Patientenbefragung offenbart hausärztliche Fehler bei Diagnostik und Medikation
Ein Griff in den Kühlschrank, Fertigspritze ausgepackt, ein routiniertes Pieksen – schon ist der Patient geimpft. Dumm nur, wenn dem Mediziner dann auffällt, dass es sich um eine Polio-Vakzine handelte und nicht um den Grippeimpfstoff, den er eigentlich spritzen wollte.
Hausärzte sind nicht vor Fehlern gefeit, sei es bei Impfungen, Diagnose oder Medikation. Wie viele Fehler in ambulanten Praxen passieren, ist schwer zu beziffern: Bislang beruhten Studien vor allem auf den Angaben von Medizinern. Die Methode schwächelt daran, dass Betroffene die Praxis wechseln und Ärzte ihre Fehler folglich nicht bemerken. Daher haben Wissenschaftler der Philipps-Universität Marburg erstmals ermittelt, welche Erfahrungen Patienten in Deutschland mit Behandlungsfehlern gemacht haben.
Fast die Hälfte aller Fehler entfällt auf Hausärzte
Für die Studie wurde eine Zufallsstichprobe von über 10 000 Personen telefonisch zu Ereignissen innerhalb der vorigen zwölf Monate befragt. Alle Probanden waren 40 oder älter. In den Ergebnissen stechen drei Fachgruppen besonders hervor. Rund 14 % der Befragten gaben an, in dem Zeitraum mindestens einmal falsch behandelt worden zu sein. 44 % dieser Ereignisse gehen auf Hausärzte zurück, 15 % auf Orthopäden und 10 % auf Internisten. Die Wissenschaftler erklären dies dadurch, dass Allgemeinmediziner und Internisten öfter konsultiert werden als andere Fachgruppen. Orthopäden können das nicht für sich geltend machen.
Die meisten von Patienten berichteten Probleme (66 %) traten bei Anamnese und Diagnostik auf. Die Probanden bemängelten etwa, dass wichtige Fragen zur Erkrankung nicht gestellt wurden oder die körperliche Untersuchung ungenügend gewesen sei. Am zweithäufigsten war von Fehlern im Bereich der Medikation die Rede (15 % aller Fehler). So wurden offenbar falsche Medikamente verschrieben oder die Wechselwirkung mit anderen Präparaten nicht bedacht. Am dritthäufigsten passierten administrative Versäumnisse, beispielsweise lagen Untersuchungsergebnisse nicht oder nicht vollständig vor.
nach Geraedts M et al. BMJ Open 2020
Konstruktiver Umgang mit Kritik der Patienten gefordert
Auch der Arbeitsbereich Patientensicherheit des Frankfurter Instituts für Allgemeinmedizin betont, dass der Umgang mit Fehlern im Gesundheitswesen derzeit ausbaufähig ist. „Jeder Beteiligte muss bereit sein, Feedback und konstruktive Kritik anzunehmen“, meint Dr. Beate Müller, Leiterin des Arbeitsbereichs. Wenn man dies erreiche, könne man Patienten künftig sogar aktiv in die Fehlerprävention einbinden. Ihr Team begrüßt es, wenn Patienten Ärzte und Praxispersonal von sich aus auf Missstände aufmerksam machen. Der Arbeitsbereich betreut das Fehlerberichts- und Lernsystem Jeder Fehler zählt. Es startete vor 15 Jahren als erstes Meldeportal für Hausarztpraxen und wird immer noch genutzt. Jährlich gehen rund 40 Berichte und über 200 Kommentare ein, insgesamt sind fast 700 Berichte online einsehbar. Das Team kritisiert, dass das Thema „Patientensicherheit“ für Medizinstudenten nicht prüfungsrelevant ist, und fordert daher eine Prüfung im Staatsexamen. Für die Goethe-Universität Frankfurt habe der Arbeitsbereich bereits ein Wahlpflichtfach zu Sicherheitskultur und Patientensicherheit konzipiert, das von den Studierenden sehr gut angenommen werde.Quelle: Geraedts M et al. BMJ Open 2020; 10:e034617; DOI: 10.1136/bmjopen-2019-034617
Medical-Tribune-Bericht