Warnung vor selbstgebauten AID-Systemen

Prof. Dr. Lutz Heinemann

Aus Fehlern lernen – auf dem Weg zu einer optimalen Diabetestherapie. Aus Fehlern lernen – auf dem Weg zu einer optimalen Diabetestherapie. © iStock/anilakkus, Shidlovski

Treten Probleme bei kommerziellen Produkten auf, müssen diese gemeldet werden – in den USA ist die FDA für Diabetestechnologie verantwortlich. Aus aktuellem Anlass stellt sich die Frage: Was ist mit DIY-Systemen und deren Komponenten?

Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat aktuell einen Sicherheitshinweis herausgegeben, der an Patienten mit Diabetes und betreuende Diabetologen gerichtet ist. Die Warnung betrifft die Nutzung von nicht genehmigten Diabetes-Management-Systemen zur automatisierten Insulinabgabe (Automated Insulin Delivery (AID)-Systeme), die von Patienten selbst zusammengestellt wurden (Do It Yourself (DIY)-AID-Systeme). Dies geschah als Reaktion auf ein schwerwiegendes Ereignis bei einem Patienten außerhalb der USA: Der Betroffene hatte scheinbar zwei schwere Hypoglykämien erlitten, von denen eine ärztliche Betreuung verlangte, die bei der gemeinsamen Nutzung des Flash Glukose Monitoring (FGM)-Systems FreeStyle Libre (Abbott), einer nicht näher spezifizierten Insulinpumpe und eines nicht zugelassenen Algorithmus aufgetreten waren.

Kein technisches System funktioniert zu 100 %

Durch die Verwendung des „Miao Miao”-Gerätes (Highhigh Brilliant) werden die Rohdaten des Libre-Systems kontinuierlich für einen DIY-Algorithmus nutzbar. Und das, obwohl dieses Gerät nicht über eine CE-Markierung verfügt. Zudem findet keine entsprechende Zusammenarbeit mit dem Hersteller des FGM-Systems statt.

Weitere Details des Falls sind bislang nicht bekannt. In einer Stellungnahme der zuständigen Abteilung der FDA wird das beschriebene Ereignis im Kontext von kommerziellen AID-Systemen beleuchtet, die entweder bereits auf dem Markt oder in der Entwicklung sind. Dabei haben sowohl die FDA wie auch die DIY-Community recht schnell reagiert und die Nutzer derartiger DIY-Systeme ausdrücklich dazu aufgefordert, über solche Ereignisse zu berichten.

Dabei gilt es zu beachten, dass kein technisches System zu 100 % funktioniert. Es kann also immer wieder zu einzelnen Situationen kommen, in denen Komponenten der DIY-AID-Systeme nicht korrekt funktionieren und eine inadäquate Insulindosis appliziert wird. So berichteten erfahrene Kollegen von unerklärlichen Schwankungen im Abstand von Minuten in den von CGM-Systemen übermittelten Daten, die nicht durch entsprechende reale Schwankungen in der Glykämie bedingt sein können. Dabei sind dies Einzelfälle!

Der Hinweis war zu erwarten

Viele Nutzer von DIY-AID-Systemen streben glyk­ämische Werte im euglykämischen Bereich an – doch dann können selbst relativ kleine Schwankungen in den CGM-Werten (z.B. bedingt durch Schlafen auf dem Sensor) zu niedrigen Glukosewerten führen. Und das, obwohl die Glukoseverläufe unter dieser Therapieoption sonst ausgesprochen stabil sind.

Wenn es bei DIY-AID-Systemen nie zu Problemen kommen würde, wäre das also eher unglaubwürdig und könnte als Mangel an geeigneter Dokumentation betrachtet werden. Probleme müssen also nicht zwangsläufig nur negativ ausgelegt werden.

Eigentlich ist solch ein Hinweis einer regulatorischen Behörde – in Deutschland ist das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verantwortlich – schon länger zu erwarten. Denn die Nutzung von Medizinprodukten in einer Kombination, die nicht durch eine Zulassung abgedeckt ist, stellt ein Problem dar.

