Zuge des Leidens Angststörungen und Depressionen. Es handelt sich aber um eine Ausschlussdiagnose, und bevor man sie stellen kann, müssen eine Reihe anderer Dinge abgeklärt werden, schreiben Dr. Brigitte K. Ziegelmüller­ und Kollegen von der Urologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Nikotin, scharfe Gewürze und Koffein meiden

Die Vorgeschichte liefert Informationen über Grunderkrankungen, z.B. neurologischer Natur, Voroperationen und Geburten. In der körperlichen Untersuchung finden sich bei Frauen bspw. Hinweise auf einen Prolaps oder eine vaginale Atrophie, bei Männern auf eine Prostatahyperplasie.

Den Urin checkt man auf Infekte und Blut, bei Auffälligkeiten sollte eine Zystoskopie folgen. Miktionsanamnese und Blasentagebuch helfen in der Darstellung der Symptome. Besteht der Verdacht auf eine neurologische Komponente oder schlägt eine nicht-invasive Therapie fehl, raten die Autoren zur urodynamischen Untersuchung.

Zwanzig Pikser in die Blasenwand

Die Injektion erfolgt via Zystoskopie unter antibiotischer Prophylaxe. Gespritzt werden an 20 Stellen jeweils 0,5 ml Lösung, die Ostien bleiben ausgespart. Am Ende lässt man die Blase am besten leicht gefüllt, das senkt das Risiko für Blutungen. Einen Katheter brauchen die Patienten in der Regel nicht.

In der Behandlung steht die Verhaltenstherapie plus Beckenbodentraining über mindestens drei Monate an erster Stelle. Zwischen 40 % und 75 % der Patienten sprechen darauf an, bei Frauen hilft auch eine Elektrostimulation des Beckenbodens, für Männer fehlen dazu Daten. Ein Blasentraining sowie Lebensstilmaßnahmen gehören immer dazu. Letztere umfassen die Normalisierung und gleichmäßige Verteilung der Trinkmenge, den Trinkstopp zwei Stunden vor dem Schlafengehen und den Verzicht auf Reizstoffe wie Nikotin, scharfe Gewürze oder Koffein. Außerdem sollten die Betroffenen auf einen geregelten Stuhlgang achten und Verstopfungen meiden. Es gibt eine klare Korrelation zwischen Adipositas und Belas­tungsinkontinenz. Übergewichtigen Frauen mit einer überaktiven Blase empfiehlt man daher die Gewichtsreduktion von mehr als 5 %.

Anticholinergika wirken frühestens nach einem Monat

Nächste Stufe der Therapie: Medikamente. Mit Anticholinergika lassen sich Ansprechraten von 60 % und Heilungsraten von 49 % erzielen. Allerdings brechen 70–90 % der Patienten die Therapie ab, vor allem wegen der Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation, Tachykardie oder Akkomodationsstörungen. Ein Engwinkelglaukom stellt eine klare, die Tachyarrhythmie eine relative Kontraindikation dar. Die Wirkung der Substanzen setzt frühes­tens nach vier bis sechs Wochen ein. Das gilt auch für die gut verträglichen Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten (z.B. Mirabegron). Kontraindikation ist der unkontrollierte Hypertonus. Die Kombination von 50 mg Mirabegron mit 5 mg Solifenacin zeigt gute Erfolge bei ausgeprägten Symptomen oder unzureichender Wirkung einer Monotherapie. Frauen nach der Menopause profitieren von zusätzlichem lokalen Estriol.

Kontraindikationen für die Botulinumtoxin-Therapie

  • akuter Harnwegsinfekt
  • Anwendung von Botulinumtoxin in den letzten drei Monaten, auch für andere Indikationen (Gefahr der Resistenzentwicklung oder Kumulation)
  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Gift oder Bestandteilen der Injektionslösung
  • Schwangerschaft/Stillzeit
  • Patient nicht bereit oder in der Lage, sich selbst zu katheterisieren
  • relativ: Gerinnungsstörung, orale Antikoagulation, neuromuskuläre Erkrankungen (z.B. Myasthenia gravis)

Wenn die medikamentöse Behandlung mit mindestens zwei verschiedenen Anticholinergika nicht anschlägt oder wegen Nebenwirkungen abgesetzt wurde, besitzt Onabotulinumtoxin A für die Zweitlinie die Zulassung. Die Autoren empfehlen vorab eine Urethrozystoskopie, die urodynamische Untersuchung sowie eine Kontrolle auf Infekte. Die Dosis beträgt 100 Einheiten, die man, in Kochsalz verdünnt, endoskopisch in die Blasenwand injiziert. In der Zulassungsstudie wurde damit etwa ein Viertel der Patienten vollständig kontinent, bei 60 % besserte sich der unwillkürliche Harnverlust um die Hälfte, bei etwas weniger als jedem Zweiten um 75 %. Am besten sprechen Frauen mit einer Dranginkontinenz an. Die Effekte setzen nach 10–14 Tagen ein, solange gibt man die Anticholinergika idealerweise weiter. Nach sechs bis neun Monaten flaut die Wirkung ab, die Behandlung lässt sich aber jederzeit mit gleich hohen Erfolgsraten wiederholen. Systemische Nebenwirkungen gelten als sehr unwahrscheinlich, Interak­tionen gab es bislang nicht.

Manche müssen sich nach der Spritze selbst katheterisieren

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Harn­wegsinfekte (15,5 %) und Dysurie (12,2 %). Etwas mehr als 5 % der Behandelten weisen eine relevante Restharnbildung auf, die gegebenenfalls eine intermittierende Selbst­katheterisierung notwendig macht. Männer, Personen mit unerkannten neurologischen Erkrankungen sowie Frauen nach Hysterektomie, mit vaginalem Des­zensus oder schwachem Harnstrahl trifft diese Komplikation gehäuft. Bleibt allerdings nach der ers­ten Injektion kein Restharn zurück, ist es unwahrscheinlich, dass das bei erneuter Anwendung noch passiert. Die Patienten müssen aber um dieses Problem wissen und bereit sein, sich eventuell selbst zu katheterisieren­. Gerinnungshemmer sollten unter der Therapie wenn möglich abgesetzt werden. Laufen sie weiter, raten die Autoren zur stationären Überwachung und Dauerspülung nach der Injektion. Generell lautet die Empfehlung, vor der Entlassung eine Restharnkontrolle durchzuführen und die Makrohämaturie auszuschließen. Restharn und Urin kontrolliert man am besten nach zwei Wochen noch einmal. Geriatrische Patienten scheinen etwas schlechter auf das Botulinumtoxin anzusprechen und eher unter Restharn zu leiden. Für die erste Anwendung kann man daher eine niedrigere Dosierung erwägen.

Quelle: Ziegelmüller BK et al. Urologe 2020; 59: 963-972; DOI: 10.1007/s00120-020-01274-x

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