Wurzelkompressionssyndrom verlangt nicht unbedingt den Facharzt

Dr. Elke Ruchalla

Wissen, wo der Reflexhammer hängt: Nicht für jede Diagnose muss der Patient direkt zum Radiologen. Wissen, wo der Reflexhammer hängt: Nicht für jede Diagnose muss der Patient direkt zum Radiologen. © bnenin – stock.adobe.com

Zücken Sie beim nächsten Rückenschmerz-Patienten den Reflexhammer! Damit können Sie herausfinden, ob eine Radikulopathie vorliegt. Und die lässt sich in der Regel mit einfachen Maßnahmen behandeln.

Hausärzte werden zunehmend mit degenerativen Wirbelsäulenveränderungen konfrontiert, den Hauptverantwortlichen für Rückenschmerzen und Radikulopathien. Ihnen kommt daher eine ganz erhebliche Rolle bei der Versorgung der immer älter werdenden Bevölkerung zu, schreiben Dr. Ralph T. Schär von der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital Bern und seine Kollegen.

Zunächst müssen während der Anamnese mögliche Warnsignale („Red Flags“) beim Patienten zügig abgeklärt werden, die z.B. auf einen Tumor oder inflammatorische Prozesse hinweisen könnten.

Red Flags

  • Fieber/Schüttelfrost (Infektion?)
  • ungewollter Gewichtsverlust in den unmittelbar zurückliegenden Wochen oder Monaten (Malignom?)
  • nachts auftretende Schmerzen
  • Immunsuppression
  • Patienten mit intravenösem Drogenmissbrauch

Danach dürfen Sie sich an die weitere Dia­gnostik machen. Dazu gehört in allererster Linie die körperliche Untersuchung, betonen die Experten. Fürs Erste reicht Ihr Reflexhammer. Es muss nicht sofort die Überweisung zum Radiologen für MRT und Röntgen sein.

Mit Physiotherapie ist den meisten sehr gut geholfen

Bei zervikalen Radikulopathien klagen die Patienten oft über Nacken- und Schulterschmerzen, die manchmal in den Arm und bis in die Finger ausstrahlen, dazu können sensible Ausfälle, Parästhesien und eine eingeschränkte Beweglichkeit kommen. Die Ursache der Schmerzen ist bei drei von vier Patienten eine Stenose der Foramina intervertebralia (vor allem auf Höhe C6/C7), durch die der Spinalnerv komprimiert wird, zum Beispiel bei Osteophyten oder Spondylarthrose. Bandscheibenvorfälle sind auf dieser Ebene seltener (20 %).

Patienten sollen den Kopf drehen

Ein diagnostisch wichtiger Fakt ist, ob sich die Schmerzen bessern, wenn der Betroffene den Kopf zur Gegenseite dreht bzw. verstärken bei umgekehrter Richtung. Diese Bewegungen reduzieren bzw. erhöhen den Druck auf die Nervenwurzeln. Außerdem kommt es zu sensiblen Ausfällen, die den Dermatomen der betroffenen Wurzel entsprechen. Schmerzen und motorische Defizite dagegen folgen den entsprechenden Myotomen.
  • C6-Radikulopathie: Schmerzen und Kribbeln am seitlichen Oberarm, Daumen und Zeigefinger und ein beeinträchtigter Bizepssehnenreflex. Betroffen sind M. biceps brachii und M. brachioradialis, dadurch hat der Patient mitunter Schwierigkeiten bei der Armbeugung.

  • C7-Radikulopathie: Schmerzen und Kribbeln am dorsalen Oberarm, Unterarm und dem Mittelfinger, abgeschwächter Trizepssehnenreflex. Einschränkungen des Triceps brachii und des Pronator teres verursachen Probleme bei der Armstreckung.
Aber Vorsicht, warnen die Schweizer: Fallen Ihnen zusätzlich Gangataxien, Pyramidenbahnzeichen und Blasenentleerungsstörungen auf, kann eine zervikale Myelopathie vorliegen. Im Falle einer lumbalen Radikulopathie ist meist ein Diskusprolaps die Ursache, Spinalkanal- und Foramenstenosen können aber (mit)verantwortlich sein. Oft berichten Patienten, dass sie sich „verhoben“ und oft belastungsbedingt Schmerzen im unteren Rücken („Lumbago“) mit Ausstrahlung in Beine und/oder Füße haben. Am häufigsten betroffen sind hier die Ebenen L5 und S1.
  • L5-Radikulopathie: Parästhesien bzw. Schmerz seitlich am Oberschenkel, prätibial und im großen Zeh, sowie eingeschränkter Tibialis-posterior-Reflex. Da M. tibialis anterior und M. extensor hallucis longus betroffen sind, wird es für Patienten schwieriger den Fuß oder den großen Zeh zu heben.

  • S1-Radikulopathie: Es zieht und kribbelt vom hinteren Oberschenkel bis zur seitlichen Fußkante. Der Achillessehnenreflex ist abgeschwächt oder fehlt. Bei Schwäche der Mm. peronei und des M. triceps surae kann der Kranke den Fuß nicht mehr senken.
Wenn weder Red Flags, zervikale Myelopathie, Kauda-Syndrom noch motorische Ausfälle vorliegen, endet hier im Allgemeinen die Diagnostik. Die Autoren orientieren sich am WHO-Stufenschema und empfehlen zu Beginn gegen die Schmerzen ein nicht steroidales Antiphlogistikum – Opioide sind nur ausnahmsweise notwendig. Bei akuten Befunden wäre auch eine kurzzeitige Gabe von hochpotenten Glukokortikoiden wie Prednisolon oder Dexamethason möglich (kein Pregabalin!). Epidurale Steroidinjektionen können (selten) zu neurologischen Schäden und Infektionen führen, deshalb raten die Autoren das Kosten-Nutzen-Risiko mit dem Patienten gründlich abzuwägen.

Was es sonst noch sein kann

Zervikal:
  • peripheres Nervenkompressionssyndrom, z.B. Karpaltunnelsyndrom,
  • Läsion der Rotatorenmanschette oder Schulter
  • Plexusneuritis
  • Thoracic-outlet-Syndrom
  • Herpes Zoster

Lumbal:
  • langsam wachsende Meningeome oder Schwannome
  • Knochenmetastasen – auch wenn bislang kein Primärtumor bekannt
  • Wirbelkörperfrakturen, vor allem bei Osteoporose-Patienten oder nach einem Trauma

Dazu kommen keine übermäßige körperliche Schonung – längere Bettruhe ist mittlerweile überholt – und nach der Schmerzphase eine Physiotherapie. Dort lernt der Patient u.a. Übungen, die er regelmäßig zu Hause weiterführen kann. Bei bis zu 90 % der so behandelten Patienten gehen die Symptome deutlich oder ganz auf null zurück, erklären die Fachleute. Vorsorglich sollten auch individuelle Faktoren, wie Arbeitsplatz und allgemeine Fitness besprochen werden.

Das Rückenmark lässt sich minimalinvasiv entlasten

Besteht aber eines der genannten Alarmzeichen, sollte der Patient ins MRT. Zwar ist nicht jeder auffällige Befund auch die Ursache der Schmerzen, wenn aber Beschwerden und MRT-Darstellung übereinstimmen, überweisen Sie Ihren Patienten zum Neuro- oder orthopädischen Wirbelsäulenchirurgen. Die Kollegen können – oft in minimalinvasiver Technik – das Rückenmark dekomprimieren und so die Beschwerden zum Verschwinden bringen.

Quelle: Schär RT et al. Swiss Med Forum 2019; 19: 411-417; DOI: 10.4414/smf.2019.08296

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