Intensive Zusammenarbeit mit Patienten

Der neue Geschäftsführer des JDRF, Aaron Kowalski, hat in einer Stellungnahme zur FDA-Meldung nochmals darauf hingewiesen, dass trotz der massiven Fortschritte in den Therapieoptionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Mehrzahl von Patienten mit Typ-1-Diabetes die Therapieziele nicht erreicht und Betroffene täglich erheblichen Risiken bei der Therapie ausgesetzt sind. Die zunehmende Anzahl von Patienten, die DIY-AID-Systeme erfolgreich verwendet, und die damit eine stabile und gute Glukosekontrolle erreichen, unterstreicht deren erheblichen Bedarf. Die FDA-Warnung sieht Kowalski auch nicht als überraschend: Diese Behörde muss auf derartige Berichte entsprechend reagieren. Er fordert die Community auf, von Problemen mit DIY-AID-Systemen zu berichten und diese auch öffentlich zu machen. Seiner Ansicht nach sollte jeder Patient, der sich für diese Therapieoption interessiert, die Risiken und Vorteile aus seiner eigenen Perspektive abwägen. Die JDRF versucht, die Entwicklung von DIY-AID-Systemen durch verschiedene Initiativen und intensive Kommunikation mit allen Beteiligten zu unterstützen – unter anderem dadurch, dass moderne Insulinpumpen für diese Anwendung nutzbar werden. Wie angesprochen, versucht die JDRF in Zusammenarbeit mit der FDA für innovative DIY-Ansätze Zulassungen zur erwirken.

Die FDA ist an der Entwicklung von AID-Systemen ausgesprochen stark interessiert: Sie hat schon vor Jahren Hinweise zu den Zulassungsanforderungen herausgegeben, auch getriggert durch intensive Kommunikation mit US-Patientenorganisationen wie der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF). Zudem wurde ein entsprechendes kommerzielles System in erstaunlich kurzer Zeit zugelassen, weitere werden in der nächsten Zeit folgen, wie möglicherweise das System der Firma Diabeloop, das in Deutschland bereits zugelassen ist. Auch die Etablierung von eigenen Standards für die Zulassung von CGM-Systemen, Insulinpumpen und Algorithmen, die in verschiedenen Kombinationen miteinander als AID-Systeme eingesetzt werden können, stellt eine klare Hilfestellung dar. Das soll Patienten ermöglichen, mit einer Art Baukastensystem die für sie persönlich beste Kombination von Komponenten zusammenzustellen. Für eine Zulassungsbehörde wie die FDA – dabei gibt es nichts Vergleichbares für Medizinprodukte in Europa(!) – sind Systeme, bei denen die verwendeten Algorithmen einem permanenten Wandel und Optimierung unterliegen, ein „Graus“. Die heutzutage etablierten Standards für Programmierung und Dokumentation von Softwareentwicklungen mögen als bürokratische Hemmnisse betrachtet werden. Aber sie ermöglichen eben auch eine gewisse Systematik und Nachvollziehbarkeit der Entwicklung und Nutzung. Das ist insbesondere beim Einsatz von DIY-AID-Systemen unabdingbar, der aktuell in einem kleinen Kreis von Enthusiasten erfolgt. Wenn die Nutzung nicht mehr nur für den Eigengebrauch stattfindet, gibt es richtigerweise klare juristische Auflagen und Beschränkungen. Hier ist das Medizinproduktegesetz recht deutlich. Klar ist auch: Jede Art der Diabetestherapie ist mit gewissen Risiken verbunden, gerade die Insulintherapie. Durch Einsatz von modernen Techniken kann dieses Risiko reduziert werden, es wird aber nicht auf Null gebracht. Außerdem verlangt es eindeutig einen informierten Patienten, der sich intensiv mit seiner Erkrankung auseinandersetzt. Auf welchen Fehler oder auf welche Verkettung von Umständen im beschriebenen Einzelfall die akute Glukoseentgleisung zurückzuführen ist, wird vermutlich Spekulation bleiben.

