Berufskrankheit oder Arbeitsunfall? Was es bei COVID-19 zu beachten gilt

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Privatrechnung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Wie nah, wie lange, wie geschützt war der Kontakt? Wie nah, wie lange, wie geschützt war der Kontakt? © charnsitr – stock.adobe.com

Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sind ­Risiken, gegen die eine Absicherung über die gesetz­liche Unfallversicherung besteht. Dies schließt COVID-19 ein. Die Abrechnung der Heilbehandlung erfolgt nach UV-GOÄ.

COVID-19 als Berufskrankheit: Nr. 3101 der Berufskrankheitenliste der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erfasst Personen, die infolge ihrer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium mit SARS-CoV-2 infiziert werden und deshalb an COVID-19 erkranken können. Gleiches gilt für Personengruppen, die bei ihrer versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maß besonders ausgesetzt sind oder waren. Zum Gesundheitsdienst zählen z.B. Krankenhäuser, Arzt- und Physiotherapiepraxen, Apotheken, Rettungs- oder Pflegedienste.

Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sind vor allem solche der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für Behinderte oder psychisch Erkrankte oder Menschen in besonderen sozialen Situationen, z.B. der Suchthilfe oder Hilfen für Wohnungslose.

Neben wissenschaftlichen und medizinischen Laboratorien werden auch Einrichtungen mit Infektionsgefahren erfasst, soweit die dort Tätigen mit Kranken in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die Kranken zu Untersuchungszwecken entnommen wurden.

Meldung, Abrechnung, Kostenträger

  • Kostenträger für Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft ist die regional zuständige Unfallkasse bzw. der Gemeinde-Unfallversicherungsverband (Kontakt: dguv.de, Webcode d1980). Für Einrichtungen in privater oder kirchlicher Trägerschaft ist es die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege.
  • Der Unfallversicherungsträger übernimmt die Kosten für einen PCR-Erregernachweis auf SARS-CoV-2, wenn bei der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen oder in Laboratorien ein direkter Kontakt zu einer mit SARS-CoV-2-infizierten oder möglicherweise infizierten Person stattgefunden hat und innerhalb der Inkubationszeit Symptome von COVID-19 aufgetreten sind.
  • Die Kosten für das Abstrichmaterial sind mit der Gebühr abgegolten.
  • Die Weitergabe des Abstrichmaterials ans Labor erfolgt unter Verwendung des GKV-Formulars Muster 10; hier muss das Feld „Unfall, Unfallfolgen“ angekreuzt werden.
  • Der Versicherte kann einen Verdacht auf eine Berufskrankheit auch selbst formfrei an die zuständige Unfallversicherung melden. Die Meldung durch eine Praxis erfolgt mit Vordruck F 6000 (Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit nach § 44 Vertrag Ärzte/UV-Träger). Die Leistung kann nach GOP 141 mit 17,96 Euro berechnet werden.

Ob einzelne Personen durch ihre Tätigkeiten in anderen Bereichen einer ähnlichen Infektionsgefahr ausgesetzt sind, hängt von der Art der Kontakte mit infizierten Personen ab. Diese müssen mit direktem Körperkontakt (z.B. Friseurhandwerk) oder mit gesichtsnahen Tätigkeiten (z.B. Kosmetik) verbunden sein. Es gibt bislang keine gesicherten Hinweise, dass bestimmte Berufsgruppen, wie etwa Kassiererinnen oder Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr, einem vergleichbar erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Eine Anerkennung als Berufskrankheit setzt zudem voraus, dass nach einer Infektion mindestens geringfügige klinische Symptome auftreten. Treten erst später Gesundheitsschäden auf, die als Folge der Infektion anzusehen sind, kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt ebenfalls anerkannt werden. COVID-19 als Arbeitsunfall: Erfolgt eine Infektion mit SARS-CoV-2 infolge einer versicherten Tätigkeit, ohne dass die Voraussetzungen einer Berufskrankheit vorliegen, kann die Erkrankung einen Arbeitsunfall darstellen. Dies setzt voraus, dass die Infektion auf die jeweilige versicherte Tätigkeit (Beschäftigung, Hoch-/Schulbesuch, Ausübung bestimmter Ehrenämter, Hilfeleistung bei Unglücksfällen etc.) zurückzuführen ist. Hierbei muss ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (Index­person) nachweislich stattgefunden haben und spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt die Erkrankung eingetreten bzw. der Nachweis der Ansteckung erfolgt sein. Die Intensität des Kontaktes bemisst sich vornehmlich nach der Dauer und der örtlichen Nähe.

