Selbstverwaltung tut sich bei der Digitalisierung schwer, Minister Spahn soll's richten
Warum ist in Ländern wie Österreich, Dänemark oder den baltischen Staaten die digitale Entwicklung des Gesundheitsmarkts so viel weiter fortgeschritten als bei uns?“, fragte Grüttner auf dem Kongress. Und lieferte sogleich die Antwort nach: „Weil sie dort per Dekret implementiert wurde.“ In Deutschland dagegen sei die Selbstverwaltung verantwortlich und die scheine sich „häufig mehr mit sich selbst zu beschäftigen als mit der Sache“.
Der Gesundheitsminister betonte zwar auch, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens an vielen Punkten weiter sei als man denke – etwa bei der Anbindung an Kommunikationsnetze zwischen Krankenhäusern und Hausarztpraxen. Er zeigte sich aber damit keineswegs zufrieden.
Eine per Smartphone live im gut besetzten Kongresssaal durchgeführte Umfrage bestätigte: Für die meisten Anwesenden gehören die Leistungserbringer zu den Treibern der Digitalisierung. An zweiter Stelle rangieren die Krankenkassen. Weit abgeschlagen folgt die Politik und zuletzt die Selbstverwaltung. Letztere hingegen stand ganz vorne bei der gegenläufigen Frage, wer denn der Bremser bei der Digitalisierung sei.
„Ich sehe in der Selbstverwaltung keinen Protagonisten der digitalen Entwicklung“, sagte auch Dr. Franz-Joseph Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Telematikbeauftragter der Bundesärztekammer. Die digitale Entwicklung sei jedoch nicht gleichzusetzen mit der Qualität der Versorgung. Ideal sei es, Arzt zu sein in Dänemark, aber Patient in Deutschland.
Entscheidungen zum Schnittstellenproblem nötig
Dr. Bartmann prophezeite: „Das arztzentrierte System wird so nicht bestehen bleiben. Auch wenn die Selbstverwaltung Besitzstandswahrung betreibt und sich dem entgegenstellt: Die Patienten werden die Selbstverwaltung vor sich her treiben.“
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse und bekennender „Anhänger der Selbstverwaltung“, erläuterte: Die Durchsetzung per Dekret in den baltischen Ländern sei nur möglich gewesen, weil es dort zuvor quasi kein System gegeben habe – ein Neuaufbau könne sich natürlich am aktuellen Standard orientieren.
Bei uns dagegen funktioniere alles recht gut. Allerdings sei der Schritt von „Wir sind satt im System“ zum Abgehängtwerden verblüffend klein. Jetzt seien Entscheidungen dringend notwendig, etwa zur Schnittstellenproblematik. Es könne keinen Wettbewerb bei den Patientenakten geben, wenn keine Übertragbarkeit der Daten zwischen den Kassen und den Versorgern bestehe. Der TK-Chef fokussierte den Klärungsauftrag an den Gesetzgeber auf drei Fragen: Wem gehören die Daten? Wo liegen die Daten? Und wer ist für die Schnittstellen verantwortlich?
Lukas Naab, Geschäftsführer von Minds-Medical, einem Entwickler automatisierter Abrechnungen für Krankenhäuser, bezeichnete die technischen Schnittstellen als das aktuell entscheidende Problem. „Solange die Krankenhausinformationssysteme sich abschotten, kommen wir hier nicht weiter. Das ist Protektionismus.“
IT-Großkonzerne wie Apple könnten mitmischen
Player wie Apple hätten dieses Problem nicht, sagte er und unterstrich damit das häufiger benannte Risiko, dass sich bei weiterer Untätigkeit die bekannten IT-Großkonzerne in der digitalen Gesundheitswirtschaft etablieren und damit Zugriff auf Patientendaten und Systeme haben werden.
„Der Gesetzgeber muss einen Weg einschlagen, der es möglich macht, die bereits entwickelten Ansätze in die Fläche zu bringen“, mahnt Hessens Gesundheitsminister Grüttner. Er wünscht sich von seinem Parteifreund und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn neben einem zweiten eHealth-Gesetz, in dem es um Schnittstellen, eAkte und Kommunikationsstrukturen gehen muss, rasche Richtungsentscheidungen.
Dazu gehört für den Minister auch eine Korrektur bei der Mitbestimmung: „In der Gesundheitsversorgung tragen die Länder große Verantwortung. Viele der richtungsweisenden Entscheidungen werden jedoch im Gemeinsamen Bundesausschuss getroffen – und hier sind die Länder nicht gut vertreten!“
Ist der Ruf nach dem Gesetzgeber ein Umweg um die Selbstverwaltung herum? Grüttner: „Nennen wir es einen Impuls. Es ist eine Aufforderung an die Selbstverwaltung, auf diesem Weg weiterzugehen.“ Und auf eine Nachfrage hin ergänzte der Minister noch: Natürlich sei auch eine Vergütungsstruktur nötig, die widerspiegele, was digital möglich ist.