Ereignisse können an die FDA gemeldet werden

Auch bei zugelassenen AID-Systemen, deren Nutzung zu einer deutlichen Steigerung der Zeit im Zielbereich (Time in Range; TiR) und einer Reduktion der Frequenz von Hypoglyk­ämien führt, treten weiterhin schwere Hypoglykämien auf. In der sechsmonatigen SMILE-Studie wurde die Insulinpumpe MiniMedTM 640G (Medtronic) untersucht, mit oder ohne der prädiktiven Abschaltfunktion der basalen Insulininfusionsrate (Prädiktives Low Glucose Management; PLGM), die bereits vor dem Erreichen von voreingestellten Glukoseschwellen aktiv wird. In einer Hochrisikopopulation wurde eine 84%ige Reduktion im Auftreten von schweren Hypoglykämien beobachtet, es kam noch zu 8,5 schweren Hypoglykämien pro 100 Patientenjahren im PLGM-Arm. Diejenigen, die die verschiedenen DIY-AID-Systeme wesentlich initiiert und vorangetrieben haben, haben in ihrem Twitter-Kommentar zur FDA-Warnung hervorgehoben, dass die Nutzer dieser Systeme solche unerwünschten Ereignisse berichten sollen. Der Versuch, solche Ereignisse – aus falsch verstandenem Ehrgeiz – nicht zu berichten, wird als falsch betrachtet. Die transparente Handhabung ist eine wichtige Quelle für den offenen Umgang mit Problemen in der DIY-Community. Die genaue Kenntnis der Umstände von derartigen Ereignissen liefert extrem wichtige Informationen zur weiteren Optimierung und Korrektur der eingesetzten Algorithmen – wenn diese denn als Ursache für die Ereignisse erkannt werden. Es geht den Beteiligten schließlich auch um ihre eigene Sicherheit, ein Unterschied zur sonstigen Situation. Die Verbesserung der Sicherheit bei der Diabetestherapie war für die Betroffenen ein wichtiger Antrieb, sich überhaupt so intensiv mit der DIY-Entwicklung zu beschäftigen. Deshalb arbeiten sie auch mit der FDA zusammen. Dabei ist die Meldung von Ereignissen an die FDA nicht trivial und kostet Zeit. Vielen Patienten ist die Option des Berichtens solcher Nebenwirkungen vermutlich auch nicht bekannt – bei klinischen Studien erfolgt die Meldung durch entsprechend geschultes Studienpersonal. Das kann dazu führen, dass die Häufigkeit von Nebenwirkungen bei DIY-AID-Systemen unterschätzt wird. Allerdings sollte betont werden, dass die FDA zwar über eine riesige Datenbank verfügt, in der Nebenwirkungen auch von Medizinprodukten gesammelt werden – der Versuch, sich gezielt die Situation bei z.B. Insulinpumpen anzuschauen, hat jedoch unplausible Ergebnisse geliefert. Auch bei dem (Hybrid)-AID-System MiniMedTM 670G (Medtronic), das in den USA und einigen europäischen Ländern schon auf dem Markt ist, gibt es Nebenwirkungen. Allerdings wurden bisher keine Fehlfunktionen im Sinne von Überdosierungen von Insulin berichtet. Insgesamt betrachtet sind wir bei allen Komponenten von kommerziellen und DIY-AID-Systemen noch immer in einem recht frühen Entwicklungsstadium. Es ist daher nicht überraschend, dass Probleme auftreten – im Sinne der Sache (nicht des einzelnen Patienten!) müssen diese sogar auftreten. Wir vergessen, wie dramatisch besser z.B. die heute verfügbaren CGM-Systeme im Vergleich zu deren ersten Generationen sind.

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Aus Fehlern lernen – auf dem Weg zu einer optimalen Diabetestherapie. Aus Fehlern lernen – auf dem Weg zu einer optimalen Diabetestherapie. © iStock/anilakkus, Shidlovski