Auf dem Weg zur Arbeit oder in der Kantine infiziert

Anhaltspunkte dafür, wann diese Form des Kontaktes gegeben ist, geben die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der DGUV vom 7. Mai 2021 und die RKI-Einschätzung vom 31. März 2021. Demnach kann ein Kontakt mit einer Indexperson im näheren Umfeld zu einer Ansteckung führen, wenn dieser länger als zehn Minuten dauert, ohne dass die Beteiligten einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Maske getragen haben. Bei Gesprächen kann auch eine kürzere Zeitspanne ausreichen. Bei hohen Raumkonzentrationen infektiöser Aerosole kann eine Ansteckung nach mehr als zehn Minuten trotz Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes oder einer FFP2-Maske erfolgen.

Fallbeispiel: Verdacht auf SARS-CoV-2-Infektion

Eine 35-jährige Verwaltungsangestellte des Kreiskrankenhauses kommt in die Praxis. Übers Wochenende war sie bei einer betrieblichen Fortbildung gewesen. Nachträglich, so erzählt sie, habe sich herausgestellt, dass einer der Referenten, bei dem sie mehrere Vorträge hörte, positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Sie selbst habe gestern Nacht hohes Fieber bekommen. Sie leide an vermehrter Luftnot und abdominalen Schmerzen. Es wird eine körperliche Untersuchung und eine Lungenfunktionsprüfung mit unauffälligem Ergebnis durchgeführt. Da der Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion besteht, aus der Arbeitsunfähigkeit und eine möglicherweise längere Behandlung resultieren, erfolgt die Weiterleitung an den nächsten D-Arzt. Zuvor wird ein Abstrich aus dem Nasen-Rachenraum vorgenommen und zur Analyse ins Labor geschickt.
UV-GOÄLegendeEuro
125Ausfüllen des Vordrucks F 1050 „Ärztliche Unfallmeldung“8,85
1Symptomzentrierte Untersuchung bei Unfallverletzungen oder bei Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit einschließlich Beratung7,33
605Ruhespirographische Untersuchung (im geschlossenen oder offenen System) mit fortlaufend registrierenden Methoden19,71
605aDarstellung der Flussvolumenkurve bei spiro­graphischen Untersuchungen – einschließlich graphischer Registrierung und Dokumentation11,39
298Entnahme und ggf. Aufbereitung von Abstrichmaterial zur mikrobiologischen Untersuchung3,25
Portokosten nach Aufwand

Lässt sich kein intensiver Kontakt zu einer Indexperson feststellen, kann es im Einzelfall ausreichen, wenn es im direkten Tätigkeitsumfeld (z.B. innerhalb eines Betriebs oder Schule) der betroffenen Person nachweislich eine größere Anzahl von infektiösen Menschen gegeben hat und konkrete, die Infektion begünstigende Bedingungen bei der versicherten Tätigkeit vorgelegen haben. Dabei spielen Aspekte wie Anzahl der nachweislich infektiösen Menschen im engeren Tätigkeitsumfeld, die Anzahl der üblichen Personenkontakte, geringe Infektionszahlen außerhalb des versicherten Umfeldes sowie räumliche Gegebenheiten, z.B. Belüftung und Temperatur, eine wichtige Rolle. Hat der Kontakt mit einer Index­person auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause stattgefunden und ist danach COVID-19 aufgetreten, kann ebenfalls ein Arbeitsunfall vorliegen. Hier ist an vom Unternehmen organisierte Gruppenbeförderungen oder Fahrgemeinschaften zu denken. Ausnahmsweise kann eine Infektion in einer Kantine als Arbeitsunfall anerkannt werden. Grundsätzlich ist der Aufenthalt dort zwar als nicht versichert anzusehen. Ist die Essenseinnahme in einer Kantine jedoch aus betrieblichen Gründen unvermeidlich und begünstigen die Gegebenheiten (z.B. Raumgröße und -höhe, Lüftung, Abstände) eine Infektion mit SARS-CoV-2, kann ein Versicherungsschutz bestehen. Ähnliches gilt für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, wenn diese Teil des unternehmerischen Konzepts sind. Ergibt sich daraus eine besondere Infektionsgefahr, kommt eine Anerkennung als Arbeitsunfall infrage. Die Infektionsgefahr muss über das übliche Maß hinausgehen und durch die Eigenheiten der Unterkunft (z.B. Mehrbettzimmer, Gemeinschaftswaschräume und -küchen, Lüftungsverhältnisse) begünstigt sein. Beim Prüfen der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls ist stets zu beachten, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen Index­personen in nicht versicherten Lebensbereichen (z.B. Familie, Freizeit oder Urlaub) bestanden hat. Im Ergebnis ist im Einzelfall eine Abwägung erforderlich, bei der alle Aspekte, die für oder gegen eine Verursachung von COVID-19 durch die versicherte Tätigkeit sprechen, zu berücksichtigen sind. Nur die Infektion, die infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten ist, erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles.

Medical-Tribune-Bericht